Lou Reed - Transformer. Victor Bockris

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Название Lou Reed - Transformer
Автор произведения Victor Bockris
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783854454649



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wie seine Stimme. Und oft war sie zu Tränen gerührt durch deren Empfindsamkeit.

      Scarpatto brachte Lou nicht nur bei, wie man Regie führt, sondern auch, wie er seine Auftritte dramatischer gestalten konnte. Das kam Lou zugute, als er mit seiner Musik die ersten Bühnenauftritte absolvierte. Obwohl er sich selbst der Lyrik und den Folksongs verschrieben hatte, gab Lou den Ehrgeiz, ein Rock’n’Roll-Star zu werden, nicht auf. In seinem zweiten Jahr am College beschäftigte er sich dann auch weniger mit seinen Folksongs, sondern gründete seine erste richtige Rock’n’Roll-Band: L. A. And The Eldorados. L. A. stand für Lewis und Allen, die beide die Band gründet hatten. Lou spielte Rhythmusgitarre und sang, Allen saß am Schlagzeug, ein anderes Mitglied der Bruderschaft, Richard Mishkin, spielte Piano und Bass, und das Saxofon spielte Bobby Newman, den Mish­kin in die Band geholt hatte. Stephen Windheim, ein Freund von Lou, spielte die Leadgitarre. Sie kamen gut miteinander aus, nur mit Newman, einem lauten, unangenehmen Typ, dem Mishkin zufolge „alles scheißegal war“, kam es zu Reibereien. Lou mochte Bobby überhaupt nicht und war sehr erleichtert, als Newman während des Semesters aus dem College flog. Sein Nachfolger war ein anderer Saxofonspieler namens Bernie Kroll, den Lou gut gelaunt als „Kroll, der Troll“ bezeichnete.

      In der bis dato spießigen Musikszene war einiges Geld zu machen, und es dauerte nicht lange, bis die Geschäfte der Eldorados von zwei Studenten geführt wurden: Donald Schupak, ihrem Manager, und Joe Divoli, der ihnen die Auftritte in den örtlichen Klubs verschaffte. „Ich traf Lou, als wir beide Erstsemester waren“, erklärt Schupak. „Vielleicht hatten wir deswegen keine Probleme miteinander, weil wir als Erstsemester Freunde waren, denn er konnte immer sagen: ‚Mann, Schupak, das ist vielleicht ’ne blöde Idee‘, und ich sagte: ‚Hast Recht.‘“ Unter der Ägide von Schupak und mit Lou als Bandleader arbeiteten die Eldorados bald schon fast jedes Wochenende; sie spielten zwei- bis dreimal pro Woche auf Bruderschaftspartys, Tanzveranstaltungen, in Bars und Klubs und verdienten einhundertfünfundzwanzig Dollar pro Nacht.

      Das Leben als Musiker und die Orte, an denen sie sich herumtrieben, besaßen für Lou eine große Anziehungskraft. Direkt neben dem College lag das Schwarzenviertel von Syracuse, der Fünfzehnte Ward genannt. Hier war er Stammgast in einem Kellerlokal namens Club 800, in dem schwarze Musiker und Sänger auftraten und improvisierten. Lou und seine Band waren dort gern gesehen und arbeiteten auch gelegentlich mit den Sängern der Gruppe The Three Screaming Niggers zusammen. „Das war eine ausschließlich schwarze Gruppe, die viel in den nördlichen Universitäten des Bundesstaates New York auftrat“, erinnert sich Mishkin. „Wenn wir zusammen spielten, traten wir unter ihrem Namen auf. Wir gingen ab und zu auch in den Norden. Die Leute da dachten, dass Weiße keinen Blues spielen können; dann kamen wir und spielten Blues. Da waren sie plötzlich nett zu uns.“ Manchmal traten die Eldorados auch zusammen mit einem schwarzen weiblichen Backgroundchor auf.

      Was die Band aber besonders herausstechen ließ, war ihr Auto. Mish­kin besaß einen Chrysler New Yorker, Baujahr 1959, mit gigantischen Heckflossen. An der Außenseite der Karosserie befand sich eine Zeichnung von roten Gitarren, aus denen Flammen hervorzüngelten, und auf dem Kofferraum stand „L. A. And The Eldorados“. Alle Mitglieder der Band kauften sich identische Westen mit Goldlurexpaspeln, Jeans, Stiefel und dazupassende Hemden. In diesem Salonlöwenpunk ausstaffiert und mit Mishkins goldener Kutsche, die sie zu ihren Auftritten brachte, machte die Band Furore, wenn sie durch die Straßen kreuzte. Wie es auf solchen Touren üblich war, erlebten sie eine Menge gemeinsamer Abenteuer, die sie noch mehr zusammenschweißten.

      Mishkin erinnert sich: „Einmal spielten wir in Colgate, und als wir in Allens Cadillac zurückfuhren, blieben wir in einem Schneesturm stecken. Wir saßen also um ein Uhr nachts im Auto und rauchten Joints, aber schließlich dämmerte es uns, dass wir erfrieren würden, wenn wir einfach sitzen blieben. Es war bereits eine Menge Schnee gefallen, als wir aus dem Auto kletterten und uns in die nächste Stadt schleppten, die ungefähr eine Meile entfernt war. Irgendwo mussten wir bleiben, und so gingen wir in das einzige Hotel, aber es war natürlich voll. Immerhin gab’s da eine Bar. Schupak erzählte in der Bar Geschichten aus seiner Militärzeit, zum Brüllen komisch, Lewis und ich schnappten fast über, wir waren hysterisch vor Lachen. Irgendwann sagte der Barkeeper: ‚Ihr könnt hier nicht bleiben, ich muss die Bar schließen.‘ Wir gingen dann zum Gerichtsgebäude, und es endete damit, dass wir die Nacht im Gefängnis verbrachten.“

      Was die Eldorados sonst noch von den anderen Bands unterschied, war die Zusammensetzung ihres Programms. Sie spielten zwar die Standardnummern von Chuck Berry, aber auch einiges von Lous eigenem Songmaterial. Ein Song von Lou, den sie häufig spielten, war ein Liebeslied, das er für Shelley geschrieben hatte, eine frühe Version von „Coney Island Baby“. „Außerdem haben wir noch einen Song namens ‚Fuck ­Around Blues‘ gespielt“, erinnert sich Mishkin. „Sehr provozierend. Manchmal kam’s gut an, aber ab und zu wurden wir deswegen auch bei den Verbindungspartys rausgeworfen.“

      L. A. And The Eldorados waren ein wichtiger Teil von Lous Leben und vermittelten ihm viele Schlüsselerlebnisse über den Rock ’n’ Roll; aber er hielt die Band von seinem anderen Leben in Syracuse getrennt. Sein Ziel war es eigentlich, Schriftsteller zu werden, und Rock ’n’ Roll kam erst an zweiter Stelle. Damals, als die Beatles noch unbekannt waren, hatte der Begriff Rock ’n’ Roll einen negativen Beiklang. Man dachte dabei eher an Paul Anka und Pat Boone als an die Rolling Stones. Lou lag mehr daran, mit einem Schriftsteller wie Jack Kerouac in Verbindung gebracht zu werden. Diese Unentschlossenheit spiegelte sich auch in seiner kargen Garderobe wider. Wie es sich für den klassischen Beatnik gehört, trug Lou für gewöhnlich schwarze Jeans, T-Shirts oder Sweatshirts. Für den Fall, dass er mal wie John Updike auftreten wollte, hatte er jedoch ein Tweedjacket mit Lederflicken am Ellbogen in seinem Spind. Wie dem auch sei – Lou schien sich in jeder Rolle, als Rocker oder als Schriftsteller, irgendwie unwohl zu fühlen. Deswegen war er in jeder dieser Rollen auf Konfrontationskurs; einerseits hinterließ er auf die Art mehr Eindruck, andererseits beherrschte ihn eine sehr reale Unruhe, die dazu führte, dass er sich so benahm. Die Zusammenarbeit mit Lou war aus diesen Gründen für Hyman und die anderen sehr schwierig.

      Allen berichtet: „Am schwierigsten war es mit Lou, wenn er am Tag unseres Auftritts aufwachte und beschloss, dass er nicht zum Gig gehen würde. Dann kam er einfach nicht. Wir waren schon alle fix und fertig und hielten nach ihm Ausschau. Ich erinnere mich an eine Bruderschaftsparty, wir sollten nachmittags auftreten, und wir waren alle startklar, aber Lou tauchte einfach nicht auf. Ich rannte schließlich zu seinem Zimmer, bahnte mir den Weg durch etwa vierhundert Pfund seiner geliebten Pistazien – und dann fand ich ihn im Bett, am Nachmittag, begraben unter ungefähr sechshundert Pfund Pistazien. Ich sah ihn an und sagte: ‚Was ist los? Wir müssen auftreten!‘ Und er antwortete: ‚Scheiß drauf! Ich will heute nicht arbeiten!‘ Ich sagte: ‚Das kannst du nicht machen, wir werden dafür bezahlt.‘ Mishkin und ich haben ihn dann mehr oder weniger auf die Bühne gezerrt. Zum Schluss hat er dann auch gespielt, aber er war stinksauer.“

      Reed schien das Scheinwerferlicht gleichzeitig zu suchen und zu scheuen. „Lou war einzigartig und sehr dickköpfig, das machte es so schwierig mit ihm“, ergänzt Mishkin. „Es war schrecklich, mit ihm zusammenzuarbeiten. Er war unmöglich. Immer kam er zu spät, immer hatte er irgendwas an dem herumzumeckern, was die Leute von uns erwarteten. Man musste ihn buchstäblich überall mit Gewalt hinschleppen. Manchmal wurden wir seinetwegen schon Pasha And The Prophets genannt, und öfter mal bekamen wir in manchen Klubs keinen zweiten Auftritt, weil er alle verprellt hatte. Es war so störrisch wie ein Maultier. Und die Leute wollten uns kein zweites Mal, weil er so ungehobelt und fies war, und die Tatsache, dass die Leute für unsere Auftritte bezahlten, schien ihm völlig zu entgehen. Es war ihm total egal. Falls wir also einen zweiten Auftritt wollten, benutzten wir den Namen Pasha And The Prophets. Oder die Leute waren am ersten Abend so betrunken, dass sie sich beim zweiten Mal nicht mehr an uns erinnern konnten. Er versuchte niemals, sich mit seiner Kleidung oder seinem Verhalten dem Geschmack des Publikums anzupassen. Meistens suchte er die Konfrontation. Er wollte anders sein. Aber Lou war auch sehr ehrgeizig. Er wollte ein Rock’n’Roll-Star und ein Schriftsteller werden. Das hat er mir ganz klar zu verstehen gegeben.“

      Im Mai 1962 waren Lewis, Lincoln, Stoecker, Gaines, Tucker und andere die öde Universitätszeitung leid. Begierig danach, von sich reden zu machen und