Название | Pop-Tragödien |
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Автор произведения | Ingeborg Schober |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870875 |
Leon Theremin kam am 20. Dezember 1927 an Bord der »Majestic« in Ellis Island, New York, an. Interessanterweise hatte er sich als »Single« in den Bordpapieren eingetragen. Es waren die wilden Zwanziger Jahre und in den New Yorker Jazzkneipen pulsierte das Leben. Alle wollten sich amüsieren, über die Stränge schlagen, Neues ausprobieren. Für Theremin war das aufregend und inspirierend und das optimale kulturelle Klima für seine musikalischen Visionen. Eine kommunistische Zeitung in Amerika beschrieb ihn damals so: »Er sieht wie ein Junge aus, groß, schlank, hellbrünettes Haar, schmaler Schnurrbart, blaugraue Augen, ein Künstler- und nicht Wissenschaftlergesicht ...«. Da noch keine sowjetische Botschaft in den USA existierte, schlug er sein Hauptquartier im Hotel Plaza Annex auf. Nach seinem Auftritt in der Metropolitan Opera am 31. Januar 1928 wurde er bei Berühmten, Wissenschaftlern und Exil-Russen herumgereicht, gab bei der Firma RCA eine Privatvorführung für deren Ingenieure und Mitarbeiter. Inzwischen waren seine Erfindungen, das Alarmsystem und der Theremin, in den USA patentiert und Rudolf Wurlitzer sponserte eine Amerikatournee.
Im Mai bat er das Polytechnikum in Russland schriftlich um eine zwei- bis dreimonatige Verlängerung seines USA-Aufenthalts, seine Frau sollte per Schiff nach New York kommen. Mittlerweile hatte er 30 Musikschüler und gab, den amerikanischen Kommunisten zuliebe, am 21. Juli ein Konzert für 25.000 Arbeiter im Coney Island Stadium mit einer Balletttruppe, die orientalische und russische Tänze aufführte. Dabei spielte er Musik von Wagner, Tschaikowsky, Meyerbeer und Rubinstein. Katia traf eine Woche später mit einem begrenzten Besuchervisum in New York ein. Doch das Verhältnis der beiden hatte sich abgekühlt, und als Katia einen Job in New Jersey bekam, zog sie dort alleine hin.
Denn Leon Theremin hatte sich in die junge, begabte und schöne Cellistin Clara Reisenberg verliebt, die sich während der politischen Unruhen in Russland mit ihrer älteren Schwester Nadia nach Europa abgesetzt hatte. 1928 lernte sie über die russische Gemeinde Theremin kennen und besuchte ihn im Plaza Hotel. »Ich traf diesen faszinierenden Mann und hörte in der Luft diese ätherischen Klänge. Er war so charmant und interessant.« Fast noch mehr faszinierte sie aber das Instrument Theremin und sie beherrschte es auf Anhieb wie von Geisterhand. Zu ihrem 18. Geburtstag überraschte sie Theremin mit einer magischen Torte. »Es war eine Geburtstagstorte mit elektrischen Kerzen, die sich nach dem Theremin-Prinzip von allein zu drehen begann, wenn ich näherkam. Und dann feierten wir im Ritz. Er liebte elegante Plätze.«
Ende der 1920er Jahre erlebte die Börse einen ungeahnten Höhenflug, selbst das einfache Volk war im Aktienfieber. Die RCA-Aktie stieg allein in diesem Jahr von 85 Punkten auf 420, die Firma baute 500 Exemplare des sogenannten RCA-Theremin. Er kostete 129,85 Dollar, denn das Ziel war »ein Theremin in jedem Haus, für jedermann, als gängiges Hausmusikinstrument«. Entsprechend irreführend war die RCA-Werbung, die dem Käufer suggerierte, der Apparat würde wie eine Art Musikbox auf Handbewegung irgendein gewünschtes Musikstück spielen. Leon Theremin lernte die Gesetze der freien Marktwirtschaft schnell - zu schnell - und sah sich schon als reicher Mann. Er verkaufte separate Patentverträge in aller Herren Länder und verlor bald den Überblick über seine Verträge, Vorschüsse, Beteiligungen, Tantiemen und Optionen. Eine besondere Bedeutung bekam ein Geschäftsunternehmen von ihm in Panama, damals eine der wichtigen Operationsbasen eines kommunistischen Spionagerings, um amerikanische Militäreinrichtungen in der Kanalzone zu infiltrieren. Theremins Firma transportierte sensible Papiere nach New York. Ein riesiges Firmengeflecht entstand mit Bankkrediten, in das viele Mitglieder der kommunistischen Partei involviert waren. Sie betrieben wiederum Konten, über die sie durch komplizierte Transaktionen die Gelder zu Spionagezwecken lenkten. Doch der überhitzte Börsenmarkt stand kurz vor dem Zusammenbruch, der »Schwarze Freitag« am 25. Oktober 1929 sollte Unmengen von Firmen und Kleinaktionäre in den Konkurs treiben und eine weltweite Wirtschaftskrise auslösen. Die offizielle Einführung des Gerätes Theremins am 23. September 1929 auf der Radio World's Fair in New York war von Theremin her also denkbar ungünstig, auch wenn das »Instrument der Gefühle«, wie sein Erfinder es nannte, erst einmal als Novität Furore machte.
Anfang 1930 begann Theremin ein sonntägliches Radioprogramm, bei dem er meist persönlich live spielte, klassische Stücke von Chopin bis Rachmaninow. Das legendäre Ziegfeld Theatre mit seinen berühmten Tänzerinnen studierte eine Theremin-Nummer ein, auch die Marx Brothers führten kurzfristig einen Sketch damit auf. Hollywood-Stars wie Charlie Chaplin schafften sich einen Theremin an und die ersten 78er-Platten erschienen mit dem Theremin als Hauptinstrument. Es hielt überall Einzug - auf Schulparties, in Clubs, Theatern, in der Kirche, bei großen Festen, Umzügen und Benefizbällen. Theremin träumte nach wie vor von einem reinen Theremin-Orchester und trat mit einer neunköpfigen Truppe als Ten Victor Theremins im April 1930 in der Carnegie Hall auf.
Trotz seines ersten Tantiemen-Schecks war der Erfinder Ende 1930 so gut wie pleite und verschuldete sich immer mehr. Denn inzwischen kämpfte RCA ums Überleben, das Gerät verkaufte sich nicht und Vorläuferpatente anderer Erfinder und Musiker zogen kostspielige Rechtsstreitigkeiten nach sich. RCA fror Theremins Gelder komplett ein. Das Ehepaar Lucie Bigelow Rosen - sie Gesellschaftsdame und Studentin in Theremins Orchester, er ein Anwalt und Bankier - wurden seine Mäzene, als sie in Theremins Hotel Erfindungen wie das drahtlose Mikrofon entdeckten. Sie boten ihm eines ihrer Stadthäuser in Manhattan für eine niedrige Miete an. Im Dezember 1930 eröffnete er in dem vierstöckige Gebäude an der 37th West 54th Straße sein »Theremin Studio«.
Lucie Rosens Ambition war es, in Theremins Haus einen Salon einzurichten, einen Treff für Avantgarde-Künstler, und bald gingen Musiker wie Tommy Dorsey, Benny Goodman, Glenn Miller und George Gershwin aus und ein. Theremin gründete mit Musikern und Tänzern ein experimentelles Multimedia-Ensemble für ähnlich funktionierende, elektronische Saiteninstrumente, die allein durch Bewegungen elektronische Musik- und Lichtimpulse auslösten. Auch Clara Reisenberg gehörte dazu. Der Erfinder hatte eine Drehscheibe für Tänzer entwickelt, das sogenannte Terpsitone. Darauf stehend sollten sie mit der kleinsten Fingerbewegung Musikimpulse auslösen, doch es erforderte solche Körperkontrolle, dass es kaum einer schaffte. Beryl Campbell, damals Tänzerin in seinem Ensemble, dazu: »Er versuchte mithilfe unserer Körper eine Melodie zu kreieren. Schon wenn man einen Finger bewegte, veränderte man den Sound. Schwierig.«
Theremins Visum wurde zwar zum achten Mal verlängert, doch er musste Erfolge vorweisen, denn im Kreml interessierte man sich nicht für künstlerische Experimente, sondern für gute Auslandsgeschäfte. Er war gezwungen kommerzielle Dinge zu erfinden und deshalb ständig auf der Suche nach dem Goldenen Ei. Viele Ideen waren unausgegoren, aber sehr visionär, wie etwa die drahtlose Schreibmaschine, mit der man über lange Distanzen Botschaften verschicken konnte, also eine Art Faxgerät, ein portables Fernsehsystem, sogar die Idee eines Vorläufers des Internets und der elektronischen Post gehörten zu seinen Projekten. Nach der Entführung und Ermordung von Charles Lindberghs Baby im März 1932 entwickelte er unter anderen einen Babyalarm, ein Einbruchsalarmsystem für Läden und Heimtresore, die automatische Tür, elektronisch gesteuertes Spielzeug, eine impulsgesteuerte Schaufensterbeleuchtung, einen Metalldetektor, eine Sprinkleranlage, Verkehrswarn- und Autopilotsysteme für Autos, Züge und Schiffe, die alle auf dem Prinzip der unsichtbaren, elektromagnetischen Lichtschranke basierten. Für alle Erfindungen gründete er mit verschiedenen Geschäftspartnern diverse Firmen. Die US-Regierung beauftragte ihn mit einer Alarmanlage