Schattendasein. Michael Albus

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Название Schattendasein
Автор произведения Michael Albus
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783766643100



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Das war möglich, weil Elizabeth Fleckenstein die Sprachen der Angekommenen sprach, selber Krieg erlebt hat, in Frontlinien gearbeitet hat, und die Geflüchteten Vertrauen zu ihr hatten.

      So konnten wir Berichte hören, bekamen Geschichten erzählt, die uns den Atem stocken und eine Ahnung in uns davon wachsen ließen, was im „modernen“ 21. Jahrhundert abgeht. Der Geschmack des Elends ist nicht mehr Tausende von Kilometern weit entfernt, sondern ist bis vor unsere Haustüre gekommen. Jetzt kann man nicht mehr einfach auf einen anderen Sender umschalten, nicht mehr einfach sagen: Ich wusste es nicht. Jetzt ist die ganze Gesellschaft damit konfrontiert. Altes, nichts Neues. Dafür aber brutaler als je zuvor. – Welches Gesicht trägt der Mensch?

      Während wir an diesem Buch arbeiteten, starb Rupert Neudeck. Ein alter Flüchtling, Helfer und Freund in einem, der in die Abgründe unserer Zeit geblickt hat – und nicht davongelaufen ist. Kurz vor seinem Tod hat er noch einen Text verfasst, den wir in dieses Buch aufgenommen haben, weil er beispielhaft ist und erhöhte Nachdenklichkeit auslösen kann – in diesem, unserem Lande.

      Wir wissen, dass das Thema, um das es hier geht, fast schon ironisch gesagt, eine Attraktivität ganz eigener Art hat. Das heißt: Es reizt, abzuwehren, zu sagen: Uns reicht’s! Wir wollen und können das nicht mehr lesen, hören und sehen!

      Jedoch: Flucht und Vertreibung ist keine einzelne, auf bestimmte Regionen der Erde beschränkte Erscheinung. Flüchtlinge gibt es überall. Viele von ihnen führen auch deswegen ein Schattendasein, weil wir kaum oder gar nicht über sie berichten oder sie nicht in den Blickpunkt unseres persönlichen oder öffentlichen Interesses nehmen. Wir würden das Thema auch überreizen.

      Um diesen „Reiz“ wussten und wissen wir. Und dennoch, oder gerade deswegen: Vergesst die Flüchtlinge nicht! In ihnen begegnen wir uns selber. Unseren humanitären Gipfeln und unseren zynischen Abgründen. Machen wir uns nichts vor: An dem Thema entscheidet sich, ob wir noch oder wieder zur Menschlichkeit fähig sind oder nicht. Es geht dabei um uns Menschen selber. Um nichts mehr, aber auch um nichts weniger.

      Wir danken, denen, die den Mut hatten, offen zu sein. Ihre Namen haben wir geändert, damit sie nicht unter die Räuber fallen.

       Herbst 2016

      Elizabeth Fleckenstein Michael Albus

      Denk an den Anderen

       Denk an den Anderen

       Wenn du dein Frühstück bereitest, denk an den Andern

       und vergiss nicht das Futter der Tauben.

       Wenn du in deine Kriege ziehst, denk an den Andern

       und vergiss nicht jene, die Frieden fordern.

       Wenn du deine Wasserrechnung begleichst, denk an die Andern,

       die ihr Wasser aus den Wolken saugen müssen.

       Wenn du zu deinem Hause zurückkehrst, deinem Hause, denk an den Andern und vergiss nicht das Volk in den Zelten.

       Wenn du schlafen willst und die Sterne zählst, denk an den Andern,

       der hat keinen Raum zum Schlafen.

       Wenn du dich mit Wortspielen befreist, denk an den Andern

       und denk an jene, die die Freiheit der Rede verloren.

       Wenn du an die Anderen in der Ferne denkst, denke an dich,

       und sage: Wäre ich doch eine Kerze im Dunkeln.

       Mahmud Darwisch, *1941 in al-Birwa bei Akko, Palästina, † 2008 in Houston/Texas. Darwish wurde als die poetische Stimme seines Volkes bezeichnet. Das Gedicht wurde übersetzt von Hakam Abd al-Hadi, *1939 in Jenin, Palästina

      Um Sharif aus Syrien

       Es ist Samstagmorgen, wir sitzen im Büro des Deutschen Roten Kreuzes in der Erstaufnahmeeinrichtung in Freiburgs alter Stadthalle.

       Um Sharif und zwei andere Frauen, Basima und Djamila, sind da. Sie möchten ihre Geschichte erzählen.

       Als ich fragte, ob es Um Sharif lieber ist, dieses Gespräch alleine und vertraulich mit mir zu führen, meinte sie: „Nein! Die anderen Frauen können gerne dabei sein, denn hier ist es wie in einer Familie.“

       Wir trinken frischen Kaffee und essen ein paar Nüsse, die auf dem Tisch liegen. Im Orient ist es ein Code, eine Sitte, eine Gewohnheit, wenn ein Gast kommt, ihm etwas zu essen zu geben und ihm Kaffee oder Tee anzubieten.

       Kurz danach fragt mich Djamila, ob es okay ist, wenn die Bürotür geschlossen wird. – „Klar doch!“ antworte ich.

       Dann nehmen die drei Frauen ihre Kopftücher ab. „Heiß ist es hier, gell?“ bemerke ich.

       Die zwei Frauen meinten darauf: „Ja, endlich bläst etwas Luft durch die Haare!“

       Wir machen es uns so gut wie möglich gemütlich, und das Gespräch beginnt langsam.

      Elizabeth Fleckenstein (in der Folge EF)

      Um Sharif, aus welchem Land kommst du?

      Um Sharif (in der Folge US)

      Ich bin aus Syrien. Habe in der Provinz Idlib, in einem Dorf mit Namen Ladiie gelebt.

      EF

      Du bist Mutter. – Wie viele Kinder hast du?

      US

      Fünf Kinder. Amir, Faris, Samira, Sharif, Fida. Eigentlich sechs. Aber ein Kind von mir ist an Krebs gestorben.

       Es tritt plötzlich Stille ein. Die beiden anderen Frauen blicken nach unten … Um Sharif fährt fort …

      Wir hatten ein gutes Leben. Ich habe mit meinen Kindern gelebt, und konnte es kaum erwarten, meine Kinder aufwachsen zu sehen. Wir hatten ein Leben, von dem man eigentlich nur träumen kann. Dann hat sich mein erstgeborener Sohn verlobt. Und er und sein Bruder fingen an zu arbeiten.

      Ich war auch berufstätig, hatte eine gute Arbeit. Ich war Friseurin. Den Friseursalon habe ich innerhalb meines Hauses eingerichtet. Damit konnte ich mich und meine Familie versorgen. Es fehlte uns an nichts. Alhamdulillah! Dank sei Gott!

      Wir konnten ausgehen, Ausflüge machen. Das Haus war mein Eigentum. Ich musste keine Miete zahlen.

      Aber dann kam das Jahr 2011. Plötzlich fing es mit dem Krieg an.

      EF

      Wie alt waren deine Kinder damals?

      US

      Kurz bevor der Krieg angefangen hat, hatte mein ältester Sohn seinen Militärdienst gerade beendet. Er war gerade neunzehn Jahre alt geworden. Faris war sechzehn, Samira war vierzehn. Meine Kleinsten, die mit mir gegangen sind: Sharif war damals elf und Fida fünf Jahre alt.

      Der Krieg fing zuerst in Daraa an. Als wir von den Unruhen gehört haben, dachten wir uns: Es wird sich wieder bald beruhigen! Doch das war leider nicht der Fall. Genau eine Woche später griffen die bewaffneten Auseinandersetzungen auch auf unser Dorf Ladiie über.

      Die Fronten verliefen damals noch zwischen dem Militär und der Freien Syrischen Armee. Das geschah im Monat Ramadan 2011.

      EF

      Also war es im August?

      US

      Genau! Alle haben gefastet und wussten oder begriffen nicht wirklich, was um uns herum geschah.

      Ich war damals beim frühen Morgengrauen in meinem Haus.

      Plötzlich