Название | Kontrolle |
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Автор произведения | Frank Westermann |
Жанр | Языкознание |
Серия | Andere Welten |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871803 |
»Hey, Brother!«, hörte ich eine kräftige Stimme aus dem Schatten der Mauer.
Ich drehte mich misstrauisch um und stand meinem Bruder gegenüber. Er lachte laut und trat seine Zigarette aus.
»Lass uns irgendwo hingehen«, schlug er vor.
Ich sah ihn an: ein großer, stämmiger Typ mit Lederjacke und einer dieser neuen ich-weiß-nicht-was-Hosen. Sein Gesicht war reichlich zerdeppert. Er hatte bestimmt ne Schlägerei hinter sich. In dem breiten Gürtel seiner Hose steckten ein Dolch und eine Waffe, von der ich nicht wusste, was sie darstellte.
»Guck nicht so dumm und komm«, forderte er mich barsch auf. »Ich habe keine Lust, meine Beine krumm zu stehen.«
»Gut, wenn du mich nicht in eine Runde kraftstrotzender, lauter Typen verschleppst.«
»Quatsch! Steig auf!«
Ich kannte seine Art und störte mich eigentlich nicht daran, außer wenn es zu viel wurde. Er zeigte auf ein Motorrad, ein blitzendes, neues Modell, das sich statt auf Rädern per Antigravitation fortbewegte und wahrscheinlich Geschwindigkeiten erreichte, die man kaum ausnutzen konnte. Es sah eher aus wie einer dieser Schlitten aus der Vergangenheit, wie ich sie von Bildern kannte. Das Armaturenbrett war voll von Knöpfen, Schaltern und Tasten. Ich konnte erkennen, dass auch nachträglich einige Sachen eingebaut waren.
Vic beobachtete mich. Er grinste.
Ich hatte nicht gewusst, dass Vic so ein Ding besaß. Er musste an Geld rangekommen sein.
»Los, mach schon!«, drängelte er.
Er saß vorn und ließ das Ding an. Es gab ein blubberndes, donnerndes Geräusch von sich, das mich zurückschrecken ließ. Doch ich überwand meine Abneigung und setzte mich - meine Tasche über der Schulter - hinter ihn. Und es war bequem. Man wurde irgendwie festgehalten. Ich fand Griffe für die Hände und Einbuchtungen, wo ich Beine und Füße unterbringen konnte. Es war nicht übel!
Vic band sich sein langes, strähniges Haar zusammen, setzte einen Helm auf und reichte mir auch einen. Das Gefährt machte einen Satz und schob sich heulend in die Schlange der Autos.
Es war Feierabend. Etwas Schlimmeres konnte ich mir nicht vorstellen. Doch Vic meisterte es wirklich fantastisch. Er brauste zwischen den Wagen hindurch, wo ich keine Lücke entdecken konnte. Manchmal benutzte er die obere Spur für Schnellfahrzeuge, was für Motorräder verboten war. Dann spürte ich den Sog der über uns fliegenden Gleiter. Wir brauchten nur fünfzehn Minuten durch eine stinkende, schwitzende Hölle bis zur City. Vic fuhr in eine Nebenstraße und hielt vor einem glitzernden Gebäude, das ich nicht kannte. Doc Farner stand in riesigen Leuchtbuchstaben über dem Eingangstor. Auch mit dem Namen konnte ich nichts anfangen. Vielleicht war es auch nur ein Fantasieprodukt. Die Fassade schimmerte in allen möglichen Farben. Sie schien in sich selbst zu verschwimmen. Es behagte mir schon jetzt nicht.
»Komm rein«, knurrte Vic mich an.
Etwas ungeschickt kletterte ich von dem Motorrad.
Unten in dem Haus war ein Restaurant, poppig und teuer. Wir stiegen in den Aufzug und fuhren fünf Etagen höher. Vic ging voraus. Er sagte nicht viel - im Gegensatz zu sonst, wo er mir manchmal die Ohren mit lauter krausem Zeug vollquatschte.
Wir kamen in einen hohen Raum ganz in Grün mit dämmrigem Licht. Eine Musikbox orgelte ohrenbetäubend. Es roch nach Drogen und Halluzinogenen, obwohl ich nicht viele Leute erkennen konnte. Es war noch zu früh. Überall standen niedrige Tische und Bänke herum. Von der Decke hingen irgendwelche Horrorfiguren an Fäden herab, die sich ab und zu bewegten, indem sie die Glieder verrenkten und blöde Schreie von sich gaben.
Vic dirigierte mich in eine Ecke, wo der Lärm auf die Hälfte reduziert war.
»Glaubst du etwa, mir gefällt es hier?«, fragte ich provozierend. »Mir auch nicht, aber das interessiert auch nicht.«
Langsam reichte es mir. Andererseits war ich neugierig, was er von mir wollte. Es schien jedenfalls nicht auf eine seiner üblichen Spinnereien rauszulaufen. Wir setzten uns. Es war weitaus unbequemer als auf dem Motorrad.
»Willste was trinken?«, fragte Vic mich. Er holte ein paar Buckies aus der Tasche.
»Wenn du was ausgibst. Ich bin völlig pleite.«
Er steckte die Münzen in einen Schlitz an der Seite des Tisches. Auf der Platte erschienen augenblicklich zwei Bier. Auch dieses Automatic-System war mir neu. Es schien, als wäre ich etwas Out of Time. War mir aber auch egal. Aber vielleicht hatte ich mich wirklich zu lange zurückgezogen. Erst in meine Bude und dann nach draußen.
Vic schien etwas unruhig. Sein Blick wanderte von Tisch zu Tisch. Er zog seine rote Lederjacke aus und holte eine dieser Halu-ci-gars hervor.
»Wartest du auf jemanden?«, riet ich.
Das Bier schmeckte scheußlich synthetisch.
»Ja, aber egal. Außerdem ist es immer gut, sich dort umzusehen, wo man hinkommt. Jedenfalls in meiner Situation. Obwohl es hier einigermaßen sicher ist.«
Ich glaube, es kostete ihn Überwindung weiterzureden, um auf sein eigentliches Anliegen zu kommen.
»Du kannst dir denken, dass wir nicht zum Spaß in dieser lausigen Kaschemme sitzen.«
»Also, fang an!« Ich hatte genug von dem hin und her.
»Okay. Was weißt du über die Gangs?«
»Machen wir ein Ratespiel?«
Vic lehnte sich zurück, und ich fragte mich plötzlich, was zum Teufel ich mit ihm zu tun hatte.
»Es ist wichtig. Sonst muss ich nachher alles dreimal erzählen,« fuhr er fort.
Ich ließ mich also drauf ein und gab so das Übliche von mir. Ich musste gestehen, dass mir nicht sehr viel zu dem Thema einfiel. Die alten Geschichten und meine Vermutung, dass sie sich irgendwie mit den Regs arrangiert hatten.
»Stop!«, unterbrach mich mein Bruder. »Das sind die typischen Sachen, die überall rumgeistern, weil sie von den Regs selbst unter die Leute gebracht werden. Erstaunlich, dass du überhaupt auf die Idee von einer Zusammenarbeit zwischen Regierung und
Gangs gekommen bist. Übrigens, dass du selbst draußen gewesen bist, hätte ich dir gar nicht zugetraut.«
Er grinste herüber zu mir. Ich wurde etwas ärgerlich.
»vielleicht bin ich nicht so, wie du dir das vorstellst. Du kannst dir also dein Geschwafel sparen.«
»Schon gut«, beschwichtigte Vic mich. »Ich will nicht mit dir rumstreiten.«
Er kam wieder auf das Thema zurück.
»Worum es mir in erster Linie geht, ist, dass dir meine Situation ansatzweise verständlich wird. Und darum spreche ich über die Gangs und die Vorurteile, die da bestehen. Du hast auch insoweit recht, dass ein Teil der Banden wirklich mit der Regierung rummauscheln. Sie kriegen sogar Bucks und Waffen dafür. Als Gegenleistung dürfen sie die Bevölkerung nicht zu sehr beunruhigen, das heiß, die Zahl der Toten und Verletzten muss sich in Grenzen halten. Aber das geht eher mich was an. Es ist nicht dein Problem und ich will es auch nicht dazu machen. Was wichtig ist, ist der andere Teil der Gangs, der weitaus größere, ich schätze so 70%. Wir - du kannst mich dazu zählen - haben eine Zusammenarbeit mit allem, was die jetzige Ordnung aufrechterhält, immer abgelehnt. Wir alle hassen den Staat und sind damit seine größten Feinde - das sogenannte Outsider-Problem. Aus Überlebensgründen haben wir wiederum unsere Abmachungen mit den von den Regs geförderten Gangs, von denen ebenfalls nicht wenige Mitglieder mit uns sympathisieren. viele von denen sind nur aus Bequemlichkeit oder Angst da, denn wir werden gejagt und müssen eben Zusehen, wie wir uns durchschlagen. So kann letzten Endes der Staat nicht an uns ran, obwohl er es manchmal möchte. Aber erstens können die nicht eine Gang von der anderen unterscheiden und zweitens halten im Notfall alle Banden zusammen.»
»Und