Schattendasein. Michael Albus

Читать онлайн.
Название Schattendasein
Автор произведения Michael Albus
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783766643100



Скачать книгу

blauen Flüchtlingspass. Hassim ist bei allen sehr beliebt.

       Kaffee? – frage ich ihn. „Sehr gerne!“ antwortet er. Gemeinsam gehen wir in die Küche.

       Na? Alles klar bei dir? Wie ist das Leben in der neuen Wohnung? – „Alles Super! Ich werde wie ein Bruder behandelt. Mir wurde ein PC geschenkt und viele Möbel. Wir gehen oft in Konzerte und machen Ausflüge. Die Deutschen sind so nett zu mir!“ – Das freut mich Hassim. Du bist echt von Gott geliebt, antworte ich ihm.

       Bevor ich anfange, mit ihm das Gespräch zu führen, meint Hassim abwehrend: „Ich will nicht über Syrien sprechen. Ich habe so viel Schlimmes gesehen. Aber gerne teile ich mit dir meine Erfahrungen während der Reise. Ist das ok?“, fragt er. Natürlich, sagte ich ihm: Ich bin dankbar für alles, was immer du mir mitteilen möchtest.

       Hassim sitzt leuchtenden Augen voller Aufregung auf seinem Stuhl und meint: „Yallah, ich bin bereit!“

      EF

      Hassim, wie war dein Leben vor dem Krieg?

      Hassim (in der Folge H)

      Mein Leben war sehr schön! Ich habe viel Zeit mit meiner Familie und mit meinen Freunden verbracht. Jeden Tag, wenn ich von der Schule zurückgekommen bin, hatte meine Mutter schon das Essen vorbereitet, und wir aßen in aller Ruhe zu Mittag. Am Nachmittag war ich dann unterwegs mit meinen Freunden.

      EF

      Du bist aus Homs, richtig?

      H

      Genau. Homs war eine wunderschöne Stadt, mit viel Natur in der Umgebung.

      EF

      Hast du Geschwister?

      H

      Ja. Ich habe einen jüngeren Bruder und drei ältere Schwestern. Das Schönste für mich war immer, mit meiner Familie zusammen zu sein, mich nicht fremd zu fühlen, in einem anderen Land.

       Hassim seufzt …

      Das ist das Schwierigste für mich in Deutschland: Ich bin hier ganz allein. Niemand von meiner Familie ist hier. Das macht mich sehr einsam.

      EF

      Hassim, du hast in Homs studiert und warst schon im zweiten Semester. Richtig?

      H

      Ja, richtig. Ich habe Maschinenbau studiert. –

      Bevor ich mein zweites Semester abschließen konnte, fing der Krieg an. Damals war ich 18 Jahre alt. In diesem Alter war es Pflicht, Militärdienst zu leisten.

      Eines Tages, auf dem Weg zur Universität, wurde ich am Checkpoint angehalten. Ich wurde herausgeholt, und mir wurde von den Soldaten gesagt: „Heute ist dein letzter Tag in der Universität. Morgen kommst du zur Militärbasis, bringst alle deine Papiere mit und meldest dich zum Militärdienst!“

      Ich ging nach Hause und erzählte alles meinen Eltern. Sie besprachen sich in der Nacht lange und ausführlich. Am frühen Morgen sagten sie mir, dass es aus ihrer Sicht das Beste für mich sei, wenn ich in den Libanon gehe. Klar, meine Eltern wussten, was es heißen würde, wenn ich als Soldat mitten in diesen Konflikt geraten würde.

      Ende 2012 floh ich dann in den Libanon.

      EF

      Warst du alleine im Libanon? Blieben deine Eltern in Syrien zurück?

      H

      Ja, meine Eltern blieben in Syrien. Mein Vater hatte seine eigene Firma. Eine Transportfirma, um Menschen von Homs nach Beirut zu bringen. Dadurch konnte ich mehrmals meinen Vater im Libanon treffen, ihn fragen, wie es der Familie geht. Das hat vieles erleichtert. Doch das blieb so nicht auf längere Dauer.

      Ein paar Monate danach wurde mein Vater an einem Checkpoint festgenommen und ins Gefängnis geworfen. Eineinhalb Jahre blieb er im Gefängnis in Homs. Während dieser Zeit hatte meine Familie keinerlei finanzielle Unterstützung. Somit arbeitete ich im Libanon und habe Geld nach Hause geschickt. Mein Vater wurde erst entlassen, nachdem meine Familie 13.000 Dollar gezahlt hatte. Seitdem habe ich meinen Vater und meine Familie nicht mehr gesehen.

      EF

      Du hast aber jetzt Kontakt mit deiner Familie?

      H

      Gott sei Dank! Meinem Vater geht es gut. Meiner Familie auch. Sie leben unter dem Schutz der Barmherzigkeit Gottes.

      EF

      Lebt deine Familie noch in Homs?

      H

      Nein. Unser Haus wurde bombardiert. Meine Familie floh in ein Dorf in der Nähe, das Aldiea heißt. Gott sei Dank es geht ihnen gut. Erst gestern habe ich mit ihnen telefoniert.

      Aber sie berichteten, dass jetzt schon ganz in der Nähe von Aldiea geschossen wird.

      EF

      Warum entschied sich deine Familie nicht, mit dir zusammen zu fliehen?

      H

      Das ist eine schwierige Geschichte. Mein Vater hat die Mentalität der älteren Generation. Er will nicht aus dem Land seiner Väter und Urväter weggehen. Ihm ist es lieber, in Syrien zu sterben, als auszuwandern. Ich habe mehrmals versucht, meine Mutter zu überzeugen, dass sie mit meinen Schwestern zu mir in den Libanon kommt. Doch mein Vater war auch dafür nicht. Damals sprach ich jeden Tag mit meinem Vater: „So Gott will kommst du zu mir in den Libanon!“ Doch mein Vater antwortete immer: „Wir sind in Syrien geboren, und was Gott für uns bestimmt hat, das ist für uns bestimmt!“

      EF

      Du hast dich dann Ende 2015 entschieden, nach Deutschland zu flüchten.

      H

      Genau. Die politische Situation im Libanon wurde von Tag zu Tag unstabiler. Es gab große Spannungen zwischen der libanesischen Bevölkerung und den syrischen Flüchtlingen. Ich will nicht in die Details gehen. Ich fühlte mich nicht mehr sicher.

      Ich dachte mir auch, dass die Zukunftsmöglichkeiten für mich in Deutschland viel besser sein würden als im Libanon. Meine Eltern waren anfangs nicht dafür und meinten, dass ich im Libanon doch noch in relativer Nähe bei ihnen wäre.

      Nach langem Dialog meinten meine Eltern dann doch: „Wir lassen dich frei. Entscheide, was für dich das Beste ist.“

      So entschied ich mich Ende 2015, meine große Reise zu organisieren.

      Ich bin erst in die Türkei gereist, dort verbrachte ich ein paar Tage bei meiner Tante.

       Es klopft an der Tür! „Ja? Wer ist da?“, frage ich. „Ich bin es, Abbas.“ – „Dann komm rein!“

       Abbas ist, wie Hassim, auch ein allein reisender, dreiundzwanzig Jahre junger Mann aus Syrien. Er kam heute extra zu Besuch zu mir, um seine Geschichte zu erzählen.

       Strahlend kommt er herein! „Boh! Ist das heiß bei euch in den Büros!“

       Wasser? Kaffee? Tee?

       „Wasser bitte!“

       Ich erkläre Abbas ganz kurz, dass wir gerade über Hassims Reise sprechen. „Ja, super, dann reise ich einfach spontan mit!“

      „Sababa! Super!“, sage ich.

      EF

      Jetzt erzähl’ mal, Hassim! Wie hast du die Reise organisiert?

      H

      Ich hatte Kontakt mit einem Schleuser in der Türkei. Er war Syrer. Dieser wiederum hatte Kontakt mit einem Schleuser in Griechenland. Das waren hoch organisierte Banden in der Türkei.

      In Iskandarun, einem Städtchen an der syrischen Grenze, haben wir uns zusammengefunden und sind von dort nach Izmir gefahren. Von Izmir weiter bis nach Cesame und von dort mit dem Boot übers Meer auf die griechische Insel Chios.

      Du