Название | Der Mensch als Rohstoff |
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Автор произведения | Christian Blasge |
Жанр | Математика |
Серия | |
Издательство | Математика |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783853718872 |
Ihr Ansatz basiert dabei auf einer radikalen Idee: dass die menschliche Intelligenz auf einige sehr wenige Algorithmen, vielleicht sogar nur auf einen einzigen Algorithmus zurückgeht.43
Ein Ableger dieser Technologie beschäftigt sich mit der Spracherkennung. Das Ziel besteht darin, eine Software zu entwickeln, welche die menschliche Stimme »versteht« und auf diese Weise eine tiefergehende, komplexe Kommunikation zwischen Mensch und Maschine ermöglicht. Das maschinelle Sehen ist ein weiterer Aspekt dieser Forschung: Danach sollen Computer so programmiert werden, dass sie Bilder ihrer Umgebung – ob Sonnenuntergänge, Katzen oder ein Fußballspiel – richtig interpretieren. In einem nächsten Schritt werden Maschinen einen Film analysieren oder ein Buch zusammenfassen lernen, doch dafür reiche die Rechenkraft noch nicht.
»Google Translate« stellt eine weitere folgenreiche Facette dieser Technologie dar. Mithilfe dieser Software lassen sich Texte aus und in nahezu 100 Sprachen übersetzen.44 Ein derartiger Universalübersetzer soll in Zukunft alle Sprachbarrieren in Luft auflösen – und einmal mehr wird von dem Entwickler des leistungsfähigen Übersetzungscomputers Franz Josef Och gepredigt: Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto besser funktioniert das System.
Vereinfacht gesagt, setzt der Computer existierende Übersetzungen in Beziehung zueinander und lernt eigenständig aus diesen Milliarden und Abermilliarden von Wörtern, wie er das am besten zu machen hat. […] Am Ende berechnen wir die Wahrscheinlichkeit einer Übersetzung.45
Das Verständnis und die richtige Interpretation von Humor, Sarkasmus oder Ironie liegen offenbar in greifbarer Nähe. Bei einer gelungenen Fertigstellung des Projekts soll das Sprachverständnis einer künstlichen Intelligenz – so die Entwicklerinnen – dem unseren haushoch überlegen sein. Werden möglicherweise ab diesem Zeitpunkt Maschinen unsere Bücher, Gedichte oder informativen Zeitungsberichte verfassen? In einem fortgeschrittenen Stadium soll die künstliche Intelligenz laut Geoffrey Hinton, einem führenden Forscher im Feld der künstlichen neuronalen Netze, in der Lage sein, uns je nach Suchanfrage in der Suchmaschine brauchbare wissenschaftliche Aufsätze zu liefern, die z. B. ein bestimmtes Medikament als wirksam einstufen. Zusätzlich könnte sie sämtliche Studien herausfiltern, bei denen die Verfasser offenkundig von der Pharmaindustrie bezahlt worden sind – und das in einem Bruchteil der Zeit, die ein Mensch für diese Aufgabe benötigen würde.46 Man vergegenwärtige sich die Fähigkeiten einer derartigen Maschine: Sie könnte die Bedeutung aller oben erwähnten Aspekte und den jeweiligen Kontext, in dem diese zum Einsatz kommt, verstehen und richtig interpretieren. Das gelingt nur, wenn diese Intelligenz das menschliche Denken nachahmt oder tatsächlich vollzieht. Der führende Entwickler in diesem Bereich stellt sich grundsätzlich nicht mehr die Frage, ob so etwas überhaupt möglich (oder gar sinnvoll) wäre, sondern nur noch, wann wir so weit sein werden. Googles Chefingenieur und bekanntester Vertreter wie Befürworter der »Maschinenherrschaft«, Ray Kurzweil, hat diesbezüglich bereits eine Voraussage getroffen:
Ende der 2020er werden wir das menschliche Gehirn komplett erforscht haben, was uns ermöglichen wird, nichtbiologische Systeme zu erschaffen, welche dem Menschen an Komplexität und Raffinesse in nichts nachstehen – dies schließt auch die emotionale Intelligenz ein.47
Um die dafür notwendige Rechenleistung zu erhalten, wird seit einigen Jahren an sogenannten Quantencomputern geforscht. Google hat 2013 – neben der NASA und dem Rüstungskonzern Lockheed Martin – von der kanadischen Firma D-Wave Systems Inc. einen Quantencomputer erworben. Dieser Rechner sollte in der Lage sein, einige der größten Herausforderungen der Informatik zu lösen. Google und Co. wenden dabei die Gesetze der Quantenmechanik in der Computerwissenschaft an. Das bedeutet, den Binärcode von 0 und 1, der die Grundlage der digitalen Informationsverarbeitung darstellt, zur gleichen Zeit, also in einem sich überlagernden Zustand zu berechnen. Die daraus resultierende Rechenkraft dürfte nach Aussage der Experten um ein Vielfaches schneller sein als die der klassischen Rechner und eine zweite Computerrevolution einleiten.48 Mithilfe dieser – mit einer vollständig erprobten, aber rechenintensiven Software ausgestatteten – Computer sollen nicht nur alle oben erwähnten Aufgaben gemeistert und zur Perfektion gebracht werden. Es kann überdies eine Maschine entwickelt werden, die aufgrund ihres Zugriffs auf sämtliche Daten der Welt in der Lage sein wird, stichhaltige Prognosen über künftige Ereignisse abzugeben.49 Der D-Wave Quantencomputer ist gegenwärtig nur bei bestimmten Aufgaben schneller als konventionelle Computersysteme, weswegen Google an der Entwicklung einer eigenen Version arbeitet.
Ein weiterer Teilbereich der künstlichen Intelligenz beschäftigt sich mit selbstfahrenden Autos. Dutzende fahrerlose Google-Autos sind regelmäßig auf den Straßen von San Francisco oder den kalifornischen Highways zu finden. Ein auf dem Dach angebrachtes Radarsystem schießt 64 Laserstrahlen in alle Richtungen und misst durch das reflektierte Licht des Lasers die Distanz zu einem Ziel. Der Software-Chef des Projekts, Dmitri Dolgov, reduziert die Komplexität dieser Technologie auf folgende Aussage:
Am Ende funktioniert das System ganz einfach: Der Computer wird mit einer Riesenmenge an Daten gefüttert. Heraus kommen zwei Zahlen, eine für Geschwindigkeit und die zweite für das Lenken.50
Analysiert man diesbezüglich einschlägige Zitate des zweiten Google-Gründers, Sergey Brin, so lassen sich einige Parallelen zu den jeweiligen Aussagen der drei Weisen aus dem Roman The Circle festhalten. Brin erwartet sich von dieser Technologie mehr Verkehrssicherheit und damit einhergehend eine Reduzierung der Unfalltoten – da die fahrenden Roboter niemals betrunken, abgelenkt oder unaufmerksam seien. Er möchte uns zudem mehr Zeit schenken, die wir nicht am Steuer vergeuden müssen – es soll uns ermöglicht werden, während der Fahrt unseren Interessen nachzugehen.51 Übrigens bräuchten nicht alle Menschen ein Fahrzeug. Dieses würde auf Bestellung angefahren kommen, uns abholen und zum gewünschten Ort transportieren. Verkehrsprobleme, fehlende Parkplätze, verstopfte Straßen und die daraus resultierende Umweltverschmutzung könnte man dadurch erheblich reduzieren. Man bedenke, dass ein herkömmliches Auto nur einen Bruchteil seiner »Lebenszeit« von seiner Besitzerin aktiv genutzt wird. In der restlichen Zeit steht das Fahrzeug herum – vergeudetes Potenzial. Selbstfahrende Autos befinden sich noch in der Testphase. Vier Millionen Meilen sind bereits auf einem Testgelände, auf dem Google bestimmte Straßen- und Verkehrssituationen durchspielt, zurückgelegt worden. Die Software lernt mithilfe von Sensoren das optimale Fahrverhalten bei Schnee und Regen. Sie lernt, Menschen, Tiere und Objekte voneinander zu unterscheiden und im Ernstfall den geringsten Schaden zu verursachen. Eine große Menge an Daten wird auf diese Weise gesammelt – je mehr, desto besser, denn die Software entwickelt sich ständig weiter. Bis zum Sommer 2015 war ein selbstfahrendes Auto 13 Mal in einen Unfall verwickelt – schuld war jedes Mal der menschliche Fahrer auf der Gegenseite.52 Dass das selbstfahrende Auto bereits in politischen Debatten erörtert wird, bewies die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Fragerunde im Juni 2017 in Argentinien. Danach sollen wir in 20 Jahren nur noch mit Sondererlaubnis selbst mit dem Auto fahren dürfen, da wir, also der Mensch, das größte Risiko im Verkehr darstellen.53 In den letzten Jahren – mit dem vorläufigen Höhepunkt im Sommer 2017 – ereigneten sich mehrere Terroranschläge, die mit Lastkraftfahrzeugen oder einfachen Pkw durchgeführt wurden. Das Argument der Sicherheit im Zusammenhang mit selbstfahrenden Autos gewinnt daher zunehmend an Gewicht.
Die biowissenschaftliche Abteilung der Dachorganisation Alphabet, »Verily Life Sciences«, beschäftigt sich mit weiteren potenziellen »Moonshots«, die an den Circle erinnern: Nanopartikel, also winzige Teilchen, sollen als Sensoren in den Körper geschleust werden und nach Krankheiten suchen bzw. Vitalwerte aufzeichnen – die Informationen werden an ein Armband weitergeleitet.