Pop-Tragödien. Ingeborg Schober

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Название Pop-Tragödien
Автор произведения Ingeborg Schober
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862870875



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eine Schulklasse mit dem Brainstorming und der Gewinner auf der Vorschlagsliste war »Soeur Sourire«, die »lächelnde Nonne«. 1963 wurde die Single »Dominique«, teils englisch, teils französisch gesungen (später folgte auch eine deutsch gesungene Version) veröffentlicht. Die Zeichnung der musizierenden Nonnen auf dem Plattencover stammte von Soeur Sourire selbst, die später auch den Umschlag für die LP »The Singing Nun« gestaltete.

      Die Nonne ließ sich bestens vermarkten - und bald war im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle los. Das naive Chanson wurde binnen kürzester Zeit ein Hit in Belgien und Frankreich, eroberte die Top Ten von Deutschland und den Beneluxländern und avancierte zum weltweiten Millionenseller mit unzähligen Coverversionen - und zur Hymne von Pfadfindern und Wandervögeln. Der singenden Nonne gelang sogar etwas, was bis dahin nur Elvis Presley geschafft hatte: sowohl die LP »The Singing Nun« als auch die ausgekoppelte Single »Dominique« standen im Dezember 1963 auf Platz 1 der US-Charts. Die Single verdrängte gar Elvis Presley von der Chartspitze, wurde als erste europäische Single - und bis heute als einzige aus Belgien - mit einem Grammy ausgezeichnet, und zwar in der Kategorie »Bester Gospel beziehungsweise religiöse Musikaufnahme«.

      Als sie das Angebot bekam, 1964 in der populären, amerikanischen Fernsehsendung The Ed Sullivan Show aufzutreten, lehnte der Konvent das natürlich ab. Doch man hat nicht mit der Hartnäckigkeit und Chuzpe der Fernsehmacher gerechnet, die eines Tages mit dem Talkmaster Ed Sullivan persönlich samt einem riesigen Team im Kloster Fichermont auftauchten und von dort aus live berichten wollten. Da in Amerika schon damals Gospelgottesdienste und Fernsehprediger zum festen Programm gehörten, gab man sich mit der Absage der Mutter Oberin nicht zufrieden. Schließlich wurde die Erzdiözese eingeschaltet, die eine Einwilligung zu einer Filmaufzeichnung gab, die später im Rahmen der Fernsehshow lief.

      Ungeübt im Umgang mit Presse und Öffentlichkeit, erzählte Soeur Sourire bisweilen ziemlich seltsame Geschichten. So schilderte sie einem Journalisten die kleinen Freuden im ansonsten strengen Klosterleben so: »Ab und an mal stellen wir die Heiligenbilder auf den Kopf, das ist mehr als heiter.«

      Die gesichtslose Nonne in Habit mit Haube, mit einer dicken Brille und dem breiten, etwas verklärten Lächeln, die einfach so nebenbei einen Grammy kassiert hatte, erregte natürlich bald das Interesse von Hollywood. Kinofilme über mildtätige, sich aufopfernde Nonnen waren schon immer sehr beliebt. Und eine echte, junge Nonne, die auch noch singen konnte, kam den Drehbuchautoren gerade recht. 1966 wurde das Thema mit der keimfreien Blondine Debbie Reynolds unter dem Titel »Dominique - die singende Nonne« verfilmt. Regisseur des sentimentalen Machwerks über eine moderne, auf dem Motorroller mit ihrer Gitarre herumdüsenden Nonne, die sich dann auch noch ganz irdisch verliebt, war Henry Koster. Die idealistische Filmnonne Ann will unbedingt Kindern in Not helfen und begegnet einer alten Liebe wieder, was zu einer angedeuteten Romanze führt. Doch schließlich entscheidet sie sich für die Missionarsarbeit in Afrika und verschenkt gar die geliebte, allzu weltliche Gitarre. Soeur Sourire selbst distanzierte sich von diesem moralinsauren Melodram mit den Worten »reine Erfindung«, die Kritiker taten es als »süßliche Pappe« ab, obwohl es eine Oscar-Nominierung für die Musik gab.

      Als der Film in die Kinos kam, wurde der Mutter Oberin der ganze Medienrummel schließlich zu viel. Sie verbot Schwester Luc-Gabrielle einen neuen Plattenvertrag zu unterschreiben, was zum endgültigen Bruch zwischen ihr und dem Orden führte. Sowohl der Fernsehauftritt als auch die Interviews, vor allem aber der Filmvertrag dürften dem Orden allerdings ein ganz ordentliches Sümmchen eingebracht haben, von dem die naive Nonne kaum etwas sah.

      Schwester Luc-Gabrielles eigenes, ungetrübtes, idyllisches, fast himmlisches Märchen im Breitwandformat bekam damals die ersten Risse. Für die Nonne, die mit ihrer Stimme klar wie Quellwasser die zynische Welt der Medien erobert hatte, warteten die wirklichen Probleme allerdings draußen vor den schützenden, wenn auch für sie einengenden Klostermauern. 1966 verließ sie als eine der ersten geweihten Laienschwestern das Kloster Fichermont. Damit gehörte sie weiterhin dem Dominikanerinnenorden an, lebte aber nicht mehr im Konvent. Das Kloster stellte zwei knallharte Bedingungen: Sie durfte für weitere Platten nicht mehr ihren weltberühmten Künstlernamen Soeur Sourire benutzen, und sie durfte das Kloster keinesfalls mehr in irgendeinem Zusammenhang erwähnen. Damit wurde Luc Dominique - wie sie nun hieß - vom internationalen Markenartikel über Nacht zur unbekannten Sängerin. Von Geschäften verstand die Ex-Nonne rein gar nichts. Gemäß dem Armutsgelübde hatte sie als Schwester Luc-Gabrielle den Löwenanteil ihrer Tantiemen aus dem Plattenverkauf an den Orden abgeführt, der auch nach ihrem Austritt weiterhin ihre Finanzen betreute - ein tödliches Verhängnis, wie sich später herausstellen sollte.

      Im Oktober 1966 gab sie ihre erste Pressekonferenz als weltliche Künstlerin Luc Dominique und bekam das, was man heute in der Showbranche ein Image-Problem nennt. Bislang hatte sich die sogenannte »Twistnonne« oder »religieuse yé-yé« als Exotikum in fliegender Kutte trefflich vermarkten lassen. Doch als etwas altbacken wirkende Durchschnittsfrau in Zivil mit dicker Brille verlor sie jeglichen Reiz für Presse und Publikum und musste zudem mit anderen, weltlichen Sängerinnen konkurrieren, ohne für das Showgeschäft präpariert zu sein. Für die Zeitschrift »McCall's« sah das so aus: »Sie wirke schüchtern, nicht gerade fröhlich, so, als würde sie sich in ihrer Haut nicht wohlfühlen. Sie ist bis auf etwas rosa Lippenstift ungeschminkt und sieht fünf Jahre jünger aus. Sie trägt eine Blümchenbluse über einem grauen, knielangen Faltenrock. Ihre langen, schlanken Beine betonen hochhackige, schwarze Pumps, in denen sie erst kürzlich zu laufen gelernt hat.« An anderer Stelle wurde sie in diesem Artikel auch als »breitschultrig«, mit »Hängebusen« und »matronenhafter Haltung« beschrieben. Die Schlagzeile dazu lautete: »Sie trägt Pumps, raucht bisweilen und lobt in einem Lied die Pille.«

      Die Welle der christlichen Chansons war inzwischen abgeebbt, also versuchte sie 1967 auf ihrem Album mit dem programmatischen Titel »I'm Not A Star« den textlichen Spagat zwischen Weltlichem und Religiösem. Sie besaß durchaus das Talent, schwierige Themen weiterhin fröhlich-naiv zu verpacken und zeigte sich zusehends als eine Streiterin für Emanzipation und die Modernisierung der Kirche. Bisweilen wurde ihre Selbstironie jedoch gründlich missverstanden, vielleicht bewusst, weil ihr Spott auch nicht vor der Presse haltmachte, die sie als singende Nonne verklärt hatte. Wie etwa auf dem oft zitierten Song »Luc Dominique«, mit dem sie die singende Nonne zu Grabe trug. »Soeur Sourire ist tot - sie ist tot, es wurde Zeit …« »Ich mache mich über die Herren Journalisten und Plattenhändler lustig, die bestimmt wieder alles falsch verstehen und schimpfen werden. Aber der heilige Dominikus mag ihnen die Gerüchte vergeben, die sie jetzt wieder in Umlauf bringen werden.«

      Doch Luc Dominique war längst nicht so selbstsicher, wie sie sich gab, im Gegenteil. Ihre Zweifel wuchsen. Der Zeitschrift »Constanze« erklärte sie: »Ich fühle mich schrecklich unter Druck. Man investiert so viel Geld in mich. Was aber, wenn ich scheitere?« Mit den Zweifeln kamen auch die Widersprüche. Das Leben im Kloster war einfach gewesen, dort waren die Regeln in einer klar strukturierten Lebensgemeinschaft vorgegeben. Mit einem Mal war sie einer Welt ausgesetzt, von der sie wenig Ahnung hatte, auch den Versuchungen, die diese neue, ungewohnte Freiheit mit sich brachte. Sie wurde mit Karriereentscheidungen konfrontiert, ohne professionelle Berater zu haben - doch auf diese Idee kam sie wohl ohnehin nicht, im festen Glauben an Gott.

      Und es blieb ihr keine Zeit, sich langsam anzupassen und zu lernen. Denn von Beginn an stand sie bei jedem Schritt im Scheinwerferlicht. Sie war offen und ehrlich und sang und sagte immer eins zu eins, was sie dachte, weil sie es so gelernt hatte. Und damit machte sich die weltfremde Luc Dominique verletzlich und für jedermann angreifbar. So gab sie etwa unumwunden zu, dass sie unter Schlafproblemen leiden und deshalb Tranquilizer nehmen würde, und gestand: »Auch wenn ich bisweilen dem Luxus fröne, ich weiß, es ist besser diesen Versuchungen zu widerstehen.« Und dichtete deshalb für das Lied »Je ne suis pas une vedette« die Zeilen: »Man überreicht mir eine Goldene Schallplatte. Was soll ich damit anfangen? Man sagt mir: ›Das ist doch phantastisch. Jetzt sind Sie Millionärin!' - 'Eh oui, vergessen Sie nicht, ich bin kein Star. Sie irren sich. Wenn der Herr mich hat zum Star werden lassen, dann nur, damit ich aus ihm einen Star mache …‹«

      Früher hatte sie Launiges über ihre Gitarre Adèle »Soeur Adèle« gesungen, über Gottes wunderbare Schöpfung, über religiöse Ziele und Trost durch den Herrn. Nun