Название | Pop-Tragödien |
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Автор произведения | Ingeborg Schober |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870875 |
In letzter Zeit wird der Begriff »Wahrheit« im Zusammenhang mit Enthüllungsbüchern reichlich überstrapaziert, wobei das Wort Wahrheit allein nicht auszureichen scheint und mit Attributen wie die »goldene«, die »ganze«, die »ultimative« verstärkt wird. Aber die Wahrheit über schillernde Stars ist und bleibt eine trügerische. Die meisten haben ab einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Karriere ein Image-gerechtes Leben mit vorfabrizierten Biografien und medientauglichen Lebenslügen gelebt. Was ist also die Wahrheit? Selbst die intensivsten Recherchen bringen eines nicht zutage – die bitteren und schäbigen Momente des Todes, in denen sie alle mit ihrer Verzweiflung und ihren Ängsten alleine waren.
»What a wicked game to play to make me feel this way
What a wicked thing to do to make me dream of you
What a wicked thing to say you never felt this way
What a wicked thing to do to make me dream of you
No, I don't wanna fall in love (this world is only gonna break your heart)
… Nobody loves no-one.«
(»Wicked Game«, Chris Isaac)
Ingeborg Schober
Leon Theremin
Die elektronische Odyssee
Lev Sergeyevich Termen: *1896 - †1993
Nur wenige haben die Popkultur des 20. Jahrhunderts so nachhaltig beeinflusst wie Professor Leon Theremin. Und vermutlich hat keiner einen höheren Preis dafür bezahlen müssen wie das russische Genie. Was wir heute als elektronische Popmusik von Synthi-Pop bis Techno kennen, wäre ohne den begabten Cellisten Leon Theremin und sein elektro-akustisches Ätherwellengerät nicht denkbar. Seit den 1960er Jahren, seit der Pionierzeit der elektronischen Musik, nennt man sein Instrument - den Therminvox oder Aetherophon - einfach Theremin. Sein schicksalhaftes Leben war mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts, dem Kommunismus und Kapitalismus, den beiden Großmächten Russland und USA auf tragische Weise verknüpft. Und es war abenteuerlicher, als es sich jeder Hollywood-Autor für eine James-Bond-Folge auszudenken vermag. Theremin war ein musikalischer Held - und ein Spion.
Theremin wurde am 15. August 1896 als Lev Sergeyevich Termen in St. Petersburg geboren. Seine Vorfahren stammten von den rebellischen Albigensern aus Frankreich ab, die sich im 13. Jahrhundert dem Papst widersetzten. Viele flohen nach Russland, wo sich die Gruppe Theremin nannte, im übertragenen Sinn »die Reinigung der Seele«. Unter jenen, die 1793 nach St. Petersburg kamen, waren Rebellen, Mönche, Priester, Künstler und Philosophen. Viele nahmen ein schreckliches Ende in Kriegen, Aufständen, durch Hinrichtungen, waren Flüchtlinge mit einem harten Schicksal, eines, das sich auf seltsame Weise für Lev wiederholen sollte. Sein Großvater war Physiker am Hof des Zaren, sein Vater Sergei Emilievich Theremin ein angesehener Anwalt, die adelige Mutter Yevgenia Antonova Orzhinskaya, polnisch-russischer Herkunft, galt als Liebhaberin der Musik und der Künste. Das Familienwappen bestand aus Lilien und einer Krone, einem Schild, auf dem die Insignien von Jesus Christus von zwei Olivenzweigen gekrönt wurden. Das mittelalterliche Motto der französischen Vorfahren stand auf einem Band: »ne plous, ne moeins« - »nicht mehr, nicht weniger.« Lev wuchs wohl behütet im zaristischen Russland auf, die Eltern, die jüngere Schwester Helena Sergeyevna und die Großeltern lebten in einer noblen Fünfzimmerwohnung in der Nicolayevska Straße 50 in St. Petersburg. Lev war sehr wissbegierig und an mechanischen Dingen interessiert. Oft stöberte er mit seinem Vater auf dem Flohmarkt und konnte mit sieben Jahren bereits dessen goldene Uhren reparieren. Vor allem aber faszinierte ihn das neue Phänomen Elektrizität. Er bekam Klavierunterricht und lernte mit neun Jahren auch das Cello. Er liebte Musik, aber die ewige Überei nervte ihn, weil er nicht ausdrücken konnte, was in ihm vorging: »Mir wurde klar, da klaffte eine Brücke - zwischen der Musik selbst und der Reproduktion von ihr - ich wollte beides verbinden.« Diese Vision sollte einen Großteil seines Lebens bestimmen. Der begabte Gymnasiast durfte im Schullaboratorium experimentieren, richtete sich zuhause ein eigenes, kleines mit optischen Apparaturen ein und im Gemüsegarten des elterlichen Sommerhauses ein Observatorium. Dort entdeckte er mit 15 Jahren einen neuen Stern, womit er die Astronomische Gesellschaft beeindruckte. 1914 schloss Lev das Gymnasium mit der Silbernen Medaille ab und begann ein Doppelstudium: das eines Physikers und Mathematikers und das eines Cellisten am Konservatorium von St. Petersburg.
Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde St. Petersburg 1914 zu Petrograd und 15 Millionen junge Männer wurden eingezogen. Der renommierte Professor Ioffe bewahrte Lev vor seinem Fronteinsatz. So kam er an die Militär-Ingenieurs-Schule in Petrograd und wurde zu Kriegszwecken auf dem Gebiet der noch jungen Radiotechnik vereinnahmt. Mit der Abdankung von Zar Nikolaus II. am 15. März 1917 und der Oktoberrevolution kamen die Bolschewiki und ihr Führer Lenin an die Macht und die Hauptstadt wurde nach Moskau verlegt. Lev, der wegen seiner adeligen Abstammung nun ein Volksfeind war, überlebte die Kriegswirren als Radiotechniker der Roten Armee und Ingenieur und Konstrukteur eines Volkskommissariats für Post und Telegrafie. Prof. Ioffe heuerte ihn für das neu gegründete Polytechnikum an, eine Geheimeinrichtung für militärische Forschung und Entwicklung. Solange es nach Lenins Wünschen lief, hatten sie dort nichts zu befürchten. Lev experimentierte mit Röntgenaufnahmen, Hypnose, atomaren und molekularen Strukturen.
Bei seinen Studien über elektromagnetische Wellen zum Zwecke der Weiterentwicklung des Radios fand er heraus, dass der menschliche Körper wie eine Antenne funktioniert, wenn er in ein radiomagnetisches Feld gerät. Kunstinteressiert wie er war, machte er aus diesem »Nebenprodukt« seiner Arbeiten das erste funktionstüchtige, elektronische Musikgerät, das ohne Tastatur arbeitete - quasi eine reale Variante der »Luftgitarre«. Das futuristisch anmutende Instrument Aetherophon war monophon, also nur in der Lage, einen Ton zur selben Zeit zu spielen. In den Höhen klang es wie die Nachahmung einer Geige, in den Tiefen eher wie ein Cello.
Im November 1920 präsentierte Lev Termen seine Erfindung bei einem Konzert, ein Jahr später meldete er das russische Patent dafür an. Im März 1921 wurde er zu einer Privatvorführung für Lenin in den Kreml gebeten. Lenin, der schon 1918 gesagt hatte, dass die Elektrizität Gott ersetzen würde, dass die Bauern sie anbeten sollten, »denn sie werden die Macht der Obrigkeiten durch sie zu spüren bekommen, mehr als die Macht des Himmels«, wollte den begabten Techniker kennenlernen. Lev: »Ich hatte Angst, aber er war ein netter, kleiner, freundlicher Mann - er hat mich wie einen Sohn behandelt.« Lev führte auch seinen »elektrischen Wachmann« vor, ein Alarmsystem, das losging, wenn man sich dem geschützten Gegenstand näherte. Lenin gab daraufhin eines seiner Lieblingsbonmots zum Besten: »Sozialismus ist Sowjetmacht plus Elektrizität.«
Lev Termen ging in Lenins Auftrag auf Propagandareise durch die Sowjetunion. Zum Auftakt der Tournee organisierte er ein ambitioniertes Programm mit Tanz, Musik und Licht - ein Vorläufer späterer Multimediashows - und die Presse nannte ab da das Aetherophon »Termens Stimme« oder einfach nur Termenvox.
Nach Lenins Tod am 21. Januar 1924 wurde Stalin der neue Machthaber und die Zustände im Land verschlechterten sich noch mehr. Lev hatte seinem Studienfreund Alexander Pavlovich Constantinov einen Job im Institut besorgt und kümmerte sich um die seit der Oktoberrevolution verarmte Familie. Alexanders Schwester Katia verliebte sich in ihn. Sie heirateten am 24. Mai 1924 und zogen zu Levs Eltern. Im September bekam Lev eine Patentnummer für seinen Termenvox und sein Alarmsystem wurde inzwischen in Hochsicherheitszonen eingesetzt wie etwa in der Staatsbank Gosbank und dem GOHRAN. Dort lagerten Tonnen beschlagnahmter Kirchengüter aus Gold, Silber, Diamanten und Juwelen.
Das Fernsehen befand sich damals im Frühstadium und wurde zu Levs neuem Forschungsgebiet. Gleichzeitig baute Prof. Ioffe bei Auslandsreisen kommunistische