Eros und die Evangelien, aus den Notizen eines Vagabunden. Waldemar Bonsels

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Название Eros und die Evangelien, aus den Notizen eines Vagabunden
Автор произведения Waldemar Bonsels
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066110208



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gesicherte Menschen, getan hätten.

      »Wie geht es Ihrer Tochter?« fragte ich.

      Diese Frage wirkte nicht ungewöhnlich, denn eine Mutter setzt immer voraus, daß die Welt von ihrem Kummer um ihr Kind erfüllt ist, so antwortete sie einfach:

      »Wenn Asja nur ein einziges Mal eine Klage aussprechen wollte, wäre mir wohler. Ich habe immer gedacht, diese Krankheit bliebe den Leidenden verborgen, aber sie weiß sie und spricht ohne Kummer von ihrem Tod.«

      »Vielleicht ist dies eine Erleichterung«, antwortete ich.

      »Es ist doch mein Kind«, sagte sie und sah mich an.

      Darauf vermochte ich keine Antwort zu geben und sah zu Asja hinüber. Die Ruhe ihres Gesichts erfüllte das Zimmer. Die Lider über den Augen waren das hellste der bleichen Landschaft dieses Angesichts aus Menschenarmut, Schlaf und Ferne. Neben dem Bett stand auf einem kleinen Tischchen eine Tasse, eine Kerze und ein Krug. Ein Buch in rotem Einband, aus dem ein paar lose Blätter Papier hervorschauten, lag zwischen einer Blumenvase und einem Stück Brot.

      »Liest Asja viel?« fragte ich.

      Die Mutter nickte. »Ich gehe um Bücher, aber die Leute leihen sie ungern. Wenn Sie Bücher hätten ...«

      »Ich kann bringen,« antwortete ich, »heute noch.«

      Die Mutter lächelte.

      »Das wäre wirklich schön, Asja wird mit Ihnen darüber sprechen, was in den Büchern zu lesen steht. Wenn man Tag für Tag und Nacht für Nacht auf einem Fleck daniederliegt, wird man dankbar und ist mit weniger zufrieden, als die Menschen wissen, die alles haben, und gehen und leben, wie sie wollen. Wenn die Toten noch Empfindungen hätten, so wären sie sicher dankbar für jeden Wassertropfen, der durch ihre Sargwand sickert. Ich hätte gewiß noch Kraft, vieles zu tun, was dem Kind Hilfe brächte, aber es gibt keine mehr für uns, und das Warten, ohne etwas bewirken zu können, macht mutlos, weil keine Hoffnung mehr da ist ... Oft überwältigt mich dies Leben jetzt und ich meine, es nicht mehr ertragen zu können.«

      »Als ich an Ihrer Tür vorüberging, dachte ich dasselbe.«

      »Wenn Sie noch bleiben wollen, bis Asja erwacht ...« sagte die Frau mit zögernder Erwartung. Sie hatte ein Tuch um die Schultern gelegt, eine Tasche über den Arm gehängt und schickte sich nun an, das Zimmer zu verlassen.

      »Herr Stevenhagen hat meine Stiefel, es kann noch eine Weile dauern, so bleibe ich also noch ...«

      »Asja wird sich freuen, daß man sie besucht.«

      Sie stellte noch eine kleine Glocke neben das Bett, seufzte auf, mit einem langen Blick auf die Kranke, und gab mir die Hand. »Wenn Sie an die Bücher denken wollen?«

      Ich versprach es und begleitete sie an die Tür. Sie kam noch einmal zurück: Es stünde Kaffee im Rohr, wenn ich etwas wollte, oder vielleicht auch, daß Asja darum bäte. Sie selbst ginge bis zum Mittag in die Papierfabrik.

      Als die Tür sich geschlossen hatte, sah ich zu der Schlafenden hinüber und begegnete ihrem Blick, der groß und dunkel auf mir ruhte. Ein kaum bemerkbares Lächeln, ein wenig schelmisch, belebte ihre Züge und wurde zu einem leisen Lachen, als ich meine Gegenwart zu begründen suchte.

      »Ich weiß schon,« sagte sie, »Sie warten auf Ihre Stiefel. Aber warum tun Sie es bei uns?«

      »Sie haben gewacht?«

      »Die Mutter findet schwer fort, wenn ich nicht schlafe, und da es doch sein muß, daß sie geht, schlafe ich, damit sie leichter fortfindet. Wie kommen Sie zu uns?«

      »Als ich über den Hausflur ging, hörte ich jemanden weinen und trat ein, man kann nie wissen ...«

      »Niemand hat in diesem Zimmer geweint.«

      »Mir schien es so.«

      »Sie wollen mir Bücher bringen? Da bin ich doch gespannt, was es sein wird. Haben Sie viele Bücher?«

      »Wenn ich ehrlich sein soll, so habe ich überhaupt keine, sie sind mir abhanden gekommen, oder liegen auf dem Dachboden meines Elternhauses, das nicht in dieser Stadt ist. Aber ich werde welche beschaffen, das wird mir nicht schwer.«

      »Machen Sie sich keine Mühe«, sagte sie langsam, lächelte und sah vor sich nieder. In ihrer Ablehnung, die keinesfalls Bescheidenheit war, lag trotzdem nichts von einer Kränkung.

      Mir war zumut, als habe die Welt, in der ich mich eben noch befunden hatte, sich jählings gegen eine andere vertauscht, als sei ich aus einer lauen, bedrückenden Luft, die von Bedürftigkeit und einem vagen Hang zu bereitwilligem Mitleid gesättigt war, plötzlich in einen herben Windzug geraten und in einen Bereich, in dem es nicht zu helfen galt, sondern zu bestehen. Ein leiser Unwille, dessen ich mich schämte, machte mich unsicher. Ich dachte: da sieht man es nun, jetzt sitzt du hier.

      Aber als ich dann den Blick hob und ihn ruhig in die Augen dieses Mädchens senkte, begriff ich, auf welche Art ich ihr mit dem Gefühl des Mitleids Unrecht getan hatte. Es wird das beste sein, ich sage es ihr, dachte ich, und begann zögernd:

      »Als ich dies Zimmer betrat und Umschau in ihm gehalten hatte, als ich Ihre Mutter und Sie gewahr geworden war, hatte ich das quälende Schuldbewußtsein, in das uns Mitleid zu stürzen vermag, aber seit ich nun in der ruhigen Helligkeit Ihrer Augen stehe, bin ich nichts mehr schuldig, Ihre Augen machen das Herz frei.«

      Das Mädchen richtete sich auf, stützte sich auf ihre Ellenbogen und sah mich in so großem Erstaunen an, daß ich, wie vor mir selbst, erschrak. Was habe ich denn gesagt? dachte ich. Ein leiser Schwindel ergriff mich, ich besann mich, als hätte ich jahrelang etwas Unnennbares vergessen, das ich heimlich dennoch gesucht hatte.

      »So bist du nun doch gekommen,« sagte das Mädchen schüchtern und langsam, aber mit großer Deutlichkeit, und als ich den Blick wieder hob, sah ich, daß sie so bleich war, wie das Leinen ihres Betts.

      Da ich keinen Mut hatte, zu glauben, fragte ich zögernd:

      »Wen hast du erwartet?«

      »Es gibt für uns alle nur einen Menschen, zu dem wir du sagen.«

      Nie hat mein Herz so schmerzhaft geschwankt wie unter diesen Worten, nie war es so von unfaßbaren Gewalten hin und her geworfen. Hoffnung und Mut, Zweifel, Aberglauben und Zuversicht stürzten sich wie Lichtströme und Nachtwolken über mich. Die Welt und die Menschen haben mich verdorben, dachte ich, denn wie kann mein Glaube am Tor dieser Wohltat zaudern, was hindert mich, den Garten zu betreten und zu sein, was ich bin, und zugleich immer zu erweisen gehofft habe, mir selbst und allen? Ich schäme mich, ein Mensch zu sein, dachte ich, daran sind wir alle krank. Aber darüber ward die Helligkeit der Genesung, die mir entgegenströmte und die zugleich aus mir hervorbrach, so mächtig in mir, daß ihr Licht meine Augen blendete.

      Asja erhob sich von ihrem Lager, trat auf mich zu und legte ihren Arm um meinen Hals. Ich sah ihr Gesicht dicht vor meinem und unter der nun ruhig gewordenen und zuversichtlichen Aufmerksamkeit ihrer Blicke, wußte ich, daß ich bestehen würde. Da begriff ich, was Dank ist; wieviel erlebte ich doch in diesen Augenblicken, ein ganzes Leben vermag es nicht auszumessen. Ich glaube, in Wahrheit leben wir alle nur ein paar Augenblicke, alles andere ist Ahnung, Erinnerung und Hoffnung. Dies aber war Wahrheit, und so sagte ich es Asja, denn sonst wußte ich im drohenden Ernst meines Glücks nichts zu sagen.

      Die Lichtabgründe ihrer großen Augen schienen das einzige zu sein, vor dem ich mich befand. Sie lag nun wieder still und grade vor mir auf ihrem Lager und sah mich an. Eine Weile sprach keiner von uns, ich ließ mich so an ihrem Bett nieder, daß ich ihr gegenüber saß, sie öffnete meine Hand und legte die ihre hinein, warm und fest, mit dem Rücken nach unten, als bettete sie sie in ein lebendiges Lager.

      »Bist du sehr krank?« fragte ich.

      Sie nickte und lächelte.

      »Wirst du gesund werden?«

      Sie schüttelte den Kopf, aber ihr Lächeln blieb.

      Ich