Das Mitteldeutsche Seenland. Vom Wandel einer Landschaft. Lothar Eißmann

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Название Das Mitteldeutsche Seenland. Vom Wandel einer Landschaft
Автор произведения Lothar Eißmann
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783867295093



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fossilgewordenes Auensediment in Bewegung gebracht würde. Allein rund Dreiviertel der schätzungsweise 25000 m³ Schwebstoff pro Jahr könnten sich im See absetzen. Ein Delta aus Sand und Kies mit feinkörnigem Sediment am Fuß baute sich in den See vor. Das Beispiel des im ehemaligen Bitterfelder Kohlerevier gelegenen und von der Mulde durchflossenen vormaligen Tagebaus Muldenstein, der heutige Muldestausee, lehrt uns diese Entwicklung. Dennoch dauerte es mindestens 2000 bis 3000 Jahre, bevor der See weitgehend ausgelöscht wäre. Einzig der Mensch mit seinen technischen Mitteln und Naturkatastrophen nicht gekannten Ausmaßes könnten die natürliche Lebensdauer aller Seen in extremer Weise verkürzen, durch technische und biologische Maßnahmen freilich auch verlängern. Hinsichtlich der langlebigen Hochflächenseen ist sogar an ein ganz stilles Ereignis ihrer Auslöschung zu denken, an eine neue Inlandeisinvasion, freilich nicht vor 50000 Jahren.

       Eine neue Generation von Geschichtsarchiven

      Die neuen Seen werden in Zukunft nicht nur die plakativsten ins Auge fallenden Zeugen der größten Erdumwälzung am Südrand des Norddeutschen Tieflandes der letzten Jahrtausende sein. Mit ihnen beginnt auch eine neue Archivierungsphase mit der Basis »21. Jahrhundert nach Christus«, nämlich die der kommenden Jahrtausende. Wie sich in den Ablagerungen der älteren Naturseen über Tausende von Jahren biologisch, lithologisch wie geochemisch der Gang der erdgeschichtlichen Prozesse, des Klimas und, mit beiden gekoppelt, der biologischen Entwicklung, seit rund 7000 Jahren auch die Aktivität des Menschen spiegelt, wird sich in den Sedimenten der Tagebaurestseen vom Tag der Flutung die künftige, in immer stärkerem Maße anthropogen überprägte Entwicklung der Natur reflektieren. Der zu erwartende zyklische Aufstieg und Niedergang in der Kulturgeschichte künftiger Menschengeschlechter wird dabei dominant abgebildet und den natürlichen Gang wohl oft bis zur Unlesbarkeit überprägen. Möglicherweise werden sich die Höhen der Kultur in Sedimentmarken der Seepflege bzw. geringer Eutrophierung, die Tiefen in der anthropogenen Veränderung der Seen äußern, in Zuständen, wie wir Gegenwärtigen sie bei ungezählten Seen dieser Erde registrieren müssen, meistens sogar in Regionen wirtschaftlicher Hochkultur, wo in nur wenigen Jahrzehnten einer jahrtausendelangen Seegeschichte die Gewässer ihre naturgegebene Balance verlieren, unter dichten Pflanzenteppichen erblinden oder zu Kloaken verkommen.

       Werden die Seen das Klima verändern?

      Oft wird nach den Auswirkungen der Seen auf das Wetter, ja sogar auf das Klima gefragt. Wir müssen uns auf wenige apodiktische Bemerkungen begrenzen.

      Zunächst ist festzuhalten, dass die Verdunstung über offenem Wasser wesentlich größer ist als über Landflächen. In der weiteren Umgebung von Leipzig beträgt die Verdunstung bei einem realen (korrigierten) mittleren Niederschlag von etwa 630 mm/Jahr rund 475 bis 500 mm. Über geschlossenen Wasserflächen kann von rund 700 mm ausgegangen werden. Sie liegt damit rund 70 mm höher als der Niederschlag. Als anschauliches Beispiel hierfür kann der am Südwestrand der Stadt Leipzig gelegene und ausschließlich durch Niederschläge gespeiste und über viele Jahrzehnte als Freizeitsee genutzte Leipziger Elsterstausee gelten. Nach Kappung seiner künstlichen Wasserzuführung ist der ehemals knapp 50 Hektar große und über dem Wasserspiegel der vorbeifließenden Weißen Elster liegende Flachsee zu einem nur periodisch wasserführenden Standgewässer, einem »Himmelteich«, mutiert, der gegenwärtig trocken liegt. Die nicht unerhebliche Zunahme der Verdunstung, die auch zu einem nennenswerten regionalen Wasserverlust durch die entstehenden Bergbauseen führt, und das gegenüber dem Boden stark abweichende thermische Verhalten des Wassers müssen sich auf das Mikroklima zumindest der engeren Seeregion auswirken. Die Feuchtigkeit steigt, die sommerliche Schwüle und die Anzahl ihrer Tage nehmen zu. Sie erfährt insofern eine gewisse Kompensation, als die Windgeschwindigkeiten mit wachsender Streichlänge über den Seen etwas ansteigen. In der kalten Jahreszeit ist über und im Umkreis der Seen auch mit stärkerer Nebelbildung zu rechnen. Insgesamt werden unter dem Einfluss der Seen die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht geringer, die Temperaturen also ausgeglichener. Die Beträge dürften jedoch in geringer Seeentfernung – wenige Kilometer – vielfach schon unter der subjektiven Wahrnehmungsgrenze liegen.

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      image Wolkentürme über dem Kraftwerk Lippendorf und dem Zwenkauer See. 2012.

      Geologische Gesamtschnitte durch das südliche Mitteldeutsche Seenland

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      image Geologischer Süd-Nord Schnitt durch das südliche Mitteldeutsche Seenland – Vom Restloch Zechau im Süden über den Haselbacher See, den Großstolpener See, den Kahnsdorfer See zum Störmthaler See im Norden.

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      image Geologischer West-Ost Schnitt durch das südliche Mitteldeutsche Seenland – Vom Restsee »Vollert-Süd« im Westen über den Restsee »Kamerad«, den Mondsee, den Restsee »Phönix-Nord«, den Prößdorfer See, den Luckaer See zum Haselbacher See im Osten.

      Die Seen durchschneiden immer vollständig die eiszeitlichen Ablagerungen der Region, den größeren Teil der braunkohlenzeitlichen Formation aus Meeres-, Fluss- und Moorablagerungen (Braunkohle), stellenweise bis zu deren Basis aus Kaolin und Fels. Man beachte die Dichte der eingetragenen und zur Rekonstruktion verwendeten Bohrungen als Ausdruck des hohen Erkundungs- und Erforschungsgrades.

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      image Konkretes Bohrprofil der geologischen Abfolge im Tagebau Groitzscher Dreieck (heutiger Luckaer See)

       DAS MITTELDEUTSCHE SEENLAND

       DER SÜDEN

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      image Panoramaübersicht mit Blick nach Norden vom Kulkwitzer See mit Kulkwitzer Teilbecken und angrenzender, bewaldeter Hochkippe (im Bild vorn links) und Miltitzer Becken mit Lausener Bucht und angrenzendem Neubaugebiet von Leipzig-Grünau (im Hintergrund). 2007.

       DIE STADTNAHEN SEEN – LEIPZIGER NEUSEENLAND

       Kulkwitzer See

       Braunkohlentagebau Kulkwitz-Miltitz

      Die wertvollste Hinterlassenschaft in denkbar größter Großstadtnähe des genau 100 Jahre bei Markranstädt betriebenen Braunkohlenbergbaus ist der ca. 30 Mio. m3 fassende Hohlraum der Tagebaue Kulkwitz und Miltitz. Der Braunkohlenbergbau hatte 1864 mit Tiefbau begonnen und fand nach mehreren Unterbrechungen 1936 eine Fortsetzung mit dem ein Jahr später eröffneten Übertageaufschluss »Christian«, der sich allmählich über die Felder Kulkwitz und Miltitz bis zum Sicherheitspfeiler der verlegten B 87 ausdehnte. 1963 fand die Bergbautätigkeit ihren endgültigen Abschluss. Schon im März 1963 war die Wasserhaltung eingestellt worden. Die Geburtsstunde für die Entstehung des ersten großen Bergbausees am Rande der Großstadt Leipzig mit ihrer unmittelbar benachbarten rund 100000 Einwohner zählenden DDR-Neubausiedlung Grünau wurde eingeläutet.

      Der Tagebau gewann