Lernen S' Geschichte, Herr Reporter!. Ulrich Brunner

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Название Lernen S' Geschichte, Herr Reporter!
Автор произведения Ulrich Brunner
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783711052889



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Zeitungen verkaufte. Erst nach langen Verhandlungen mit dem Betriebsrat wurde eine Maschine stillgelegt und damit ein Dutzend Arbeitsplätze eingespart.

      In den 1970er-Jahren wurde auch Parteifunktionären klar: Der »Vorwärts« produzierte zu teuer. Eine Reihe von SPÖ-Organisationen wechselte mit ihren Publikationen zu privaten Druckereien, die billigere Angebote machten. Die AZ, wie die Arbeiter-Zeitung seit einigen Jahren in der Kurzformel hieß, wurde bis 1985 im »Vorwärts« gedruckt, dann 1989 verkauft, womit sie auch den Status als Zentralorgan der SPÖ verlor. Das war aber zu spät, um eine linke Tageszeitung, die nicht unter Kuratel der Parteiführung stand, am Markt etablieren zu können. 1991 wurde die AZ schließlich eingestellt. Die stark verschuldete SPÖ musste schließlich den großen Gebäudekomplex des »Vorwärts« verkaufen. Der sozialistisch geführte Betrieb konnte sich in einem kapitalistischen Umfeld nicht behaupten. Vom »Vorwärts«, einst Zentrum der österreichischen Sozialdemokratie, blieb nur noch die Fassade. Sie wurde unter Denkmalschutz gestellt. Dahinter blieben noch einige Räume erhalten, die den Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung und das Kreisky-Archiv beherbergen. So blieb wenigstens die Dokumentation des Wirkens von Bruno Kreisky an jenem Ort, der ihm so viel bedeutet hatte.

      BEI DEN SOZIALISTISCHEN STUDENTEN

      1965 legte ich nach vier Jahren Abendstudium am Gymnasium für Berufstätige die Maturaprüfung ab. Anschließend entschied ich mich, Rechtswissenschaften zu studieren – nicht aus Neigung, sondern weil dies das einzige Studium war, das man nebenberuflich einigermaßen bewältigen konnte. Dass ich der Studentenvereinigung der SPÖ beitrat, war für mich selbstverständlich. Als ich 1965 beim VSStÖ auftauchte, war gerade ein Machtwechsel von den Rechten zu den Linken im Gange. Es ging dabei um den Führungsanspruch zwischen jenen, die sich als traditionelle Sozialdemokraten sahen, und jenen, die von einer mehr oder weniger radikalen sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft träumten.

      Ich war bereits 27 Jahre alt, als ich zu den Studenten stieß, hatte einschließlich Lehrlingszeit 13 Jahre Berufserfahrung und ein hartes Abendstudium hinter mir. Ich empfand vieles, was da an marxistischen Theorien diskutiert wurde, als weltfremd, ließ mich aber von der Stimmung hinreißen und gab den Linken meine Stimme. Als Obmann der Linken wurde mit meiner Stimme Peter Kreisky zum Obmann des Wiener VSStÖ gewählt. Als eloquente Debattenredner für die Linken sind mir in Erinnerung: Norbert Rozsenich, später Präsident von Forschung Austria, Peter Kowalski, Sektionschef im Sozialministerium, sowie der langjährige Abgeordnete im National- und Bundesrat Albrecht K. Konecny. Verbandssekretär der SPÖ-Studenten war Erich Schmidt, später Landwirtschaftsminister. Auch der spätere Nationalbankgouverneur Ewald Nowotny engagierte sich für die Linken. Alle Genannten haben in ihren späteren Funktionen gute Arbeit geleistet, den revolutionären Elan der Studentenzeit konnten sie aber kaum in ihre Funktionen hinüberretten. Für alle gilt mehr oder weniger, was der einst linke Grünpolitiker und spätere deutsche Außenminister Joschka Fischer sagte: »Die Verwandlung des Amtes durch den Menschen dauert etwas länger als die Verwandlung des Menschen durch das Amt.«

      Damals träumten die Wortführer im VSStÖ von der revolutionären Einheit zwischen Arbeitern und Studenten. Schon der erste Versuch, diese Einheit herzustellen, schlug fehl. Die Raxwerke in Wiener Neustadt standen vor der Schließung beziehungsweise Teilprivatisierung, und die dortigen Arbeiter drohten mit Streik. Im Büro der SPÖ-Studenten wurden Flugzettel hergestellt, in denen für eine Arbeiterselbstverwaltung der Raxwerke plädiert wurde. Eine gemeinsame Delegation von VSStÖ und Sozialistischen Mittelschülern machte sich auf den Weg nach Wiener Neustadt. Schon vor dem Fabriktor wurde diese von den Arbeitern abgewiesen. Die wollten von den revolutionären Phrasen nichts wissen. Die zurückgekehrten Studenten empörten sich: »Die Arbeiter haben überhaupt kein Klassenbewusstsein!« Die Arbeiter im »Vorwärts«, obwohl alle Mitglieder der SPÖ, waren auf die Studenten auch nicht gut zu sprechen. Im Vordergrund stand für diese die nächste Lohnerhöhung und nicht eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft.

      Herbert Marcuse, der damals von den Studenten verehrte deutsch-amerikanische Soziologe, hatte es vorhergesehen. Mit der revolutionären Potenz der Industriearbeiterschaft sei nicht zu rechnen, weil sie von »repressiver Toleranz« umnebelt seien, wie er in seinem Buch Der eindimensionale Mensch erklärte. Den Studenten komme daher die Führungsrolle innerhalb der revolutionären Intelligenz zu. Man las viel in dieser Zeit, von Marx bis Gramsci, von Sartre bis Adorno. Letzterer kam dann auch auf Einladung des VSStÖ im April 1967 nach Wien, um an der Universität einen Vortrag über neue Aspekte des Rechtsradikalismus zu halten. Anlass waren die erstaunlichen Wahlerfolge der NPD, die in Deutschland in mehrere Landesparlamente einzog. Einiges von Adornos Analyse trifft auch auf das heutige Erstarken der Rechten zu.

      Absolutes Feindbild war für die linken Studenten Karl Popper. Besonders ein Werk hatte es ihnen angetan: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Popper wendet sich darin gegen geschlossene Systeme und Ideologiekonstruktionen. Als positives Gegenbild zu diesen »geschlossenen Gesellschaften« entwirft Popper eine »offene Gesellschaft«, die nicht am Reißbrett geplant ist, sondern sich pluralistisch in einem fortwährenden Prozess von Verbesserungsversuchen und Irrtumskorrekturen evolutionär fortentwickelt. Bruno Kreisky hat das genauso gemacht. Die Demokratisierung der Gesellschaft hat er als permanenten Prozess gesehen. Es war dies ein evolutionäres Konzept im Gegensatz zum revolutionären Entwurf der linken Studenten. Kreisky gelang mit seinem Ansatz das, was den Studenten verwehrt blieb: eine Einheit von Intellektuellen und Arbeitern, zumindest in der Wahlkabine. Nie wieder nachher hat die SPÖ diese beiden Gruppen so hinter sich versammeln können wie unter Kreiskys Parteivorsitz.

      Die Entfremdung zwischen der SPÖ und ihrer Studentenorganisation erreichte 1968 ihren Höhepunkt, als die Parteijugend die Maifeier der SPÖ am Wiener Rathausplatz störte. Kreisky war wütend und verlangte eine Entschuldigung, widrigenfalls der VSStÖ aus der Partei ausgeschlossen werde. Der VSStÖ kroch zu Kreuze, 13 Funktionäre verließen daraufhin den VSStÖ und gründeten eine eigene linke Gruppe. Es war dies der Beginn weiterer Spaltungen. Das Verhältnis des VSStÖ zur Mutterpartei blieb weiter angespannt. Kreisky drohte vor allem mit Konsequenzen, wenn die Parteijugend gemeinsame Aktionen mit kommunistischen Jugendorganisationen durchführte. Es kam auch mehrmals zur Sperre der finanziellen Unterstützung. Auch wenn Kreisky mit den SPÖ-Studenten immer wieder in Konflikt geriet, die 68er-Bewegung hat – trotz ihrer zeitweiligen Entartungen – wahrscheinlich den Weg für die Erfolge der Sozialdemokratie in Westeuropa erleichtert. Begonnen hat diese Bewegung schon Anfang der 1960er-Jahre in den USA mit den Protesten der Afroamerikaner gegen ihre Unterdrückung und setzte sich fort mit den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg. Die Proteste schwappten schließlich nach Europa über und hatten zunächst in Paris 1968 ihren Höhepunkt. Von da kam die Bewegung über Deutschland auch nach Österreich – mit Verspätung und in abgeschwächter Form. Der Kampf gegen falsche Autoritäten, für Mitbestimmung, für sexuelle Freiheit, für das Aufbrechen alter Strukturen half sicherlich mit, den Boden für den Machtwechsel zur Sozialdemokratie zu bereiten. 1967 brach ich das Studium ab und trat in die Redaktion der Neuen Zeitung ein. Damit war auch meine Mitgliedschaft bei den SPÖ-Studenten zu Ende.

      DER NIEDERGANG DER ARBEITER-ZEITUNG

      Kurz nach Antritt der Minderheitsregierung Kreisky im Jahr 1970 wechselte ich von der Neuen Zeitung zum Zentralorgan der SPÖ, der Arbeiter-Zeitung. Der SPÖ ging es gut, der AZ immer schlechter. Die Auflage sank unaufhörlich. In Verkennung der wahren Ursachen ortete die Redaktion die Schuld beim schlechten Vertrieb und mangelnder Werbung und ersuchte bei Kreisky um einen Termin. An einem Sonntagnachmittag um 15 Uhr empfing Kreisky eine kleine Gruppe von AZ-Redakteuren einschließlich meiner Wenigkeit im Garten seiner Villa in der Armbrustergasse. Kreisky saß in der Hollywood-Schaukel, die AZ-Redakteure auf Sesseln rund um den Vorsitzenden. Er habe den ganzen Nachmittag Zeit, kündigte Kreisky an, für 19 Uhr habe er einen Theaterbesuch geplant. Er habe diesen Besuch Olive Moorefield versprochen, einer damals in Wien sehr bekannten aus den USA stammenden Sängerin. Auf dem Programm stand das Stück Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny von Bert Brecht. Bevor wir unser Anliegen vorbringen konnten, hielt uns Kreisky ein politisches Referat