Название | Highway 61 Revisited |
---|---|
Автор произведения | Mark Polizzotti |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871551 |
Gleichzeitig liegt Dylans Verhältnis zu Autoritätspersonen eine gewissen Bösartigkeit, einer Art Pervertiertheit zugrunde, die sich sowohl in seinen Kompositionen als auch in der Auswahl seiner Projekte über die vergangenen fünfzig Jahre widerspiegelt, von seinem brüskierenden Auftritt 1965 in Newport bis zu seinem Arrangement mit Victoria’s Secret 2004 oder seiner Zusammenarbeit mit dem Choreographen Twyla Tharp, die für einiges Zähneknirschen unter seinen Anhängern gesorgt hat. Sie ist das verbindende Element in seiner berüchtigten Angewohnheit, Freunde und Mentoren erst zu umarmen und dann wegzustoßen, Teil der sagenhaften stilistischen Migrationen, die ihn vom Folk über Country zu Gospel und zurück geführt haben; sie zeigt sich in seinen manchmal brillianten, manchmal katastrophalen Wiederaufnahmen seines eigenen Materials und seiner häufig antagonistischen Beziehung zu seinem Publikum – dem gleichen Antagonismus, der im Coverfoto des Highway 61 aufblitzt. Emblematisch dafür ist sein Patentrezept zum Umgang mit widerspenstigen Fans: »Na ja, man (…) wird sie einfach schnell los. Stößt sie vor den Kopf oder sowas. Die schnallen das schon.«v11 Ab dem Moment, in dem Dylan begann, sich einen Bühnennamen zu erarbeiten, begann er auch ein psychisches Tauziehen mit Presse und Öffentlichkeit, indem er sie einerseits wegstieß und andererseits alles tat, damit sie zurückkamen und um mehr bettelten.
Die meisten Menschen versuchen, ihr inneres Kind zu finden – oder, im Falle von zahlreichen Rockstars, ihr inneres Kleinkind. Dylan hingegen scheint seine frühe Karriere damit verbracht zu haben, seinen inneren Griesgram zu befreien. Unter dem kindlichen Äußeren steckt die Stimme und die Stimmung eines grantigen Alten, eines besorgten Mannes mit schweren Gedanken, der auf die Verrücktheiten seiner Generation schaut als wären es die Taten unreifer Jugendlicher, mit denen ihn nichts verbindet. Seine Ablehnung von Woodstock 1969 – und zwar sowohl des Festivals als auch der Hippies, die in seinen Hinterhof strömten, um daran teilzunehmen – ist allgemein bekannt und ein weiterer Beweis für etwas, was viele immer noch nicht anerkennen können: Dylan ist nicht etwa ein Produkt der Zeit und Kultur, die er mit gestaltet hat, sondern von der Zeit und Kultur, die ihn geformt hat – jener Zeit und Kultur, die sich in den düsteren, direkten Balladen auf Harry Smiths Anthology of American Folk Music von 1952 spiegelt, die selbst wiederum ein Abbild der farblos-flachen Wirklichkeit ist, die Dylan als Kind in den 40er Jahren in Minnesota erlebte. Greil Marcus und andere haben betont, wie eng Dylan mit seinem Land und seiner Zeit verbunden ist, wie tief seine Wurzeln in den dunklen, bitteren Untergrund dessen reichen, was Marcus als »das alte, unheimliche Amerika« bezeichnet.*6
Vorsicht beginnt natürlich zu Hause, und Dylans großes Misstrauen äußert sich nicht nur in seiner Beziehung zur Öffentlichkeit, sondern ebenso im privaten Bereich: Liebe und Bewunderung kommen bei ihm selten ohne ein gewisses Maß an Ressentiment und Tadel aus. Auf der Auskopplung von »Hero Blues« vom Freewheelin’-Album, das eine frühe Bearbeitung des »It Ain’t Me, Babe«-Themas ist, tadelt der Sänger »mein Mädchen hier« für ihren Wunsch, dass er rausgehen und kämpfen solle, »damit sie es allen ihren Freunden erzählen kann«. Unbeeindruckt kommt der (mögliche) Held des Songs zu dem Schluss: »Du brauchst eine andere Sorte Mann, du brauchst Napoleon Bone-ey-parte.« Der »Hero Blues«, komödiantisch vor einer unruhigen Bass-Figur gespielt, könnte die Eskalation des amerikanischen Engagements in Vietnam zurückweisen, wie Oliver Trager in Keys to the Rain meint; eine Auffassung, die dadurch untermauert scheint, dass Dylan den Song auf einem Konzert mit den Worten ankündigte, er sei »für all die Jungs, die Mädchen kennen, die wollen, dass sie los gehen und sich dazu bringen zu töten [sich töten zu lassen?]«v12
Aber ich denke, man kann daran auch den Missmut Dylans in seiner damalige Beziehung mit Suze Rotolo erkennen. Suze ist das Mädchen auf dem Cover von The Freewheelin’ Bob Dylan und die Inspiration für Lieder, die vom Erhabenen (»Don’t Think Twice, It’s All Right«) bis zum Bedauernswerten reichen (der wirklich fiesen »Ballad in Plain D«, der Geschichte ihrer Trennung). Zwar hält Dylan ihr zugute, dass sie in den frühen 60er Jahren sein politisches Bewusstsein geweckt und ihn ausgesandt habe, die Ungerechtigkeiten dieser Welt mit seinen Liedern anzuprangern – aber im beißenden Humor von »Hero Blues« schwingt die Ambivalenz darüber mit, in eine Richtung gezogen zu werden, von der er sich nicht sicher war, dass er sie überhaupt nehmen wollte – und ganz generell der Groll darüber, überhaupt in irgend eine Richtung gezogen zu werden.
Dylan bemerkte 1965 gegenüber Nora Ephron, dass »Folkmusik die einzige Musik [sei], in der nichts einfach sei. Es war niemals einfach. Die Musik ist wirklich seltsam, voller Legenden, Mythen, Bibel und Geistern.«v13 Einfachheit ist nicht Dylans Königsdisziplin. Die Folktradition, aus der er stammt, ist nicht von der weichen, sentimentalen Sorte, die so gefällige Hits wie »I Gave My Love a Cherry« und »Walk Right In« hervorgebracht hat; es ist die dunklere, komplexere und moralisch vieldeutige Variante, die seit Jahrhunderten die menschliche Natur ganz ungeschminkt vermittelt. In einer ausgesprochen interessanten Bemerkung zog Dylan 1966 gegenüber Nat Henthoff eine scharfe Trennung zwischen der modischen »Folkszene« der Volksmusikfeste auf der einen und dem fruchtbaren Kompost der Musik des Volkes auf der anderen Seite:
»Folkmusik ist ein Haufen dicker Leute. Ich muss das alles als traditionelle Musik betrachten. Traditionelle Musik basiert auf Hexagrammen. Sie ist aus Legenden, Bibeln und Seuchen entstanden und handelt von Tod und Gemüse. Niemand wird es schaffen, die traditionelle Musik zu töten. All diese Lieder über Rosen, die Menschen aus ihren Gehirnen wachsen, und über Liebende, die in Wirklichkeit Gänse sind, und über Schwäne, die zu Engeln werden – die werden niemals sterben (…) Lieder wie ›Which Side Are You On?‹ und ›I Love You, Porgy‹ allerdings – das sind keine Folkmusiklieder: das sind politische Songs. Die sind schon tot.«v14
Mit der Aufnahme von Highway 61 Revisited hat Dylan seinen Folkanfängen nicht etwa den Rücken gekehrt, wie oft hysterisch bemerkt wurde; vielmehr folgte er einer Spur, die von den Märchen über sorglose Liebe und mörderische Raserei, die Smiths Anthology schmücken, entlang des Hoodoo-Blues von Robert Johnson und Peetie Wheatstraw läuft, dann quer durch den primitiven Rock’n’Roll seiner High-School-Tage und über den Country-Stil von Hank Williams und Bill Monroe und hinein in seine eigenen »Ketten aus aufblitzenden Bildern«v15 in Kompositionen wie »Hard Rain« über »Chimes of Freedom« zu »It’s Alright, Ma (I’m Only Bleeding)« führen.
In Dylans Erinnerung wurden die Samen zu dieser lyrischen Herangehensweise bereits ab 1962 gelegt, und zwar einerseits in der Form der Poesie der Symbolisten und des Beat, die er damals aufsaugte, und andererseits in der Form der visuell überbordenden Maler, die er damals entdeckte – Maler wie Goya, Delacroix, Picasso, Kandinsky und vor allem Red Grooms:
Red war der Onkel Dave Macon der Kunstwelt. Er integrierte alle Lebewesen in etwas und ließ es schreien – alles war gleichwertig und gleichzeitig erschaffen worden: alte Tennisschuhe, Verkaufsautomaten, Alligatoren, die durch die Kanalisation krochen, Duell-Pistolen, die Staten Island Ferry und die Trinity Church (…) Rodeo-Königinnen und Mickey-Maus-Köpfe, Schlosstürmchen und Mrs. O’Learys Kuh, Widerlinge und Schleimer und Durchgedrehte und grinsende, juwelenbehängte nackte Models, melancholische Gesichter, Spuren der Trauer (…) Historische Gestalten