Der Mensch als Rohstoff. Christian Blasge

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Название Der Mensch als Rohstoff
Автор произведения Christian Blasge
Жанр Математика
Серия
Издательство Математика
Год выпуска 0
isbn 9783853718872



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die im Universum der Reproduktion ihren rechtmäßigen Platz einnehmen kann. Das Fotografieren kann nach Anders als Akt des »Aufnehmens« gedeutet werden – mit dem Bild hat man es nun geschafft, dieses oder jenes Objekt zu »haben«.

      Menschen, die sich vorwiegend in der seriellen Welt aufhalten, umgeben sich mit Reproduktionen bzw. Kopien von ursprünglichen Modellen. Nachbilder sind für sie eben das Wirkliche geworden.

      Die Ekstase der Tänzer ist echt. Statt sie selbst sind sie »außer sich«, um mit dem Gott der Maschine eins zu werden: »Industrieller Dionysos-Kult«. Was würde der Gelegenheitsphilosoph wohl über die heutige Popindustrie sagen oder über den Disc-Jockey, der die Maschinenmusik so deutlich verkörpert wie kein anderer vor ihm?

      Anders’ Analysen und Deutungen sind zeitgebunden und streitbar, aber doch in der Sache aufschlussreich, wie beispielsweise seine Überlegungen zum Arbeitsprozess am Fließband. An maschinisierten Tätigkeitsformen erkennt man, dass sich der Mensch in eine kraftraubende Gleichschaltung mit der Maschine begeben muss. Er wird sich an ihrem Tempo und Rhythmus orientieren – und ist ständig von der Angst beherrscht, nicht Schritt halten zu können. Die Arbeiterin soll in seiner wachsamen Selbstkontrolle einen Automatismus in Gang bringen. Sie muss sich zusammennehmen, um nicht als sie selbst zu funktionieren. Gerade diese Aufgabe scheint für Anders das entscheidende Paradox an einer solchen Arbeit zu sein. Denn in diesem Prozess erwächst die Zumutung, sich als Akteurin auszulöschen und die eigene Tätigkeit in einen automatischen Vorgang zu verwandeln sowie unter Kontrolle zu halten. Der Arbeiter mache sich auf diese Weise selbst zum Organ des Gerätes. Er lasse sich vom Gang der Maschine einverleiben, nehme seine eigene Passivmachung aktiv in die Hand und führe diesen Kreislauf selbstständig fort.

      Der an die Maschine angepasste Mensch bleibt sich selbst aber nicht vollständig fremd. Es kommt auch hier zu einer »Selbstbegegnung«. Die Begegnung mit sich selbst – seinem Körper und seinem Geist – findet jedoch nur durch ein negatives Ereignis statt: durch einen Moment, in dem der Konformismus misslingt und der Mensch sich als etwas Anstößiges, als Versager erfährt. Erst durch ein Versagen wird sich der Mensch somit seiner eigenen Identität wieder bewusst:

      Im Kapitel »Die ins Haus gelieferte Welt« untersucht Günther Anders Rundfunk und Fernsehen in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft. Er diskutiert seine These am Beispiel eines Gottesdienstes, der im Fernsehen ausgestrahlt wird, sodass eine Vielzahl an Menschen daran teilnehmen kann. Während des Betrachtens scheint es dem naiven Menschen, als ob er die Wirklichkeit und nicht bloß ein Abbild wahrnimmt. Die Inhalte des Gottesdienstes, die Musik und die Atmosphäre haben einen Einfluss auf den Beobachter – offenbaren aber eben auch eine andere, verborgene Tatsache: dass der Mensch an diesem gerade nicht teilnimmt, sondern allein dessen Bild konsumiert.

      Die Kritik, dass eine solche kritische Verallgemeinerung nicht akzeptiert werden könne, da es ausschließlich darauf ankomme, wie wir uns dieser Geräte bedienen, wird somit als Illusion entlarvt. Aufmerksamkeitsräuber, wie heutzutage das Smartphone, werden so konstruiert, dass sie nach ihrer ständigen Benutzung gieren bzw. diese anregen und Menschen bewusst in Abhängigkeit halten. Sie sind nicht wertneutral, sondern bringen den Menschen mit neuen Sachzwängen in Verbindung, sodass die Geräte vom Objekt zum Subjekt der Geschichte aufsteigen.

      Gleichzeitig interessiert sich Anders für den eigentlichen Akt des Konsumierens von Bildern im Fernsehen. Was tut der Mensch eigentlich, wenn er da im Wohnzimmer allein oder mit der Familie oder Freunden vor dem Fernsehgerät sitzt und sich unterhalten lässt? Er gleicht, so Anders, einem unbezahlten Heimarbeiter für die Herstellung des Massenmenschen. Millionen von Menschen wird eine stereotyp hergestellte Ware präsentiert. Jeder Fernsehkonsument wird (ganz wie das Präsentierte) als ein »unbestimmter Artikel« behandelt, als jemand ohne individuelle Eigenschaften. Massenmenschen produziert man dadurch, dass man sie Massenware konsumieren lässt. Je einsamer sie sind, umso ausgiebiger findet der Konsum statt. Durch den Konsum von Massenware wird der Mensch zum Mitarbeiter bei der Produktion bzw. durch Umformung seiner selbst zum Massenmenschen. Konsum und Produktion gehen in diesem Verfahren eine trickreiche Symbiose ein. Jedermann ist gewissermaßen als »Heimarbeiter« angestellt und beschäftigt. Vollends paradox wird dieser Vorgang dadurch, dass die Heimarbeiter, statt für ihre Tätigkeit entlohnt zu werden, zudem für das Gerät und dessen Sendungen