Eine Alte Dame Ging Hering. Rich Schwab

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Название Eine Alte Dame Ging Hering
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862871889



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in Probekellern und Tourbussen, Autobahnraststätten und Hotelbars, in engen, aber zugigen Garderoben, auf Stadthallenbühnen und Schützenzeltpodesten, in Doppelbetten und WG-Küchen und an, über den Daumen, zwölf– bis fünfzehnhundert Theken, dann muss man nicht mehr so viel reden (richtig, Manni: Wat sommer spreche?).*

      Ich hatte wahrhaftig nicht die geringste Lust, die halbe Nacht damit zu verbringen, irgendwelchen mehr oder weniger alten Jungs auf die Finger zu klopfen, weil sie an meinen knackigen Arsch wollten. Aber allein Bérats geflochtene Slipper waren ganz klar mehr wert als alles, was wir in den letzten sieben Wochen an Kohle verbraten hatten, inklusive Spritgeld, und der Gedanke an was Anständiges zu Fressen und zu Saufen ließ all meine Bedenken in einem bösartigen Magenknurren verklingen. Und dass es Veedelnoh nicht anders ging, war ihm leicht anzusehen.

       11

       Ein Prosit der Gemütlichkeit

      Ich habe keine Ahnung von Schiffen – nach meiner Kenntnis hätte das matt schimmernde babyblaue Metall Platin oder Titan sein können oder von mir aus auch das Zeug, mit dem sie Badewannen beschichten. Hier hatte also jemand die seine von außen beschichten lassen.

      Nach dem Weg über die breite Lochgitter-Gangway traten wir jedenfalls auf honigfarbene Mahagoniplanken, die so auf Hochglanz poliert waren, dass man sich unwillkürlich nach den Filzpantoffeln umsah, gegen die man seine Straßentreter tauschen könnte. Die Kabinenaufbauten hätten auch eine schöne Villa über dem Genfer See abgegeben. An den beiden Masten hingen, zusammengerefft bis auf ein dekoratives in der Mitte, nicht mal halb so groß wie die Leinwand des Porzer Autokinos, lachsfarbene Segel aus einem Stoff, der aussah, als könnten wir uns nicht mal ein Hemd daraus leisten.

      Obwohl wir ein neues Hemd gut hätten vertragen können. Im Schnellwaschgang hatten wir beide mit Meerwasser und Françoises Shampoo unsere weißen – na ja, fast weißen – Penner’s Radio-T-Shirts mit dem tanzenden Berberpärchen und unsere bleichen Jeans präsentabel gemacht, die Haare gewaschen, die Fingernägel gesäubert, mit Olivenöl unsere Gitarren poliert und unsere Stiefel geputzt, und wenn Manitas de Plata vom Band aus den großzügig verteilten Lautsprechern weiter unser Magenknurren übertönte, konnte man uns glatt für halbwegs zivilisiert und Bérats Gästen zugehörig halten.

      Als erstes fielen einem natürlich die für St.Tropez obligaten dünnen blonden Mädels mit den vorwitzigen Brustspitzen, den blendend weißen Zähnen und den goldenen Kettchen um goldbraun gebratene Fußgelenke auf – irgendwo hier an der Küste musste es eine florierende Klitsche geben, wo sie im Akkord vom Fließband purzelten, am Ende vielleicht von lederhäutigen alten Hutzelmännern mit maisgelben Kippen im Mundwinkel und am Hinterkopf festgewachsenen staubigen Baskenmützen hin- und her gedreht und abgetastet, ob sie auch der Norm entsprachen. Was, wenn nicht, fragte ich mich – wurden sie einfach in einen großen Drahtcontainer geschmissen und am nächsten Morgen wieder in die erste Maschine gefüttert? Kamen sie in eine Ausschuss-Sendung und landeten in Algier auf einer Versteigerung? In Düsseldorfer Frisiersalons? In der Parfümerie-Abteilung des Kaufhof? Oder in den neuen Cafés an den Kölner Ringen, wo ein Scheiß-Kaffee mittlerweile zwei Mark und eine halbe Flasche Bier soviel wie zwei Kaffee kostete – was deren Kundschaft überhaupt nichts ausmachte, weil ein Gutteil dieser Mädels ja noch diesen einträglichen Nebenjob hatte?

      Dann gab’s da heute noch auffällig viele Jungs in engen Badehosen bis über die Oberschenkel, mit spitzen Hinterteilen und haarlosen Brustkörben, auf denen goldene Kruzifixe, Seesterne oder Anker baumelten, über und über eingeölt bis in die gelockten schwarzen Haarspitzen, alle schlank und höchstens Einssechzig, keiner viel über Zwanzig, alle mit einem schiefen kleinen Waisenjungenlächeln – aus einer italienischen Nachbarfabrik?

      ***

      »’allooo, meinö Freundö!«, kam Bérat strahlend und mit ausgebreiteten Armen auf uns zu, »Fühlt eusch wie zu ’ause! Schön, dass ihr komm’ konntete!« Er umarmte uns beide gleichzeitig, wobei mir nicht entging, dass er Veedelnoh kurz ein Knie zwischen die Schenkel schob. An seinem entfernt nach Russisch Leder duftenden Hinterkopf vorbei guckte ’noh mich an und verdrehte die Augen.

      »Bittö, legt doch eure Instrumente ab und bedient eusch erst einmal am Büffet«, führte er uns an sechs bis achtzehn Kabinenfenstern vorbei zu drei Tischen, mit denen ein normaler rheinischer Pfarrsaal schon halb voll gewesen wäre. Mir lief die Spucke im Maul zusammen: Eine Kollektion exotischer Früchte, von denen ich nicht mal die Hälfte beim Namen kannte, Kristallschalen voll schwarzglänzendem Kaviar in silbernen Wannen mit Eiswürfeln, Pyramiden von Wachteln, Shrimps so ausladend wie Kuhhörner, sechzehn Sorten gegrillter Fisch, achtundzwanzig verschiedene Salatkreationen, sämtliche Brotsorten Europas; auf Warmhalteplatten brutzelnde Kalbsmedaillons und Rehrückensteaks, ein Gebirge von Käselaiben, eine Armada von Schinkensorten, ein Arsenal an Dips und Dressings, Cremes und Saucen, Pfeffermühlen in allen Farben der Provençe, und auf dem mittleren Tisch ein Thunfisch so groß wie ein Zwillingskinderwagen, aus den Schnittwunden an seiner Seite dampfend und resigniert mit blinden Augen Manitas’ Sevillanas lauschend.

      Bérat schnippte mit den Fingern, und ein Bürschchen in Weiß drückte uns Champagnerkelche in die Finger. Mit einem entzückenden Klingeling stießen wir an. »Maintenant bedient eusch erst einmal und lasst es eusch gutgehn! Nach’ er isch möschtö eusch sseigen mein bateau und ein paar Gästen vorstellen – c’est bon

      Klar fanden wir das c’est bon und bestätigten es ihm. ’noh nahm sich einen Teller und das Buffet in Angriff.

      »Franzmänner«, knurrte er, »keine Reibekuchen, keine Currywurst, kein Kartoffelsalat.«

      »Un’ kein Bier«, ergänzte ich und packte ein paar Shrimps auf einen zweiten Teller. »An un’ für sich is et Blues.«

      »Jenau. Gib mir auch mal so’n Tier. Hier – tausche gegen eine Scheibe Was-weiß-ich.« Das aufmerksame weiße Männchen griff in eine Kühltruhe hinter sich und präsentierte uns zwei Flaschen Tuborg, von denen dampfend das Eiswasser tropfte. »Au!« machte ’noh. »Sehr schön, aber lass mal – darauf kommen wir sicher später zurück.«

      »Wenn’s gemütlich wird«, erklärte ich ihm, als es anfangen wollte zu weinen. Es lächelte verbindlich. Wie Sie wünschen – der Gast ist König. Aber hinten in seinen braunen Augen schimmerte aufkeimender Argwohn – was mochten diese beiden Typen wohl unter gemütlich verstehen?

      ***

      Na, für den Anfang mal ein paar hundert Meter vor der Hafeneinfahrt von St.Tropez vollgefressen auf einer Luxusyacht neben einem Swimmingpool sitzen, groß genug für ein Wasserballspiel der Oberliga, auf Liegestühlen, die sich anfühlen wie Nasti Kinskis Nachthemden, zur Verdauung einen Cognac schlürfen, der mehr Sterne hat als General Steinhoff, genüsslich eine rauchen und sich Fischbrötchen begucken. Ach, woher ich das mit Nastis Nachthemden weiß? Keine Ahnung – aber so sollten sie sich anfühlen, fand ich.

      Und Mokka gab es natürlich, aus goldenen Tässchen, wohl eine Spende von Disney nach dem Dreh von Schneewittchen, andauernd kam eine Tüte mit höchstwertig duftendem Kongo-Gras auf ihrer Runde vorbei, und einmal hielt mir einer ein goldenes Tablett unter die Nase, beladen mit einem Sortiment von bunten Pillchen und weißen Pülverchen – Nastis Papi hätte hier seine helle Freude gehabt.

      »Wenn dat Blues is’, Büb, kann mir der Scheiß-Rock’n’Roll gestohlen bleiben«, meinte ’noh nach einem ausgiebigen melodiösen Rülpser. Sofort kam ein weißer Handschuh und füllte ihm seinen Schwenker wieder auf.

      »Wenn du nie wieder Rock’n’Roll spielst, werd’ ich Harfenist im Gürzenich*, du Spinner. Du weißt so gut wie ich, dass so ein Leben uns nach ’nem Monat – spätestens – tierisch auf die Nüsse gehen würde. Wir würden uns aus lauter Langeweile ’nen Kasten lauwarmes Küppers* bestellen,