Eigensinn und Bindung. Daniel Hoffmann G.

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Название Eigensinn und Bindung
Автор произведения Daniel Hoffmann G.
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783766641168



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„Freiheiten“ der modernen Welt sahen natürlich anders aus: Für Muth naheliegend waren es zunächst Religion, Wissenschaft und Kunst, die der republikanische Staat, anders als der Obrigkeitsstaat, als von ihm unabhängige Kräfte anerkennen sollte, dann die Werte der Persönlichkeit, der Ehe, der Familie, der familiengerechten „Kindererziehung“ und des „Berufsgedankens“. Diese gesellschaftlichen Grundkonstellationen sollte eine christliche Demokratie vor den Nivellierungen und „Verstaatlichungstendenzen“ einer „rein sozialistisch entwickelten Demokratie“ schützen. Die neue, zukunftweisende politische Kraft einer christlich inspirierten Demokratie sollte noch zwei andere politische Lager im Zaum halten: eine liberal-sozialistische Kulturkampfkoalition, deren Wiederaufleben nach den Vorgängen in Preußen 1919 anscheinend möglich schien, sowie die „unbelehrbaren reaktionären Elemente“. Dabei setzte Muth seine Hoffnung auf die „republikanische Bewegung“ unter dem Zentrumsführer und Reichskanzler Joseph Wirth und auf die Weiterentwicklung der erprobten volksparteilichen Konzeption der Deutschen Zentrumspartei.20 Die neue Gruppierung sollte sozial auf der Einigkeit des „Besitzbürgertums“, einschließlich der Bauern, mit dem bereits von der christlichen Gewerkschaftsbewegung erfassten „arbeitenden Volk des vierten Standes“ beruhen.

      Konsequent maß Muth auch die Politik an den für die Literatur eingeführten Koordinaten: an der Verbindung von „Religion“ und „Freiheit“. Die tieferen Wurzeln der „staatsbürgerlichen Tugenden“, auf denen die Demokratie beruhte, allen voran Verantwortungsgefühl und Gewissen, fand er in den „Grundkräften des Christentums“ verankert. Muth deklamierte das nicht nur, sondern berief sich auf die Werke und historischen Forschungen ihm verwandter Geister, des Engländers Hilaire Belloc und des Spaniers Donoso Cortés. Ihnen hatte sich bei ihren Studien die Erkenntnis aufgedrängt, dass das allmähliche Verschwinden des aus der Antike überkommenen „Sklavenstaats“ auf eigentümliche Weise mit der Entwicklung der „christlichen Kultur“ zusammenhänge. Und auch jüngste kirchliche Entwicklungen schienen symbolisch zu bekräftigen, was nun auf dem weltlichen Gebiet gefordert war.

      Die Ausrufung des Christkönigsfestes an Silvester 1925 in Rom wurde Muth zum Zeichen, dass nach dem soeben erlebten Sturz vieler weltlicher Königsthrone nur das Königtum des Gottessohnes noch wahre Gültigkeit beanspruchen könne, dieses nun verstanden als Symbol für jene sittliche Kraft, die sich gegen alle weltliche Despotie richte. Das aus „religiösen Grundsätzen“ abzuleitende Gebot, die irdischen, stets „bedingten Erscheinungen“ nicht „zu verabsolutieren“, bezog Muth auf die Monarchie. Das Verbot der Absolutsetzung historischer „Erscheinungen“ wurde diesem Katholiken und Anhänger der Zentrumspartei gerade nicht, wie öfters zumindest über seine Gesinnungsgenossen zu lesen, zum Argument der Relativierung der republikanischen Staatsform. Vielmehr hat er die Republik ausdrücklich als zeitgemäß begrüßt. Dabei half ihm die von Georg von Hertling schon 1911 in Bezug auf die USA formulierte staatstheoretische, aber moderne Mentalitätsphänomene einbeziehende Erkenntnis, dass in den Augen seiner Bürger auch die „Institution“ eines „Freistaats“ einen „geheiligten Charakter“ gewinnen könne – wie vordem der Royalist dem Königtum ein „religiöses Empfinden“ entgegengebracht habe. Die „demokratische Form“ allein reichte Muth nicht aus; die Aufgabe war, „das Demokratische mit den Grundkräften des Christentums“ zu „verbinden“, also die Vertiefung der Republik zur „Gesinnungsdemokratie“.

      Muth schlug sich mit solchen Reflexionen auf die Seite erprobter Politiker der Zentrumspartei wie Hertling (der Anfang 1919 verstorben war) und Joseph Joos, 1920 bis 1933 Reichstagsmitglied der Zentrumspartei, seit 1927 Vorsitzender des Westdeutschen Verbands der Katholischen Arbeiterbewegung.21 Er bewahrte sich so den Blick für die politische Realität. Ohnehin glaubte er, dass nach 1918 eine „überparteiliche Politik“ ein Widerspruch in sich geworden sei. Demgegenüber ließen die Historiker Friedrich Fuchs und Philipp Funk, beide geschätzte Mitarbeiter am „Hochland“, eine gewisse Distanzierung vom politischen Katholizismus erkennen, wenn sie diesem nur eine Hilfsfunktion oder Vorreiterrolle in dem von ihnen als vorrangig erachteten Ringen um Fortschritt und Gleichberechtigung auf dem Gebiet des deutschen Kulturlebens zugestanden.22

      Wege zum Widerstand

      Die Bildungselite um die Zeitschrift „Hochland“ erlebte nach 1933 eine ganz andere „Volksgemeinschaft“, als Muth sie propagiert hatte. Während viele katholische Presseorgane, namentlich die Tageszeitungen mit ihrer vielfältigen landschaftlichen Verwurzelung, rasch unterdrückt, verkauft oder verboten wurden, erlebte das „Hochland“, wie das Gros der katholischen Zeitschriften überhaupt, bis zu seinem Verbot im Juni 1941 einen Aufschwung in Gestalt einer Auflagensteigerung. Diese fiel vor allem in die zweite Hälfte der 1930er-Jahre. Die Gründe dafür sind schwer nachweisbar. Zunächst einmal werden die Periodika von dem Verschwinden der katholischen Tagespresse profitiert haben. Speziell für das „Hochland“ dürfte zutreffen, dass sein hohes intellektuelles Niveau Verständnisschwierigkeiten mit sich brachte und darum der Zensur des Nationalsozialismus nicht so viele direkte Angriffsflächen und Anhaltspunkte bot. Dazu kam, dass die Monatsschrift eine Abonnentenschar in vielen Ländern der Welt besaß, im Ausland sehr angesehen war und ein Verbot dort allzu deutlich als Beispiel für die Unterdrückung der Geistesfreiheit in Deutschland hätte herangezogen werden können.

      Auch entwickelte „Hochland“ unter den Bedingungen der Diktatur und gemäß den ausdrücklichen Vorgaben der Redaktion die Kunst, die ihm und seinen Lesern wichtigen Inhalte verdeckt und indirekt zu vermitteln. Einerseits musste die Gemeinschaft mit einem geistesverwandten Lesermilieu aufrechterhalten werden; andererseits war eine Form oder Verpackung zu wählen, die unauffällig und angepasst genug zu sein schien, um nicht offiziell Anstoß zu erregen.23 Dazu gehörte auch die Verwendung von Pseudonymen für die Autoren zeit- und regimekritischer Beiträge. Schließlich kam es in Einzelfällen doch zu einer Anpassung an die übermächtigen Zeitumstände. So verharmloste ein Artikel des angesehenen französischen Paläographen und Patristikers Dom Germain Morin den deutschen „Blitzkriegs“-Angriff auf Frankreich mit historischen Argumenten, wurde aber dennoch vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda abgelehnt.24 Das Genus dieser Widerstandsliteratur, das von plumpen Interpretationen verkannt wird, ist noch nicht genügend untersucht und gewürdigt.

      Vor allem während der letzten Phase des Aufstiegs der „Hitlerbewegung“ publizierte das „Hochland“ allerdings eindeutig ablehnende Stellungnahmen. Sie wiesen über Tagesgesichtspunkte hinaus und enthielten bereits gültige Argumente für eine historische Analyse des Totalitarismus-Phänomens. Das traf vor allem für die Aufsätze des promovierten Juristen, Soziologen, Schriftstellers und politischen Kommentators russisch-jüdischer Herkunft, Elias Hurwicz,25 zu. Er war auch mit Analysen der russischen Revolution hervorgetreten, die er ablehnte, obwohl er für ihr Entstehen aus den in Russland herrschenden Zeitverhältnissen großes Verständnis zeigte. Hurwicz musste dann Deutschland verlassen. Aus der langen Lebenserfahrung des Zeitzeugen prangerte er die Marxismus-Renaissance nach 1945 als „Wiederkehr des Vorgestrigen“ an.26 Hurwicz fasste 1933 zunächst den übersteigerten Nationalismus als Bedingung für den Aufstieg des Nationalsozialismus in den Blick, kritisierte die Übertreibung national- und machtstaatlichen Denkens dieser – insofern nicht neuen – „Bewegung“. Weitere Bedingungen für den Erfolg des Nationalsozialismus sah er in dem bei den Deutschen verfangenden Personenkult, im ersatzreligiösen Auftreten der Bewegung sowie in der auf bloßen Stimmenfang berechneten, inkohärenten, „buntscheckigen“ Programmatik.

      Die ideologische Auseinandersetzung des „Hochland“ mit dem Nationalsozialismus lässt sich summarisch drei Grundlinien zuordnen:27

      1. Der „geistige Widerstand“ aus dem religiösen Bereich legte einem Staat, der die bürgerliche Ordnung hinter sich ließ, eine unzulässige Grenzüberschreitung zur Last, weil er sich über das Gewissen und die Freiheit der Kirche hinwegsetze und insofern eine Tendenz zur Totalität zeige. Autoren des „Hochland“ wollten aber die natürliche Ordnung – als eine Voraussetzung der Gnade – erhalten wissen. Sie verteidigten auch das von den Nationalsozialisten angegriffene Alte Testament als integrierenden Bestandteil des christlichen Glaubens und widersprachen dem Antisemitismus der nationalsozialistischen Rassenlehre. Sie bezeichneten