Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv. Wiglaf Droste

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Название Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv
Автор произведения Wiglaf Droste
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862871032



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sagt ihre Begleiterin nachdenklich. »Wenn du dir diese Peinlichkeit an die Backe klatschen lässt, bist du tot. Dann kannst du auch Fahrstuhl werden oder Kaufhaus, die Muzak ist ja schon dabei.«

      Die Frau mit dem Taschentelefon ist noch immer fassungslos. »Dieses ‚Einfach nur, weil Sie es sind’ ist nicht zu glauben! Für die bin ich gerade mal so exklusiv wie ein Discounter. Und dann dieser Tim Renner oder Wiese oder Bendzko; das ist doch kein Name, das ist ein Urteil. Sowas wie Kevin. Wenn du Tim oder Kevin heißt, dann ist das eine Botschaft: Vielleicht gibt es irgendwo auf diesem Planeten irgendjemanden, der dich liebt. Aber deine Eltern sind es jedenfalls nicht.«

      Sie hat sich gefasst, geht weiter und zeigt auf die Lebensmittelhandlung auf der anderen Straßenseite. »›Wenn Gurken mein Gemüse wären‹ wäre ja ein super Songtitel, den würde ich mir glatt aufs Telefon ziehen«, sagt sie und versenkt die Vodafone-Droh-Drohne in ihrer Manteltasche.

      Ich gehe meiner Wege. Wenn Eier meine Hühner wären, könnten sie gackern? Und umgekehrt? Wenn Hühner meine Eier wären, lachten dann die Hühner? Ehe der Kran dreimal gehäht hat?

      Die Ventilatoren des Nichts kann man nicht an ihren Worten messen, sondern, im Gegenteil, an ihrer Sprache.

      Die Weisheit der Post

      Lag es an der Faszination des Wortes Münzschlitz, dass ich sechs Euro in den Münzschlitz eines Briefmarkenautomaten steckte? Nein, es war Abend und die Filiale der Post geschlossen, und so musste ich, um noch Briefe und Karten zu expedieren, mit den eher hässlichen automatengedruckten Postwertzeichen vorlieb nehmen: 6 x 55 Cent, 6 x 45 Cent, und ab geht die Post.

      Ging sie aber nicht. Zwar behauptete das Display des Automaten zunächst, die Briefmarken würden gedruckt, meldete dann aber erst den Defekt des Druckers und kurz darauf den des ganzen Automaten: Die finale Meldung »Außer Betrieb« beinhaltete auch die Störung der Geld­rückgabefunktion. Die Penunze steckte im Apparat, und was ein richtiger Apparat ist, der rückt nichts raus.

      Doch trotz des Druckerdefektes fiel noch etwas Gedrucktes ins Ausgabefach des Automaten: ein Beleg über sechs eingezahlte Euro, den ich, so stand es darauf geschrieben, in einer Filiale der Post vorlegen könne. Was ich, noch immer beeindruckt von den Geheimnissen der sagenhaften Automatenwelt, anderntags tat.

      Kurz schilderte ich dem Mann am Schalter das Geschehene und legte ihm das Beweismittel vor. »Oh, kompliziert«, stöhnte er auf und wandte sich an eine Kollegin, die ihn aber sogleich an eine weitere Kollegin verwies, die sich mit dieser »schwierigen Sache« auskenne. Diese Kollegin suchte der Mann auch sogleich auf, ich sah sie miteinander sprechen und hörte, wie sie scharf »Aber nur in Briefmarken« sagte.

      Der Postler kehrte zu mir zurück, tippte etwas in die Tastatur seines Computers, griff dann in seine Kasse und legte mir einen Fünf-Euro-Schein und eine Ein-Euro-Münze hin. »Gar nicht drüber nachdenken«, sagte er ohne mich anzusehen und ergänzte: »Da darf man nicht mit Logik drangehn.« Er sprach wohl mehr zu sich selbst. Dann zog er ein Formular aus einer Ablage, sah mich an und fragte in höflichem, fast entschuldigendem Ton: »Haben Sie Ihren Ausweis dabei?«

      Das hatte ich, kramte das Dokument hervor und sagte: »Die Arbeit müssen Sie sich aber doch bitte gar nicht machen. Ich möchte ja Briefmarken kaufen, genau wie gestern schon.« Er übertrug etwas vom Ausweis auf das Formular, schob es mir hin und bat mich um meine Unterschrift. Ohne zu lesen quittierte ich, bat um Briefmarken, bekam sie ausgehändigt und zahlte mit demselben Geld, das er mir zuvor erstattet hatte.

      Lächelnd steckte ich die Briefmarken in die Innentasche meines Mantels. Der Mann hinter dem Schalter sah mich an und sagte nochmals leise und freundlich: »Einfach nicht drüber nachdenken. Sonst springt man aus dem Fenster.«

      Ich ging. Aus dem Fenster springen, wenn der Raum im Parterre liegt, ist keine große Sache, dachte ich zunächst, aber dieser Sarkasmus verfehlte den Kern; der Mann war kein Angeber gewesen. Seiner Stimme hatte ich anhören können, dass jedes seiner Worte mit eigener Erfahrung bezahlt war: »Einfach nicht drüber nachdenken. Da darf man nicht mit Logik drangehn. Sonst springt man aus dem Fenster.« Es war ein Rezept zum Überleben in einer Welt, die auch heißen könnte: Irrsinn, Irrsinn & Irrsinn, Rechtsanwälte.

      Ich frankierte meine Post, warf sie in den Briefkasten und ging zur Sparkasse, den nächsten Automatenabenteuern entgegen.

      »Fit für den Winter«?

      Eine Plakatreklame fragt den Betrachter: »Ist Ihr Haus fit für den Winter?« Ich kenne die Antwort nicht, besitze ich doch kein Haus und werde mir, mit Rilke, jetzt auch keines mehr bauen. Selbst aber wenn ein Haus mein Eigen wäre, könnte ich nicht sagen, ob es »fit« ist und wenn ja, für was.

      Nicht nur für Häuser gilt die Winterfitnesspflicht. »Ist Ihr Auto fit für den Winter?«, wird der Autobesitzer gefragt, denn der Sinn allen Besitzes besteht darin, sich immerzu um ihn zu sorgen. Und so muss selbst ein mit Füßen getretener Teppich »fit für den Winter« sein oder werden. Was nicht »fit für den Winter« ist, das wird »fit für den Winter« gemacht, so verlangt es die Winterhilfswerksordnung.

      Das ist der Grund dafür, dass man so viele keuchende Teppiche, japsende Autos und schwitzende Häuser durch die Straßen walken, joggen und biken sieht, als wären sie ihre eigenen Eigentümer. Wie diese checken auch Teppich, Auto und Haus regelmäßig im Fitness-Studio ein, als »Power-Payback-Kunden« versteht sich. Anschließend geht es noch ein bisschen zu »Wellness & Beauty« und in den Salon »Vorher – Nachhair«, zur »Hair Affair« zwischen den Top-Haircuttern »Buddhar«, »Haircules« und »Haarald«, die »Hairline & Grooming« anbieten. (»Grooming« ist, wenn Ihnen jemand etwas in die Haare schmiert; schließlich sind Sie, vergessen Sie das nie, »born to be styled«.)

      Beim »Grooming« treffen die inzwischen ziemlich »fitten« Autos, Teppiche und Häuser auch auf ihre Besitzer: Fußballspieler, die wissen, dass »fit« sein überhaupt nicht reicht, wenn man doch »topfit« zu sein hat, weil »top« sein einfach alles ist, gerade als Mensch: »Er ist nicht nur ein Top-Spieler, sondern auch ein Top-Mensch«, sagte der Fußballprofessionelle Mario Gomez in Bild über seinen Kollegen Lukas Podolski und strich sich anschließend eine gegroomte Haarsträhne glatt, ein für »Top-Menschen« unverzichtbares Accessoire.

      Was aber ist und wie wird man »ein Top-Mensch«? Ist »Top-Mensch« der letzte Schrei der Menschheit, oder schwebte schon Nietzsche der »Top-Mensch« vor? Modellierte Arno Breker den »Top-Menschen«? Handelt es sich um das revolutionäre Ideal des »neuen Menschen«?

      Kann sich zum »Top-Menschen« nur emanzipieren, erheben und aufschwingen, wer nicht damit zufrieden ist, bloß »ans Limit zu gehen« und »seine Leistung abzurufen«, sondern sich permanent »weiter optimiert«, weil er ja immer »noch Luft nach oben hat«? Und gehört es auch zu den Aufgaben der Sprache, Lebenswirklichkeit wiederzugeben, oder ist sowieso alles Reklame, Werbung, Marketing und Propaganda?

      Die alte Darwin’sche Maxime vom »survival of the fittest«, dem Überleben des am besten Angepassten, wurde einigermaßen relativiert, als »fit« der Name eines Geschirrspülmittels wurde. Das geschah im Jahr 1954, im damaligen Karl-Marx-Stadt; besonders erstaunlich ist, dass diese Form von »fit« bis heute überlebt hat, obwohl der Name nicht zu »topfit« quasi »top-optimiert« wurde und sein Bekanntheitsgrad unter »Top-Menschen« eher gering ist.

      Ob man mit »fit« aber sein Haus, sein Auto und seinen Teppich »fit für den Winter« machen kann, das weiß allein der Nesquik.

      Winterzeit, Sommerzeit, zuviel Zeit

      Eine Irritation

      Ich lag in meinem Bett, das auf kabbeliger See in den Wellen trieb. Die Wasser fluteten über das floßgroße Bett, ich hatte nur ein einziges Paddel zur Verfügung, um mein Gefährt auf Kurs zu halten. Eine große, schnittige Segelyacht zischte heran, sie hieß »Redaktion«. Von der Reling winkte mir ein gutes Dutzend weißgekleideter Menschen zu. Eine schnatzige Blondine griff zu einer Flüstertüte und rief launig: »Nicht nachlassen. Immer schön liefern...!«

      Die Yacht machte gute Fahrt, während mein Bettfloß von den Wellen hin und her getost wurde. Von Ferne hörte ich die Schiffsglocke