Eros und die Evangelien, aus den Notizen eines Vagabunden. Waldemar Bonsels

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Название Eros und die Evangelien, aus den Notizen eines Vagabunden
Автор произведения Waldemar Bonsels
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066110208



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einem unverdienten Vorteil mich zu Ihnen geführt haben. Wenn ich den Reichtum an Unterhaltung, Belehrung und Erhebung, an menschlicher Freude und menschlichem Erleiden überdenke, den Sie in Ihrem Zimmer angesammelt haben, all das erschlossene und unerschlossene Glück, das diese Bände bergen, so erscheint es mir für einen Augenblick ungerecht, daß diese farbige Welt mit ihren Landschaften der Seele und der Erde hier verborgen und unbenutzt liegen soll, während ein paar Häuser weiter ein Mensch, der dies alles und mehr in kurzer Zeit für immer aufgeben muß, Verlangen danach trägt, für eine Stunde seine Armut und sein Geschick zu vergessen.«

      Es entstand eine kleine Pause, als ich schwieg. Ein sonderbarer Blick voll Gift und Staunen traf mich, haftete wider Willen an meinen Zügen, umglitt mich, verächtlich geworden, und löste sich endlich in einem Lächeln, voll Neugier und Herablassung.

      »Schon gut, schon gut,« sagte er, »Sie werden mich nicht beschwatzen.«

      Nach diesen häßlichen Worten brach plötzlich eine befangene Gutmütigkeit im Ausdruck seines Gesichts durch, die ich nicht erwartet hatte, und die ich mir nicht erklären konnte, obgleich sie das einzige war, was auf mich wirkte. Wahrscheinlich hat er mir zuvor seine Kraft beweisen wollen, ehe er mir seine Schwäche verrät, dachte ich und darüber wurde ich mutlos, denn ich erkannte aufs neue, was unter den Menschen als stark gilt und was als schwach.

      Da es in meiner Art und unbewußten Neigung lag, den Fortgang eines Wegs immer dort zu suchen, wo ich am tiefsten durch das Wirrwarr der Erscheinungswelt blickte, sprach ich als Antwort von dem, was ich erkannte und sagte:

      »Nun Sie mir durch Ihr Wort bewiesen haben, wie wohl Sie gegen meine Tücke gewappnet sind, wird Ihr Herz einen freien Weg für seine Güte finden können.«

      Mein Gegenüber lachte breit und ungeschickt auf, so daß ich ihn für einen Augenblick bedauerte, aber ich gab dieser Ablehnung nicht nach, sondern wappnete mich aufs neue, ich war entschlossen, zu meinem Ziel zu kommen. Ein leise quälender Zweifel nagte tief in mir und für einen Augenblick haßte ich diesen Mann, der den Wert der feinen Fügung meiner Gedanken verstieß, als spräche ein Narr zu ihm. Ich haßte die Kraft in ihm, die nichts als Roheit war, die ich hassen werde, solange ich atme, die am Tor aller Vernunft und Freiheit lauert und sich Männlichkeit nennt. Da er nun auch noch sagte: »Das war nicht schlecht geantwortet«, verzagte ich fast, denn ein Lob aus der Welt, die wir verachten, ist ärger als ein Tadel aus der Welt, die wir lieben.

      »Woher kommen Sie denn eigentlich, wer sind Sie, haben Sie eine Schule besucht? Nun antworten Sie einmal.«

      »Lassen Sie mich in Ruh«, sagte ich schroff. »So wohlfeil werden Sie Ihr Gefühl der Überlegenheit, das Sie vermissen wie eine Krücke, nicht zurückbekommen. Was geht Sie das an, woher ich komme? Wollen Sie mir ein Mittel geben, Sie sichtbar zu täusche, damit es Ihnen leichter wird, mir nicht zu glauben? Sie glauben mir längst. Ich lasse mich nicht auf ein Gebiet locken, auf dem Sie schon deshalb recht behalten, weil Sie eine hohe Haltung gegen eine niedrige vertauschen.«

      »Das ist also einfach eine Unverschämtheit«, sagte mein Gegner freundlich, lachte und setzte sich breit und sicher mitten auf seinen Sessel.

      »Nehmen Sie Platz«, fuhr er in einem veränderten Ton wohlwollenden Befehls und skeptischer Neugier fort, in dem seine Niederlage lag. »Sie haben vollständig recht. Ich müßte ein Lump sein, wenn ich das nicht zugäbe. Aber Bücher bekommen Sie keine.«

      Welch ein armseliger Seitenweg ist diese halbe Freundlichkeit, dachte ich. Er zieht die Pfeile aus seiner Brust, bricht sie ab, und tut, als seien sie stumpf gewesen. Eher werden die Ströme zu den Bergen zurückfließen, als daß einem Menschen meiner Zeit sein fanatischer Glaube an den Triumph der Mittelmäßigkeit abhanden kommt. Ich fürchtete den aufsteigenden Ekel, der mich noch immer entwaffnet hat, und warf mich übereilig auf die Bahn eines neuen Mittels. Ich darf nicht auf diese halbe Belustigung eingehen, wußte ich, dieser Mann reißt mich anders in seine Niederlage hinein, und am Ende erhalte ich doch noch die Münze, die er immer noch zwischen den Fingern drückt, als stammte sie aus einem Taschendiebstahl. Zudem kam mir über dem Gedanken an diese Münze in den Sinn, daß ein paar Bücher, die ich vielleicht doch endlich leihweise erhielt, der Freundin wahrscheinlich wenig genug bedeuten würden, denn nicht nur ihre Frage nach meinen Beständen, sondern auch ihre Miene hatten mir verraten, wie schwer ihrem Anspruch Genüge getan werden konnte. Auch erschien es mir, als sei der ganze Kraftaufwand dieser Stunde schon viel zu groß, als daß ein paar entliehene Bände ihn endlich zu rechtfertigen vermöchten. Ich mußte viel mehr erreichen. Mein Mißerfolg lag daran, daß mein Kraftaufwand in keinem Verhältnis zu meiner Forderung stand; was konnte diesen bedrängten Ungläubigen mißtrauischer machen, als meine Anspruchslosigkeit?

      Während ich sann, betrachtete mein Gegenüber mich mit unverhohlener Aufmerksamkeit, mit einer etwas benommenen Neugier, deren Lebenslicht mir aber keineswegs die Furcht einjagte, er möchte mich mit diesen aufgetanen Augäpfeln auch durchschauen. So sagte ich, meiner selbst sicher:

      »Wenn ich den Ring betrachte, den Sie an Ihrem Finger tragen, der sicher nur einen geringen Teil Ihres großen Besitzes ausmacht, und bedenke, daß schon in ihm die Macht liegt, einem Menschen, der bald sterben wird, noch einmal die irdische Landschaft in Freuden und Ruhe zu erhellen, so meine ich, Sie müßten ihn mir geben, um Ihrer Freude und Ruhe willen.«

      Der Angeredete lächelte betroffen und überlegen, aber nicht mehr mißbilligend. Vielleicht war er mir, ohne es zu wissen, dankbar dafür, daß ich die Haltung nicht einnahm, die er vorgeschlagen hatte, und derer er sich heimlich schämte.

      »An diesen Ring fesselt mich eine Erinnerung, ein teures Andenken. Nun?«

      Die Herausforderung in diesem letzten Wort empörte mich, die lässige Aufforderung darin, in meiner Mühe fortzufahren, war herabwürdigend.

      »Und nun haben Sie dieses Andenken entweiht«, sagte ich rasch.

      »Was habe ich getan? Junger Mensch — wenn eines mich wundert, so ist es, daß ich Ihnen nicht längst die Tür gewiesen habe ...«

      »Ich will Ihnen sagen, wie ich denke, damit Sie sich nicht erzürnen«, antwortete ich und faßte mich. »Ist dieser Ring ein teures Andenken an einen Menschen, der Ihnen in Liebe nahesteht, oder gestanden hat, so ist er ein Sinnbild der Gemeinschaft, unvergänglichen Guts, heiligen Daseins über allem, das verfällt. So ist die Sendung, die ihn gehen und wirken hieß, mit der er untrennbar behaftet ist, wie mit seinem Glanz, die des wahrhaftigen Lebens, und nur indem es sich mit ihm erfüllt, ist die Erinnerung an den Geber geheiligt. Ich nehme nach Ihren Worten an, dieser Mensch liegt begraben, Ihnen oder uns allen; wird es nicht sein, als sei er auferstanden, wenn die teure Glut in heimlicher Glorie um seine Gabe neu ersteht, als fiele sie auf ihn zurück, nach dem Kreislauf ihrer Bestimmung, und schlösse ihn in ihr Licht ein? Sie aber drängen mit Ihrem Hang nach totem Besitz den lebendigen Geist in sein kaltes, goldenes Grab zurück.«

      Es wurde still im Zimmer, der Angeredete sah starr vor sich hin, ohne daß mir irgendein Zeichen verriet, ob meine Worte ihn im Guten bewegt oder aufs neue erzürnt hatten. Dann sah er langsam auf, sein Blick überging mit beinah trauriger Entschlossenheit die prächtigen Dinge seines Raums, die Geräte seines Schreibtisches, die Blätter und Bücher darauf, und wurde endlich, als habe er sein eigenes Leben verloren, in das Leben des Lichts gezogen, das durch das Fenster eindrang, und dort verirrte er sich im wesenlosen Geist der Helligkeit.

      Ich dachte daran, daß Asja nun auf ihrem Lager lag und in das gleiche Tageslicht schaute, und mir wollte scheinen, als müßten sich die Blicke dort drüben und draußen in der Höhe begegnen, so daß der Fremde von dem Ausdruck in Asjas Zügen überwunden würde, wie vor kurzem ich selbst, und mir so das Ende des schweren Wegs erspart bliebe.

      »Hören Sie einmal«, sagte da plötzlich die tiefe Stimme und das langbärtige Gesicht wandte sich mir zu. »Sei das, wie es wolle, ich möchte nicht dieses oder jenes, nicht Wohltaten tun, noch Segen stiften, aber ich möchte einmal wieder glauben, auch an mich. Sie haben da eine Erinnerung in mir wachgerufen, auf eine eigene Art wachgerufen, das will ich Ihnen lassen. Weit mehr taucht mit ihr mein eigenes Leben vor mir auf, als dasjenige der Toten, von der dieser Ring stammt. Ich weiß nicht, wer Sie sind und welch