Highway 61 Revisited. Mark Polizzotti

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Название Highway 61 Revisited
Автор произведения Mark Polizzotti
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862871551



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auf ihr weggerannt, und auf der er – wahrheitsgemäß – als Teenager in das aufregende Leben der Twin Cities*9 fuhr. Er war die Autobahn, die er im Januar 1959 nahm, als er die 75 Meilen zurück nach Duluth reiste, um Buddy Holly live zu sehen, gerade mal zwei Nächte vor dem tödlichen Flugzeugabsturz des Sängers. Im selben Jahr fuhr er später auf diesem Weg – sporadisch – zu seinem Unterricht an der Universität von Minnesota und – regelmäßiger – zu den Folkclubs in Minneapolis und St. Paul. In »Tangled Up in Blue« lässt sich der Erzähler von »den großen nördlichen Wäldern« runter nach New Orleans höchstwahrscheinlich an dieser Verkehrsader entlangtreiben.

      »Der Highway 61, die Hauptverkehrsader des Country-Blues, beginnt etwa dort, wo ich herkomme«, schrieb Dylan in den Chronicles. »Ich hatte schon immer das Gefühl, als wäre ich einst auf ihr losgegangen, wäre immer auf ihr geblieben und könnte auf ihr überall hingehen, selbst ins tiefste Delta Country. Es war immer die gleiche Straße, mit den gleichen Widersprüchen, den gleichen Kleinstädten, den gleichen spirituellen Vorfahren (…) Sie war mein Platz im Universum, ich hatte immer das Gefühl, sie sei ein Teil von mir.«v21 Dylan wirbelt nicht nur die prägenden musikalischen Spuren seiner Jugend auf, indem er auf dieser Straße reist, sondern bringt sie – wie das Vorgängeralbum schon andeutete – alle wieder zurück nach Hause.

      Dylan sagte mal über die Gegend, aus der er kommt: »Es gibt keinen Ort, dem ich mich jetzt näher fühle, oder der mir so sehr das Gefühl gibt, dass ich ein Teil von ihm bin, New York vielleicht ausgenommen. (…) Ich bin echter North Dakota-Minnesota-Mittlerer Westen. Das ist meine Farbe. So spreche ich. Ich komme aus einer Gegend namens Iron Range. Mein Verstand und meine Gefühle kommen von dort.«v22 Nachdem er ausreichend Abstand zwischen sich und den Norden gebracht hatte und nachdem er die Folkszene des Village und den Columbia-Produzenten John Hammond für sich gewonnen hatte und darauf wartete, dass sein zweites Album in die Läden kommt, konnte er seiner Heimatstadt im Frühjahr 1963 dann auch den folgenden zweideutigen Tribut zollen:

      »Hibbing hat die größte offene Erzmine der Welt

      Hibbing hat Schulen, Kirchen, Lebensmittelläden und

      nen Knast (…)

      Hibbing hat frisierte Autos,

      die Freitag Nacht volle Pulle vorbeirasen

      Hibbing hat Eckkneipen mit Polka-Bands

      Man kann am einen Ende der Hauptstraße stehn und am

      anderen Ende glatt über die Stadtgrenze rausschaun

      Hibbing ist ne gute olle Stadt.«v23

      Trotzdem bietet der Blick über die Stadtgrenze hinweg jedes Mal die gleichen trostlosen Aussichten: auf die Engstirnigkeit einer Kleinstadt, auf Sparmaßnahmen, lange, harte Winter und den völligen Mangel an Visionen – und Dylans Blick auf Hibbing war selten freundlich. »Es war nur so ‘ne Kleinstadt auf dem Weg nach nirgendwo«, meinte er später. »Man konnte dort kein Rebell sein (…) Es gab ja keine Philosophie oder Ideologie, gegen die man sich hätte auflehnen können.« Jeder Junge, der im Mittleren Westen (oder in einem Vorort) aufgewachsen ist, kennt dieses Gefühl zur Genüge: dass jenseits der Stadtgrenze etwas Größeres existiert, etwas anderes, etwas, das nur durch die Flucht zu erreichen ist. »Ich bin von zuhause weg, weil es dort nichts gab«, sagte Dylan 1965 zu Paul J. Rauben. »Ich werde jetzt nicht so tun, als wäre ich ausgezogen, um die Welt zu entdecken. Im Ernst, als ich da weg bin, wusste ich nur eins: ich musste da raus, und zwar für immer.«v24

      Der Highway 61 erstreckt sich über eine Länge von 1700 Meilen vom Pigeon River an der kanadischen Grenze bis zum Golf von Mexiko; er ist die Hauptverkehrsader, die die kalte Bergbau-Region des Nordens mit den fruchtbaren blauen Wurzeln des Mississippi-Deltas verbindet. Er ist, zusammen mit seinem westlich gelegenen Vetter Route 66, der mythenumrankte Highway-Ab­schnitt Amerikas. Er führt an den Geburtsstädten und Heimatorten von Muddy Waters, Charley Patton, Son House und Elvis Presley vorbei. An der Kreuzung der Highways 61 und 49 hat Robert Johnson angeblich seinen Pakt mit dem Teufel geschlossen; sein Grab liegt heute in der Nähe des Highway 61 in Greenwood, Mississippi. »Der Highway 61 ist ein enormes Symbol in der amerikanischen Musik, weil auf dem Mississippi, der über weite Strecken parallel zu ihm läuft, auch der Jazz hochreiste«, schreibt Robert Shelton. »Der Jazz kam den Fluss hinauf. Der Blues kam den Fluss hinauf. Eine Menge der großartigen Grundlagen amerikanischer Kultur sind genau über diese Straße und auf diesem Fluß nach oben gereist.«v25 Der Abschnitt des Highway 61 in der Nähe von Clarksdale in Mississippi ist jene Straße, auf der Bessie Smith, die Kaiserin des Blues, 1937 bei einem Autounfall tödlich verunglückte, weil man sich damals Zeit damit ließ, Schwarzen zu helfen, und führt am Memphis Hotel vorbei, in dem Martin Luther King Jr. rund dreißig Jahre später ermordet wurde.

      Die Reise auf dem Highway 61 Revisited umschließt all diese vielen Ebenen, die musikalischen ebenso wie die mythischen und die autobiographischen. Er führt uns auf eine kreisförmige Reise, die mit dem Aufbruch zu neuen Ufern beginnt und dann einen weiten Bogen schlägt, der zurück zu den alten Wurzeln führt. Er führt uns von oben nach unten und wieder zurück, von der rasenden, städtischen Rockmusik Minneapolis’ auf dem Weg nach New York zum Midnight Blues von Clarksdale, von der Anmaßung des hohen Nordens zum Verfall südlich der Grenze. Highway 61 ist auch eines der wenigen Alben, bei denen der Hörer für wiederholtes Anhören belohnt wird. Man fühlt sich danach erschöpft, erheitert, bereit für mehr. Diese 51 Minuten Musik sind so inhaltsreich und anspruchsvoll, man könnte die Platte leicht und gerne wieder und wieder umdrehen und der abschließenden Mundharmonika von »Desolation Row« noch einmal den gewitzten Trommelknall von »Like a Rolling Stone« folgen lassen.

II. Die A-Seite

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