Название | Pop-Tragödien |
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Автор произведения | Ingeborg Schober |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870875 |
In ihrem kämpferischen und mutigen Song über die Antibabypille im modernen Mariachi-Sound »La Pilule d'Or« (»Die goldene Pille«) wagte sie sich an ein damals geradezu politisch brisantes Thema und löste einen Skandal aus. Die Antibabypille war noch heftig umstritten und der Papst hatte sie den Katholiken verboten. Dennoch pries sie Gott hymnisch für seine Weisheit und dankte ihm für dieses Geschenk, mit dem er viel irdische Not verhindern würde. Indirekt ist das Lied damit auch ein Plädoyer für freie Liebe, für eine gesunde Sexualität ohne Folgen für die Frau: »Als unsere Großmütter ihren Hausstand gründeten, sagte man ihnen: 'Meine Tochter, sei brav und deinem Manne untertan. Setz eine große Familie in die Welt und empfange in Freuden die Kinder, die Gott dir schickt.' Heute ist die goldene Pille da. Die Biologie hat einen großen Schritt getan. Herr, wir preisen dich.«
Luc Dominique hatte sich nicht vom Glauben ab gewandt, aber von der Institution Kirche.
Das war starker Tobak, zumal sie in Interviews den Papst wegen seiner strikten Ablehnung der Pille persönlich angriff: »Er sollte die Antibabypille befürworten, denn das ist das einzig Intelligente und Richtige, was er tun kann. Ich finde es schockierend, dass sie nicht jeder Frau, die sie haben möchte, zur Verfügung steht ...« Diese liberale Haltung brachte ihr zunehmenden Ärger mit der Kirche ein, zumal sie in einem anderen Lied, »Le Temps des femmes«, mutig gewettert hatte: »Mönche und Pfarrer, misogyne Gesellschaft, erblicken in der Frau die ewige Versuchung und tolerieren sie nur, wenn sie ihnen die Küche macht.« Und als nach John Lennons flapsiger Bemerkung, die Beatles wären heutzutage populärer als Jesus, alle Welt empört aufschrie, erklärte sie: »Auch wenn ich das nicht gut finde, kann man das nicht bestreiten.«
Von der Presse erntete sie für ihre Einstellung jedoch nur Häme. Für die Journaille war sie eine frustrierte Emanze, eine männergeile Ex-Nonne, deren Stern am Verblassen war. Doch statt einem Mann hatte sie inzwischen eine um zehn Jahre jüngere Frau als Lebenspartnerin. Homosexualität war damals ein Tabuthema, an das sich nicht einmal die Presse offen heranwagte. Ob die Lebensgemeinschaft mit Annie Pécher wirklich eine lesbische Beziehung war, darüber ist sich nicht einmal die Buchautorin und Biografin Florence Delaporte sicher. Sie hat für ihr Buch »Soeur Sourire: Brûlée aux feux de la rampe« (Im Fegefeuer des Rampenlichts) eintausend Seiten Tagebuchnotizen ausgewertet. Alles, was sich dabei herauskristallisierte, war, dass allein das Gerücht, das Paar sei lesbisch, beiden mehrmals den Job gekostet hat. So bezeichnete etwa die »Bild am Sonntag« in ihrem »Nachruf« die Ex-Nonne als »die Lesbe mit dem Heiligenschein«.
Die beiden Frauen hatten ihr Leben vor allem der Hilfe anderer verschrieben. Annie Pécher hatte ein Heim für autistische Kinder gegründet, das ihre Partnerin anfangs kräftig mitunterstützte. Doch angesichts sinkender Verkaufszahlen wurde Luc Dominique depressiv, sie schluckte Pillen und absolvierte eine Psychotherapie, da sie auch ihren Pflichten als Laienschwester kaum mehr gewachsen war und nur noch gelegentlich unterrichtete. Aber auch, weil sie nach einer ausgedehnten Amerikatournee aufgrund ihrer Schüchternheit nur sporadische Liveauftritte absolvieren konnte, obwohl sie das Geld dringend benötigte. Und sie machte in ihrer Verzweiflung einen weiteren, folgenschweren Fehler: weil ihre Karriere unter dem Namen Luc Dominique so gut wie stagnierte, nannte sie sich wieder Soeur Sourire.
Damit beging sie einen groben Vertragsbruch ihrem ehemaligen Kloster gegenüber, dem sie schriftlich versichert hatte, für alle Zeiten diesen Namen abzulegen. Diese Entscheidung zog einen Rattenschwanz von Problemen nach sich, die letztendlich zu ihrem Freitod führten. Fast ist man versucht zu sagen, der Zorn Gottes ergoss sich über sie, obwohl sie nicht das Geringste verbrochen hatte. Alles, was sie suchte, war ein bisschen privates Glück und so viel Erfolg als Sängerin, dass sie davon leben konnte. Die Musik, die ihr einst im Kloster Trost gespendet und andere optimistisch gestimmt hatte, wurde nun dank des weltweiten Hits »Dominique« nachträglich zur größten Belastung und Prüfung ihres Lebens.
Jeanine Deckers alias Luc-Gabrielle alias Soeur Sourire alias Luc Dominique zog die Aufmerksamkeit der Boulevardpresse nur noch gelegentlich wegen der angeblich lesbischen Beziehung und ihrer eingestandenen Tablettensucht auf sich, als »Ein-Hit-Wunder«, dessen Leben eine tragische Wendung genommen hatte. Ab 1974 machte sie wegen eines jahrelangen Rechtsstreits mit den Behörden jedoch wieder regelmäßig Schlagzeilen. Die Katastrophe brach mit einer nachträglichen Steuerforderung des belgischen Finanzamtes über umgerechnet mehr als 60 000 Euro über sie herein. Diese berechneten sich aus den Millioneneinnahmen für »Dominique«, den späteren Plattenverkäufen sowie den Filmrechten an »The Singing Nun«. Dass sie fast alle Einnahmen als Spende an den Orden abgeführt und nur Bruchteile an den Tantiemen verdient hatte, konnte sie nicht beweisen, sie besaß weder Abrechnungen noch Unterlagen und Quittungen. Sie hatte in die tatsächlichen Umsätze, die das Kloster machte, niemals Einblick gefordert und folglich keine Ahnung, dass der Konvent die eingenommenen Tantiemen offenbar nicht korrekt versteuert hatte. Doch ihr ehemaliges Kloster in Fichermont und der Dominikanerinnenorden erklärten sich ungeheuerlicherweise für nicht zuständig und schwiegen in dieser Sache beharrlich, sodass Jeanine Deckers schlussendlich allein auf einer riesigen Steuerschuld sitzen blieb.
Die einzige vernünftige Möglichkeit wäre natürlich gewesen, gegen das Kloster zu klagen. Doch das traute sie sich nicht, weil sie sich entgegen der vertraglichen Vereinbarung wieder Soeur Sourire nannte. Stattdessen klagte sie gegen das Finanzamt und verlor erwartungsgemäß. Danach kämpfte sie jahrelang nur noch um Zahlungsaufschübe. Sie gewann zwar einflussreiche Fürsprecher, war aber viel zu schüchtern, um auf ihre tatsächliche Notlage hinzuweisen. Um zu überleben, gab sie wieder Zeichen- und Gitarrenunterricht, manchmal jobbte sie auch als Sekretärin und Kosmetikberaterin und rutschte gleichzeitig immer tiefer in ihre Tabletten- und Alkoholsucht.
Trotzdem gab sie nicht auf. Aufgrund des Zeichenunterrichts hatte sie selbst wieder zu malen begonnen und stellte ihre Bilder aus. 1982 versuchte sie ein vergebliches Comeback mit einer Synthi-Pop-Version von »Dominique«, die in Diskotheken ganz gut ankam, sich aber wenig verkaufte. Deshalb drehte sie ein etwas unbeholfenes Video dazu. Das zeigt sie in einem roten Pullover, in Hosen und kniehohen, klobigen Stiefeln, in denen sie - mit der geliebten Gitarre Adèle in der Hand - energisch den Kreuzgang eines Kirchengebäudes entlangmarschiert. Sie wirkt weder glücklich noch unglücklich, sondern leicht entrückt und nicht von dieser Welt.
Kurz darauf musste ihre Lebenspartnerin Annie ihr Kinderheim aus Geldnot schließen. Keiner kam den beiden zu Hilfe, wobei die Vermutung naheliegt, dass auch hier die angeblich lesbische Beziehung indirekt eine Rolle spielte. Die Steuerschulden waren mit Zins und Zinseszins mittlerweile fast auf das Doppelte angewachsen und die beiden Frauen sahen weder ein noch aus. Sie waren finanziell ruiniert.
Im Nachhinein ist es völlig unverständlich, wieso Jeanine nicht um Hilfe bei Menschen nachgesucht hat, die sie offenbar noch immer schätzten und verehrten. Etwa die belgische Königin Fabiola: Sie schrieb den beiden zum Jahreswechsel 1985 einen herzlichen Brief und wünschte ihnen alles Gute fürs neue Jahr. War es Scham, falsch verstandener Stolz oder die endgültige Resignation aufgrund ihrer schweren Depressionen? Hoffte Jeanine auf die Hilfe Gottes, der sie offenbar vergessen hatte?
»Eines Tages waren er und seine Brüder ohne Brot / da erschienen ihnen Engel, und sie linderten die Not«, hatte sie in »Dominique« gesungen. Wo waren die Schutzengel von Jeanine, die als Nonne und als Mensch zu gut und gutgläubig für diese Welt war?
1985 war überhaupt kein Geld mehr da, keine Perspektive, nur mehr astronomische Schulden beim Finanzamt. Am 29. März kauften die beiden Frauen auf Pump und ohne Rezept in ihrer Apotheke 100 Depronal-Tabletten und 50 Témesta und schluckten sie mit Kognak. Am 1. April 1985 wurden beide tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Jeanine Deckers wurde 51 Jahre alt, ihre Freundin Annie 41. »Wir kehren zum Herrn zurück«, hinterließen sie in ihrem Abschiedsbrief. Und in einem weiteren Brief an ihren Freund und Anwalt Jean Berber schrieb Jeanine Deckers: »Ich umarme dich mit Bitterkeit und Trauer.« Die karge, aber geschmackvolle Einrichtung ihrer Wohnung sollten Studenten, Freunde und arme Leute aus der Nachbarschaft erben. Doch alles, was von Wert war, wurde vom Fiskus konfisziert. Zumindest ihren