Nachschlag Berlin. Johannes J. Arens

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Название Nachschlag Berlin
Автор произведения Johannes J. Arens
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783940621566



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Potsdamer Hof überforderten auf Dauer jedoch den Staatshaushalt. Friedrich Wilhelm I., der ab 1713 regierende Sohn des ersten preußischen Königs, reduzierte daher den täglichen Aufwand auf ein Minimum. Er beschränkte die repräsentative Hofhaltung auf gelegentlichen Prunk bei politisch relevanten Ereignissen und ordnete so die Repräsentation deutlich dem Ausbau militärischer Kapazitäten unter. Die wirtschaftliche Ordnung des Staates bewegte sich in den kommenden Jahren weg von der Luxusproduktion für Hof und Adel hin zu Zulieferung und Versorgung für das wachsende Heer. Alles in allem waren es keine guten Voraussetzungen für die Entwicklung einer vorbildhaften höfischen Küche. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, mit der Hofhaltung Wilhelms II., wurde weniger ein preußischer, sondern ein gesamtdeutscher kaiserlicher Hof zum Vorbild bürgerlicher Nachahmung.5

      24 Mark pro Kuvert

      ,Aus dem Privatleben der Kaiserfamilie‘ lautet der Titel eines Kapitels des albumartigen Buches ,Der Hof Wilhelm des Zweiten‘ von 1911. Selbstverständlich sei es nur wenigen Erdenbürgern vergönnt, das intime Familienleben des Kaisers aus eigener Anschauung kennen zu lernen, so der Verfasser, er verlasse sich in seinen Ausführungen jedoch auf einen „gut orientierten“ Gewährsmann. Was folgt ist eine detaillierte Beschreibung des kaiserlichen Tagesablaufs, der mit der gegenwärtigen Berichterstattung von Illustrierten wie ,Gala‘ oder ,Bunte‘ mithalten kann. Mit der Feststellung, dass die kaiserliche Küche ein Reich für sich sei, mit einer streng geregelten Verfassung, dem Hofmarschall unterstehend, nimmt der Autor zunächst Bezug auf spezifisch preußische Eigenschaften wie Disziplin und Kontrolle. In Aufbau und Hierarchie erinnere die Organisation der Küche an eine militärische Einheit, heißt es im Text, der erste Küchenmeister gebiete über zwei andere Küchenmeister, über 14 Mundköche, vier Süßbäcker und die 40 Leute des Unterpersonals, deren Zahl bei festlichen Gelegenheiten noch erheblich verstärkt werde. Die Versorgung des Kaisers und seiner Gattin wird zu einer Art Dauerkampfeinsatz.

      Der Tagesablauf des Kaisers sah drei Hauptmahlzeiten vor. Den Tag begann Wilhelm II. mit einem warmen Fischgericht, einem warmen Fleischgericht mit Gemüse und Kartoffelpüree, dazu Tee, Kaffee und warmes Gebäck. Das Mittagessen, zweites Frühstück oder Luncheon genannt, wurde gegen halb zwei serviert und bestand aus Suppe, Fisch, Fleisch mit Gemüse, Braten mit Kompott und Salat, süßer Speise und Käsegebäck. Das Abendessen oder Souper umfasste eine kleinere Vorspeise sowie ein Fleischgericht mit frischen Gemüsen, Kompott und eine süße Speise. Als bedürfe diese Aufzählung höfischen Luxus einer Rechtfertigung, wird betont, dass an der Tafel des Kaisers, solange er im engeren Kreise speise, kein besonderer Aufwand betrieben werde. Lediglich bei den Diplomatendinners werde ein größerer Prunk entfaltet, die Gäste mit zwölf Gängen bewirtet, die mit 24 Mark pro Kuvert (Gedeck) veranschlagt werden. Nehme der Kaiser hingegen sein Mittagsmahl im Kasino eines seiner Regimenter ein, so achte er stets darauf, dass die von ihm verzehrten Speisen einen Gesamtpreis von 2,50 Mark nicht überschreiten. Auch auf Reisen, ob im Sonderzug oder mit der Hohenzollern, der kaiserlichen Yacht, werde das Menü stets vorher beim Hofmarschallamt eingereicht, welches den mitzuführenden Proviant bemesse und zur Verfügung stelle. Lediglich Gebäck werde telegraphisch auf einer Bahnstation bestellt.

      Auch eine aktuelle Publikation beschreibt die Esskultur am Hof des letzten deutschen Kaisers nur bedingt von Genuss und Sinnlichkeit geprägt. Wilhelm verzehrt nicht viel in der Öffentlichkeit, heißt es in ,Die Tafelfreuden der Preußischen Könige‘ von 2005, „und was ihm serviert wird, verspeist er im Eiltempo.” 6 Seine Fähigkeiten als Gastgeber seien, trotz seiner Vorlieben für theatralische Inszenierungen, eher beschränkt gewesen. In der Beschreibung der persönlichen Präferenzen des Kaisers von 1911 wird die Fassade des höfischen Prunks noch ein Stück weiter verbürgerlicht: Wilhelm II. bevorzuge gebundene Suppen mit viel Reis, er habe auch gerne ein Stück Fleisch, dazu leichte Rheinweine. Bekannt sei außerdem die Vorliebe des Staatsoberhaupts für Pschorrbräu, das ihm sowohl an den Bierabenden im Schloss, in den Offizierskasinos und nach dem Dinner bei den Botschaftern vorgesetzt werde. Die einfachen Tafelgewohnheiten des Kaisers seien auf Hofmarschall von Liebenau zurückzuführen, heißt es fast entschuldigend im Text, der in der Jugend von Wilhelm II. darüber gewacht habe, dass der Etat des Prinzen nicht überschritten werde.

      Ein feiner Tisch mit Beigabe von Delikatessen aller Art

      Es gab jedoch genug Stimmen, die in den Inszenierungen des kaiserlichen Hofes endlich die kulturelle Repräsentation sahen, die der deutschen Hauptstadt und dem Reich im allgemeinen entsprach und die alles davor Gewesene als armselig verwarfen. Diese Auffassung muss um die Jahrhundertwende weit verbreitet gewesen sein, so dass sie im Jahr 1903 Jenny Sommerfeldt und Elise Weber veranlasste, die Aufzeichnungen ihrer Großmutter Friederique Charlotte Fontane unter dem Titel ,Wie man in Berlin zur Zeit der Königin Luise kochte‘ zu veröffentlichen. 7 Die Rezeptsammlung ist auf das Jahr 1795 datiert, also 13 Jahre bevor Auguste Wilhelmine Friederique Charlotte Fontane den Maler und Musiklehrer Pierre Barthelemy Fontane heiratete. Dieser war bis zur Niederlage gegen die napoleonischen Truppen 1806 Kabinettssekretär der Königin Luise von Preußen, Ehefrau Friedrich Willhelms III., gewesen - ein Umstand der der Authentizität des Kochbuchs sicher nicht abträglich war, das von den Schwestern im Eigenverlag publiziert und erst gegen Ende der 1980er Jahre wieder neu verlegt wurde. „Es wird im Allgemeinen die Anschauung vertreten, als sei im ,armen‘ Preußenland um die Wende des 18. Jahrhunderts bis weit über die März-Tage hinaus ein feinerer Geschmackssinn nicht ausgeprägt gewesen” , heißt es im Vorwort der Herausgeberinnen. Dabei habe man auch um das Jahr 1800 bereits „einen feinen Tisch mit Beigabe von Delikatessen aller Art” sehr wohl gekannt und zu würdigen gewusst. Man hegte, trotz der vergleichsweise kleinen Auflage, dabei große Ansprüche, sprach von einem kulturhistorischen Dokument und einem praktischen Ratgeber und ging davon aus, durch die Veröffentlichung verschwundene Gerichte in modernisierter Form wieder dauerhaft zu etablieren.

      Das Kochbuch ist eine breit aufgestellte Sammlung, die europäische Einflüsse erkennen lässt. So finden sich Rezepte für das holländische Fischgericht ,Water-Zode’, den ,Herzog von Buckingham’s Pudding‘ oder einen ,Spanischen Streuselkuchen‘ mit Zimt, Muskat und Zitronenschale. Aber auch regionale Gerichte aus anderen deutschsprachigen Regionen sind enthalten, wie etwa ,Weiße Nürnberger Kuchen‘ oder eine ,Carlsbader Mehlspeise’. Während Gerichte wie ,Fricassee von jungen Hühnern mit Champignons‘ durchaus auch eine Nachahmung höfischer Vorbilder erahnen lassen, finden sich einfache Gerichte, wie beispielsweise ,Arme Ritter’, die als Resteverwertung von altem Weißbrot eine gewisse bürgerliche Sparsamkeit bezeugen. Regionale Gerichte mit konkretem Berliner beziehungsweise Brandenburger Bezug lassen sich hingegen nicht finden.

      Das Buch der Fontane-Schwestern ist als Reaktion auf die gesellschaftlichen Verschiebungen im Rahmen des ökonomischen Aufschwungs seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu verstehen. Vermutlich sahen die Schwestern, deren Großvater hugenottischer Herkunft in vorkaiserlicher Zeit im Dienst des preußischen Königshauses gestanden hatte, die moderat-wohlhabenden familiären Traditionen durch die Glorifizierung der Errungenschaften der Industrialisierung mit ihren neureichen Emporkömmlingen von einem Bedeutungsverlust bedroht.

      „Fort mit dem Schaden”

      Theodor Fontane hingegen, von den Schwestern in ihrem Vorwort nicht als Bruder, sondern ehrfurchtvoll als ,Altmeister‘ tituliert, ist der Berliner Küche gegenüber weitaus ungnädiger, ob vor oder nach dem Aufstieg zur Weltmetropole. Der im brandenburgischen Neu- ruppin geborene Publizist und Schriftsteller kam 1833 im Alter von 13 Jahren nach Berlin und die Stadt sollte, mit gelegentlichen Ausnahmen, bis zu seinem Tod 1898 sein Lebensmittelpunkt bleiben. Mit Berlin verband ihn eine Hassliebe, geprägt von seiner Ablehnung der kunstfeindlichen preußischen Ministerialbürokratie und dem Standesdünkel der Beamten und einem gleichzeitigen ironisch-liebevollen Spötteln bei der Beschreibung des Lebens in einer so plötzlich aufstrebenden Stadt.8

      Für Fontane war Berlin durch seine Beförderung zur Reichshauptstadt nur formal zu einer Stadt von Weltrang geworden. Berlin sei nie eine Bürgerrepublik gewesen: Die feine Sitte, die Politesse habe sich hier nie entwickeln können, befindet er 1878 in seinem Fragment gebliebenen Essay mit dem Titel ,Berliner Ton’. 9