Die Status Quo Autobiografie. Francis Rossi

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Название Die Status Quo Autobiografie
Автор произведения Francis Rossi
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783854453666



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Nicht gerade die Szenerie, die wir uns erhofft hatten. Wir bekamen mit, dass es im Camp auch noch einen anderen Veranstaltungsort gab, den Rock’n’Roll Ballroom, und so machten wir solange Rabatz, bis sie uns dort spielen ließen. Nachdem wir einige Wochen dort aufgetreten waren – die Sommersaison war voll in Gang – dämmerte uns langsam, dass sich kaum einer in diesen Rock’n’Roll Ballroom verirrte. Alle versammelten sich im Pub. Nachmittags war es noch schlimmer. Da hattest du außer ein paar Neugierigen, die einfach nur mal kurz die Nase reinstreckten, gar kein Publikum. Am Abend spielten wir dann meistens vor einem Dutzend Leuten. Erst in den 20 Minuten, kurz bevor das Pub zumachte, füllte sich der Ort schlagartig mit feuchtfröhlichen Campern, die alle sturzbetrunken waren und abrocken wollten.

      Selbst da hatten wir einen Job zu erfüllen – wir mussten den Leuten Vergnügen bereiten. Als wir im Camp ankamen, waren wir noch schrecklich naiv und meinten, wir sollten nichts allzu Zeitgemäßes spielen. Wir dachten, es würde uns hipper machen, wenn wir alte Cover-Versionen zum Besten gaben – von den Everly Brothers, Bill Haley, Chuck Berry und so. Was ja an sich alles nette Sachen sind, aber nicht unbedingt das, was sich die Zuschauer in einem Ferien-Camp wünschen: die wollen eher Musik wie aus der Jukebox, die gerade angesagten Hits. Folglich gingen wir an den meisten Abenden wie begossene Pudel von der Bühne. Der einzige Teil der Show, der immer gut funktionierte, war, wenn Roy loslegte und seine absolute Lieblingsnummer „I Can’t Help Falling In Love With You“ brachte. Er sang sie gewöhnlich in dieser sülzigen Elvis-Stimme und erntete damit jedes Mal ohrenbetäubenden Applaus. Wir dachten, okay, wir sind durch, aber bei der nächsten Nummer, egal welcher, und wir probierten wirklich viele aus, war gleich wieder tote Hose.

      Auf diese Weise lernten wir, dass das Konzept, einfach Songs zu spielen, die wir mochten, bei einem Live-Publikum nicht unbedingt ein Erfolgsgarant ist. Live vor einem Publikum zu spielen, egal, wie groß es ist, und egal, wo man spielt, ist etwas völlig anderes als Platten aufzunehmen. Da ist eine völlig andere Chemie am Wirken. Wenn du ein Album machst, kannst du dir die Freiheit nehmen, dein Ding zu machen. Live musst du deine gesamten Antennen ausgefahren halten, damit du mitbekommst, was das Publikum in dem Moment gerade braucht. Da gibt es keinen Raum für irgendeinen Quatsch. Du kannst die Leute mit einem Song abturnen, wenn du nicht aufpasst. Dein Bühnen-Set muss ausgewogen sein. Aber das mussten wir damals erst noch lernen, und so gesehen waren die Auftritte im Butlins-Camp wirklich unbezahlbar. Nicht nur, weil wir Erfahrung sammeln konnten mit unseren eigenen Auftritten, sondern auch weil wir andere Bands spielen sahen. Da gab es außer uns noch die Olympic Five, die immer „The Hucklebuck“ spielten, eine Nummer, auf die die durchgeknallten und besoffenen Typen total abfuhren. Als die Sache für uns am Anfang noch nicht so gut lief, sah ich mir ein paar Mal vom Seitenrand der Bühne aus an, wie die Olympic Five ihr bescheuertes „Hucklebuck“ spielten, und dachte nur: Hmmmm …

      Bis zum Ende der Saison hatten wir uns auch ein paar Tricks abgeguckt, und ich bin heute davon überzeugt, dass aus uns nicht halb so viel geworden wäre, wenn wir das nicht durchgestanden hätten – ähnlich wie die Beatles, die ja auch mehrmals am Abend im Hamburger Star Club auf der Bühne standen. Wir kehrten nicht nur als eine Band nach London zurück, die total fit war, sondern hatten auch viele Erfahrungen gemacht. Wir wussten jetzt, wie man ein Publikum mitreißt, und fühlten uns zu allen Schandtaten bereit.

      Allerdings ahnten wir nicht, dass dies erst der Anfang war.

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      Dass ich später einmal Geschmack an schnellen Autos, geilen Rennbooten und noch geiler aussehenden Frauen finden sollte, zeichnete sich bei mir als Kind kaum ab. Das einzige Spielzeug, das vielleicht ein bisschen in diese Richtung wies, war ein aufziehbarer Zug, den ich heiß und innig liebte. In einer meiner frühesten Kindheitserinnerungen sitze ich unten auf der Straße und spiele mit diesem Blechzug, stecke ihm den Schlüssel an der Seite rein und sehe zu, wie er unaufhörlich im Kreis herum fährt. Was mir, mal abgesehen von diesem kleinen Zug, auch im Gedächtnis geblieben ist, sind die zerbombten Häuser auf der Straßenseite gegenüber, die ich immer noch vor mir sehe. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg konntest du durch die Löcher in den eingestürzten Wänden bis in die Wohnzimmer schauen und dort die Tapeten erkennen.

      Wir wohnten in Colliers Wood, im Südwesten von London, in einer Straße mit dem Namen Cottage Grove – ein Ort, an den ich immer mal gerne zurückgekehrt wäre, der aber wie vom Erdboden verschluckt ist. Was ich echt bedauere, da ich es liebe, Orte aus der Vergangenheit aufzusuchen und zurückzublicken. Es ist praktisch ein Hobby von mir. Ich fahre beispielsweise des Öfteren mal in die Ecke, wo wir wohnten, als ich zehn war, weil es da immer noch genauso aussieht wie damals. Ich sitze dann in meinem Auto und frage mich, ob ich mir damals als Kind jemals hätte vorstellen können, dass ich mal Gitarre spielen und in einer mordsmäßig erfolgreichen Rock-Band singen würde.

      Leider existieren die Straßen, in denen ich bis zu meinem vierten Lebensjahr wohnte, schon lange nicht mehr. Dort gibt es jetzt Mietwohnungen und neue Immobilien. Wenn es Cottage Grove heute noch gäbe, hätte man mich dort mehr als nur einmal in den vergangenen Jahren finden können – wie ich da sitze und in meinen Erinnerungen schwelge. Ich halte immer noch Ausschau nach der U-Bahn-Station von Colliers Wood, wenn ich in der Gegend vorbeifahre, selbst heute noch. Dort gibt es eine Kirche, und als ich drei war, kletterten wir über die Eingangstreppen und setzten uns auf das Dach eines Telefonhäuschens, das direkt daneben stand. Damals wurde niemand weggejagt. Alle wussten, dass man nichts Böses im Schilde führte und dass es einfach ein Riesenspaß war, als Kind auf so einer Telefonkabine zu hocken und dem Treiben unten zuzusehen. Sobald ich dort hinfahre, kommt mir das automatisch in den Sinn. Das Telefonhäuschen gibt es immer noch, aber jetzt ist es eine moderne Kabine der British Telecom. Die Kirche hat sich aber nicht verändert, und wenn ich sie sehe, werde ich etwa 50 Jahre zurückversetzt.

      Es war üblich in meiner Familie, den Kindern die Namen von Prinzen zu geben – eine Tradition, die auch ich mit meinen beiden Jungs, Richard und Harry, fortgeführt habe. So erhielt ich, als ich am 12. Oktober 1948 geboren wurde, den Namen Richard John Parfitt. Ich weiß nicht, ob meine Eltern das bewusst so entschieden hatten oder ob es sich einfach so ergab. Aber sie hatten außer mir keine Kinder und so tendierten sie dazu, mich zu verhätscheln. Was ich bis heute mag – ein bisschen verwöhnt zu werden.

      Meine Mum hieß Lillian – oder einfach Lil, wie ihre Freunde sie nannten. Sie und ihre Geschwister, vier Schwestern und drei Brüder, waren in Stepney geboren, im Londoner East End, wo ihre Familie schon seit Generationen siedelte. Sie waren waschechte Eastender: taff und einfallsreich, aber viel fröhlicher als der depressive Haufen in der gleichnamigen TV-Serie.

      Der Name meines Vaters lautete Richard. Seine Kameraden kannten ihn als Dick und er stammte ursprünglich aus Newmarket, aus dem Herzen einer Gegend, die heute York Region genannt wird. Er kam aus einer noch kinderreicheren Familie als meine Mum: mit zwölf Brüdern und zwei Schwestern. Newmarket war und ist auch heute noch die Stadt der Pferderennen, aber den einzigen Kontakt, den die Familie meines Vaters – mal abgesehen vom dämlichen Job des Stalljungen – mit den Pferdchen hatte, war, wenn wir Wetten auf sie abschlossen.

      Ich wusste es damals nicht, aber inzwischen habe ich nachforschen lassen: Der Name Parfitt geht ursprünglich zurück auf französische Adlige aus dem 11. Jahrhundert. Parfitt leitet sich offensichtlich ab von Parfait, was übersetzt „der Perfekte“ heißt. Es gibt sogar ein Waffenschild, das ich jetzt bei mir zu Hause habe, und im Wappen sind die Worte eingraviert: „En. Tout. Parfait.“ Was so viel bedeutet wie: in allem perfekt. Manchmal blicke ich zu diesem Wappen rüber und denke an mein vergangenes Leben zurück … nun, lacht ruhig! Solche Informationen aus der Geschichte haben mich wirklich interessiert, und so grub ich weiter in der Vergangenheit herum und entdeckte, dass der Name Robert Parffette zum ersten Mal in England im Jahr 1273, in Lincolnshire, aufgetaucht war. Gemäß der Kopfsteuer, die 1379 in Yorkshire erhoben wurde, war dort bereits ein Richard Parfite wohnhaft. In der Englischen Literatur findet sich der Name erstmals bei Chaucer, der im 14. Jahrhundert über „a verray parfit gentil knight“ schrieb. Das war ich, keine Frage …

      Cottage Grove war eine Sackgasse. Wir lebten auf der einen Seite und ich erinnere mich, dass mich meine Mutter ermahnte, nicht auf die