Название | Nachschlag Berlin |
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Автор произведения | Johannes J. Arens |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783940621566 |
Für Berlin typische Muster lassen sich in ,Goodbye to Berlin‘ nicht entdecken, vielmehr enthält der Roman die Schilderungen des alltäglichen Mangels, wie er am Vorabend der nationalsozialistischen Diktatur auch in anderen deutschen Städten zu finden ist.
Diese bedeutete ab 1933 neben einer politischen, spätestens mit den Vorbereitungen auf die Kriegswirtschaft gegen Ende der 1930er Jahre, auch eine Gleichschaltung‘ der Ernährung. Regionale und persönliche Präferenzen wurden den militärischen Belangen untergeordnet, unter anderem wurde der Nahrungsmittelverbrauch unter ökonomischen Gesichtspunkten gezielt beeinflusst. So versuchte das Regime die Essgewohnheiten der Menschen auf Produkte zu lenken, die in ausreichender Menge zur Verfügung standen, wie beispielsweise Brot, Gemüse und Rübenzucker statt Eiern, Fleisch und tierischem Fett.21 Für die Ernährungstraditionen bedeutete dies eine dauerhafte Schwächung, da die Bevölkerung eher nach den Prinzipien der modernen Agrarwissenschaften als nach den Grundlinien der bisherigen Ernährungslehre versorgt wurde. Damit war für eine ganze Generation der Ausnahmezustand auch beim Essen zur Normalität geworden. 22
Die ersten Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren nach wie vor geprägt von Mangel und Unterversorgung. In Berlin verstärkte sich die Ungewissheit durch die Aufteilung der Stadt unter den vier Besatzungsmächten und die Blockade des Westteils der Stadt durch die Sowjetunion. Die Ernährung wurde in Ost wie West wieder in den Dienst der herrschenden Ideologie gestellt; die Mahlzeit zum Politikum. Während im Ostteil der Stadt eine Grundversorgung der Bevölkerung nur durch unwirtschaftliche Subventionen und eine bis 1958 beibehaltene Rationierung von Lebensmitteln notdürftig aufrecht erhalten werden konnte, profitierte Westberlin vom raschen wirtschaftlichen Aufschwung der Bundesrepublik.
Ernährungserziehungsarbeit
1951/52 ließ das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eine Studie mit dem Titel ,Erhebung über die Ernährungsverhältnisse in 25 Westberliner Haushalten mit Kindern‘ durchführen. 23 „Wir verfügen wieder über Lebensmittel in so großer Auswahl, daß das Kochen wieder Spaß macht” , heißt es dort, „unsere Wahl wird meist vom Geldbeutel her bestimmt.” Umso wichtiger sei es, das knappe Geld derart anzulegen, dass es der Gesundheit am zuträglichsten sei.24 Die Frage einer gesunden Ernährung wird somit an ökonomische Aspekte gekoppelt. Die Vergeudung von Lebensmitteln wird hier zwar nur als nebensächlicher Punkt angesprochen, sie wird aber bei der Versorgungsproblematik während der Berlinblockade von 1948/49 eine nicht zu vernachlässigende Rolle gespielt haben. Die Studie befasst sich schwerpunktmäßig mit Frühstück, Mittagessen und Abendessen und wertet sowohl Einkauf, Zubereitung und Verzehr, als auch den Kontext der Mahlzeiten (Alltag, Feiertage, Unterschiede im Jahreslauf) aus. Es ist eine wertvolle Dokumentation zeitgenössischer Ernährung innerhalb eines durch die Insellage Westberlins klar definierten Raumes. Aber auch abseits einer reinen Datensammlung lassen die Formulierungen und inhaltlichen Schwerpunkte der Studie interessante Einblicke zu. So wird beispielsweise der Anteil der süßen Hauptgerichte zum Mittagessen (beispielsweise Hefeklöße mit Backobst oder Pflaumenknödel) mit 8,1 Prozent gegenüber den Vorjahren (1950: 9,7 Prozent) als rückläufig angegeben. Eine Tatsache, die sowohl die Verdrängung regionaler Ernährungsmuster als auch eine steigende Wertigkeit und vor allem Verfügbarkeit von Fleisch sichtbar werden lässt. Auch politisch-ideologische Aspekte wurden sorgsam in den Text integriert. So wird betont, dass eine ganzjährige Versorgung mit Zitrusfrüchten wieder problemlos möglich sei, was auch als Hinweis auf die schwierigen Verhältnisse in Ostberlin zu lesen ist. Die Schulspeisung und die Speisung im Kinderhort schließlich, an denen die Kinder aus 22 der 25 Haushalte teilnahmen, zeigt, dass die Restauration der Kernfamilie aus Vater, Mutter und Kind noch nicht vollständig vollzogen war. Noch gebot die ungewisse Zukunft Berlins zumindest teilweise eine Versorgung durch die öffentliche Hand. Gegen Ende der Adenauer-Ära verschwand diese nahezu sozialistisch anmutende Gemeinschaftsversorgung fast vollständig und die Mahlzeiten kehrten - im übertragenen Sinn - in den ,Schoß der Familie‘ zurück.
Die Rolle der Hausfrau als pflichtbewusste Versorgerin der Familie wird im Text ganz explizit formuliert: „Auch die geplagte Berliner Hausfrau bemüht sich, den geselligen Charakter des Abendessens, das für viele Familien zum ersten Mal am Tage eine Stunde ruhigen Beisammenseins bedeutet, durch Abwechslung in Speisen und Getränken zu betonen und durch die liebevolle Herrichtung der Speisen zur Behaglichkeit beizutragen.” Das Gesamtergebnis der Studie ist hingegen wenig schmeichelhaft. „Zusammenfassend ist auch hier wieder festzustellen” , heißt es im Fazit, „daß besondere Zeichen einer gepflegten Kochkultur nicht anzutreffen waren.” 25 Die Berliner Küche sei nüchtern und praktisch, ernährungsphysiologisch nicht unzweckmäßig und ihre Protagonistinnen durchaus aufgeschlossen. Aber auch in den gepflegtesten Haushalten seien kaum kulinarische Feinheiten zu finden gewesen. Als Alltagsessen würden einfache Gerichte wie Pellkartoffeln, Quark und Leinöl, Hefeklöße mit Backobst, Pflaumenknödel, schlesisches Himmelreich (geräucherter Schweinebauch mit Backobst und Klößen) und Dampfnudeln bevorzugt. Brühe mit Eierstich, gebratenes Hähnchen mit Blumenkohl und brauner Butter, Kartoffelbrei und Schokoladenpudding mit Soße seien schon ein Feiertagsessen besonderer Art.
Diktatur der Kellner
Während das bundesdeutsche Wirtschaftswunder langsam aber sicher auch in Westberlin die Küchen, Kantinen und Restaurants erreichte, unterlagen die Versorgungsverhältnisse auf der anderen Seite der Grenze ganz anderen Gesetzmäßigkeiten. Im ,real existierenden Sozialismus‘ war eine offene Kritik an der staatlichen Ernährungspolitik nur bedingt möglich, da sie eine Infragestellung der herrschenden politischen Verhältnisse bedeutet hätte. Die Journalistin Jutta Voigt beschreibt in ihrem Buch ,Der Geschmack des Ostens‘ die Wertigkeit von Essen und Trinken in der DDR. Man habe sein Geld für Lebensmittel ausgegeben, weil man anderes nur mit viel Warten oder gar nicht habe bekommen können, der hohe Verbrauch der DDR-Bürger an Fleisch, Zucker, Butter und Eiern in den 1980er Jahren sei Weltspitze gewesen. „Wir aßen aus Lust und Frust, aus Begeisterung und Verzweiflung, aus Langeweile und der chronischen Angst, nicht genug zu kriegen.” 26 Die DDR sei eine proletkultische Gesellschaft gewesen, so Voigt, was sich in einer Vorliebe für kräftiges, kalorienreiches Essen, für große Portionen und Alkohol geäußert habe. 1958 ordnete der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht die Versorgung der Bevölkerung auf Weltniveau an, bezeichnete sie als ökonomische Hauptaufgabe des jungen Staates und kündigte an, die Bundesrepublik in den kommenden drei Jahren im Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch und Butter überholen zu wollen.
Doch die Umsetzung dieser großspurigen Ankündigung erfolgte nicht an allen Orten mit dem gleichen Engagement. Ostberlin wurde, durch seine Zugänglichkeit für Bundesbürger und westliche Ausländer, zum ,Schaufenster des Sozialismus’. Die Mangelwirtschaft war hier nur in abgeschwächter Form zu spüren, seine Einwohner in vielerlei Hinsicht privilegiert. Auch außerhalb einer direkten Einflussnahme durch die Politik unterlag die Esskultur der DDR und im besonderen die ihres Aushängeschilds Ostberlin besonderen Bedingungen. Voigt spricht in ihren aufschlussreichen Schilderungen des Alltags von einer ,Diktatur der Kellner‘ .27 Die Bediensteten der Restaurants und Gaststätten und in einem vergleichbaren Maße auch die Verkäuferinnen und Verkäufer des staatlich gelenkten Lebensmittelhandels, wussten als Überbleibsel des überwundenen kapitalistischen Systems innerhalb einer sozialistischen Gesellschaft die Macht ihrer paradoxen Position zu nutzen. Einerseits ein Relikt einer ständischen Klassengesellschaft, andererseits die Speerspitze des neuen Deutschlands, hatte das Personal die Anweisung, den Kunden oder Gästen gleichberechtigt gegenüberzutreten, was sich in einer konstanten Bevormundung, Zurechtweisung und Erniedrigung des Gegenübers manifestierte. „Der Kunde duckte sich unter