Stress bei Hunden. Clarissa v. Reinhardt

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Название Stress bei Hunden
Автор произведения Clarissa v. Reinhardt
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783936188646



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Adrenalin, ein zu den Katecholaminen gehörender Botenstoff (Neurotransmitter), verursacht zahlreiche Veränderungen im Körper, wie die Steigerung der Pulsfrequenz und der Herzleistung, die Erhöhung des systolischen Blutdrucks und des Blutzuckerspiegels, die Erweiterung der Bronchien und der Pupillen sowie eine Förderung des Sauerstoffverbrauchs und eine Vermehrung der freien Fettsäuren im Blut. Außerdem wirkt Adrenalin auf die Hypophyse, wo es eine vermehrte Freisetzung des Botenstoffs ACTH verursacht, und damit indirekt auch auf die Nebennierenrinde, die vermehrt Stresshormone wie Cortisol an das Blut abgibt (siehe Grafik 2).

       Grafik 2: Darstellung der Auswirkung von Stress auf den Regelkreis

      Stress führt also über das endokrine System, das heißt über das Hormonsystem, zu einer Erhöhung des Blutdrucks und zu einer Steigerung der Herzleistung und -frequenz. Gleichzeitig wird durch die Hormonwirkung den Körperzellen mehr Energie in Form von Glukose und freien Fettsäuren zur Verfügung gestellt. Mit anderen Worten führt Stress zunächst zu einer optimalen Leistungsbereitschaft. Dies kann man als biologischen Sinn des Stresses bezeichnen, denn in der Natur ist es überlebenswichtig, dass der Organismus auf einen Schreck oder auf starke Anspannung mit optimaler Leistungsbereitschaft reagiert. Nur so kann sich ein Individuum zum Beispiel durch Flucht retten oder ein Beutegreifer bei der Jagd erfolgreich sein. Diese Form des Stresses kann man auch als positiven Stress oder Eustress bezeichnen.

       REAKTIONEN AUF STRESS

      Zunächst reagiert der Organismus auf anhaltenden Stress mit starker Erschöpfung. Wenn danach keine längere Erholungsphase möglich ist, muss mit so genannten Anpassungskrankheiten gerechnet werden.

      Natürlich kann der Körper diesen Alarmzustand nicht beliebig lange aufrechterhalten und so kommt es zu negativen Auswirkungen, wenn die starke Anspannung länger anhält oder es häufig zu einer Schreck- oder Schocksituation kommt. Zunächst kommt es während der Widerstandsphase zu einer verminderten Toleranz gegenüber neuen Stressreizen. Dauert die Belastung an, reagiert der Organismus auf Stress mit starker Erschöpfung. Wenn danach keine längere Erholungsphase möglich ist, muss mit so genannten Anpassungskrankheiten gerechnet werden.

      Ein Hauptverursacher der Anpassungskrankheiten ist Cortisol. Normalerweise hat Cortisol eine Halbwertzeit von 20 Minuten, das heißt, nach 20 Minuten ist der Cortisolspiegel im Blut auf die Hälfte gefallen. Tierversuche haben ergeben, dass unter Stresseinwirkungen die negative Rückkoppelung der Cortisolausschüttung nicht mehr funktioniert und so innerhalb weniger Tage vier Mal mehr Cortisol nachzuweisen war als normalerweise. Befand sich das Tier in einer Situation, die ein dauerhaftes Gefühl der Erwartungsunsicherheit und/ oder Hilflosigkeit verursachte, verstärkte sich dieser Effekt enorm. In der Humanmedizin geht man heute übrigens davon aus, dass Depressionen unter anderem auf diesen Effekt zurückzuführen sind.

      In genau dieser Situation der Erwartungsunsicherheit und Hilflosigkeit befindet sich unser Hund aber tatsächlich häufig. Zum Beispiel kann er den Verlauf von Situationen, die von uns Menschen gesteuert werden, nicht einschätzen. Oft ist es zusätzlich so, dass wir die Situation nicht mit dem nötigen fachlichen Wissen erfassen und uns deshalb unangemessen verhalten. In große Erwartungsunsicherheit kann man den Hund beispielsweise stürzen, wenn man meint, ihm etwas Gutes damit zu tun, dass man ihn nicht regelmäßig füttert, sondern ihn das Futter bei unterschiedlichen Gelegenheiten ausschließlich erarbeiten lässt. Wenn für den Hund hierbei kein Muster und keine Regelmäßigkeit erkennbar sind, befindet er sich bezüglich einer überlebenswichtigen Ressource – nämlich Futter – in Erwartungsunsicherheit. Andererseits sollte man es sich auch nicht zur Gewohnheit machen, den Hund immer auf die Minute exakt zur selben Zeit zu füttern, denn Hunde haben eine sehr genaue innere Uhr. Hält man die gewohnte Zeit einmal nicht genau ein, kann auch das ein Stressauslöser sein.

      Das Gefühl der Hilflosigkeit vermitteln wir unserem Hund auch dann, wenn er durch eine kurz gehaltene Leine, das Führen am Halti oder Ähnlichem daran gehindert wird, adäquat auf eine Situation zu reagieren. Der Hund möchte gern Distanz zwischen sich und den anderen bringen oder einen Bogen laufen, wird daran aber gehindert, oftmals sogar nach dem Motto „Da muss er durch!“ genau in die Situation hinein geführt, die er vermeiden möchte.

      Ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel im Blut führt zu einer Verminderung der körpereigenen Abwehrkräfte. Eine weitere Folge sind häufig Magen-Darm-Erkrankungen wie Magengeschwüre und chronischer Durchfall. Langfristig kann die Nebenniere stark geschädigt werden. Auch Veränderungen des Herz-Kreislauf-Systems wie Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall und viele weitere Krankheiten können auf anhaltenden Stress zurückgeführt werden. Ebenfalls in Zusammenhang mit dauerhaft erhöhtem Cortisolspiegel stehen Fortpflanzungsstörungen. Sowohl für das Reifen der Eizellen bei weiblichen Tieren als auch für die Produktion von Testosteron und die Entwicklung der Spermien bei männlichen Tieren ist ein Botenstoff der Hirnanhangdrüse, das so genannte luteinisierende Hormon LH, notwendig. Durch Cortisol wird die Ausschüttung von LH gehemmt und damit das Reifen von Eizellen bzw. Spermien in den Keimdrüsen (Eierstöcken beim weiblichen, Hoden beim männlichen Tier) unterdrückt. Die Probleme bei der Nachzucht von Tieren in Gefangenschaft, wie zum Beispiel im Zoo, kann man auf diesen Effekt zurückführen.

      Durch das ebenfalls von der Nebennierenrinde ausgeschüttete Aldosteron kann es langfristig zu Verschiebungen im Mineralstoff- und Wasserhaushalt kommen, was sich auch durch erhöhten Blutdruck bemerkbar macht.

      Hinzu kommt noch ein weiteres Problem: Ein gestresster Organismus reagiert mit geschärften Sinnen, weshalb wir, wenn wir gestresst sind, den Fernseher schnell als zu laut oder das eingeschaltete Licht im Wohnzimmer als zu grell empfinden usw. Beim Hund macht sich das dadurch bemerkbar, dass er sensibilisierter auf Geräusche, Bewegungen usw. reagiert. Und leider handelt es sich hierbei um die sprichwörtliche Katze, die sich in den Schwanz beißt, denn:

      Zusammenfassend kann man feststellen, dass ein gewisses Maß an Stress sinnvoll und für die optimale Leistungsbereitschaft des Körpers sogar notwendig ist. Jeder Organismus kann Stress bis zu einem gewissen Punkt kompensieren, ohne schädliche Folgen davonzutragen. Die Frage, wo dieser Punkt liegt, ist abhängig vom Ausmaß der Stresseinwirkung. Kompensiert der Körper Stress-Situationen, das heißt, gewöhnt er sich an einen bestimmten Stresspegel, spricht man vom Anpassungssyndrom oder auch Coping.

      Ist dieser Vorgang des Copings nicht mehr möglich, kommt es zu Anpassungskrankheiten wie oben beschrieben und man spricht von Distress (siehe Grafik 3).

       Grafik 3: Positive und negative Folgen von Stress

      In Grafik 3 wird neben den verschiedenen stressbedingten Erkrankungen eine erhöhte Aggressionsbereitschaft als mögliche Folge von Stress aufgeführt. Auch das ist auf die Hormonausschüttung zurückzuführen. Verantwortlich ist hier unter anderem das Sexualhormon Testosteron. Neuere Studien an Hunden zeigen, dass in bestimmten Stresssituationen trotz der erhöhten Cortisolausschüttung auch ein erhöhter Testosteronspiegel nachweisbar ist. Ein anschauliches Beispiel für die durch Testosteron erhöhte Aggressionsbereitschaft lässt sich bei den Tierarten finden, die eine auf wenige Wochen im Jahr beschränkte Paarungszeit haben, wie zum Beispiel Rotwild. Häufig sind es hier die Männchen, die ein oder mehrere Weibchen um sich scharen und jetzt besonders ablehnend und aggressiv auf andere Männchen reagieren. Sie sind nun ständig bereit, ihre Weibchen gegen Rivalen zu verteidigen.

      Dieses Verhalten tritt nur während der Paarungszeit auf und steht in engem Zusammenhang