Berliner Industriekultur. Katja Roeckner

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Название Berliner Industriekultur
Автор произведения Katja Roeckner
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783940621511



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      Einleitung: Einladung zur Spurensuche

      Einladung zur Spurensuche

      Berlins Industriekultur ist ein wahrer Schatz, den es zu entdecken gilt. An eindrucksvollen und spannenden Relikten des Fabrikzeitalters hat sie mehr zu bieten als jede andere europäische Stadt: Um 1900 war Berlin das größte und modernste Industriezentrum Europas. Ausgedehnte Mietshausquartiere für die zahlreichen Zuwanderer machten es zur »Steinernen Stadt«. Das Gesicht der Spreemetropole ist von dieser Epoche wie von keiner anderen geprägt. Doch dieses faszinierende Kulturerbe der deutschen Hauptstadt wird oft vernachlässigt und ist, ganz zu Unrecht, nur wenig bekannt. Bisher fehlt auch ein Wegweiser für ein breites Publikum, der einerseits zu eindrucksvollen Denkmalen der Berliner Industrie führt, diese andererseits im historischen Zusammenhang verständlich macht. Das möchte diese Geschichtstour für Entdecker ändern.

      Auf drei exemplarischen Geschichtstouren lädt Sie dieses Buch zu Erkundungen ein: Der Beginn des Fabrikzeitalters im 19. Jahrhundert lässt sich anhand der Spuren im so genannten »Feuerland«, im heutigen Szeneviertel vor dem Oranienburger Tor, nacherleben. Unmittelbar benachbart liegt das ehemalige AEG-Gelände am Humboldthain mit einzigartigen Schätzen der Fabrikarchitektur. Besonders schöne Gewerbehöfe, die für Kreuzberg so typisch sind, finden sich im Osten des Bezirks direkt an der Spree. Hier siedeln sich inzwischen junge Kreative mit Vorliebe an. Schließlich fasziniert die »ungeschliffene Perle« Oberschöneweide, einst Standort der AEG, heute eine Gegend zwischen Tristesse und Aufbruch, in der sich moderne Betriebe, Wissenschaft und Kultur niedergelassen haben. Insgesamt bieten diese drei Touren einen ungewöhnlichen Blick auf Berliner Geschichte und gegenwärtige Umbrüche.

      Dieser Führer nimmt Sie auf eine Entdeckungsreise. Jede der drei Touren ist in mehrere Stationen unterteilt: Ein Stationstext beschreibt einen sehenswerten Anlaufpunkt der Tour, der darauf folgende Vertiefungstext stellt einen bestimmten historischen Aspekt näher dar und liefert Hintergrundinformationen. Kurze Überleitungstexte (»Auf dem Weg…«) erklären den Weg zur nächsten Station.

      Die Bilder sind integraler Bestandteil des Buches – sie sollen nicht nur illustrieren, sondern liefern einen eigenständigen inhaltlichen Beitrag zur Geschichte der Berliner Industriekultur.

      Die Informationen werden von einer Reihe ausgesuchter gastronomischer Tipps ergänzt. Hier können Sie während Ihres Spaziergangs einkehren, in diesem Buch schmökern oder sich einfach nur ausruhen. Die Touren sind so angelegt, dass sie in ca. zwei bis drei Stunden zu Fuß bewältigt werden können.

      Ich wünsche Ihnen eine spannende und informative Geschichtstour!

      Katja Roeckner

      Ein Überblick: Berliner Industriegeschichte und ihre Besonderheiten

      Berliner Industriegeschichte und ihre Besonderheiten

      Berlin war durch die eifrige Förderung des Staates bereits Anfang des 19. Jahrhunderts eines der ersten Industriezentren in Deutschland. Diese frühe Epoche hat jedoch nur wenige Spuren im Zentrum der Stadt hinterlassen. Denn die preußische Hauptstadt und die Industrie wuchsen ab Mitte des 19. Jahrhunderts so rasant, dass die Betriebe aus dem Zentrum an den Stadtrand wanderten. Mit dieser »Stadtrandwanderung« entstanden Ende des 19. Jahrhunderts die für Berlin so typischen Großansiedlungen von Betrieben außerhalb der historischen Stadtgrenzen: Die Borsigwerke mit der bis heute erhaltenen Werkssiedlung »Borsigwalde« zogen nach Tegel, in Spandau entstand die Siemensstadt, in Oberschöneweide die AEG-Stadt.

      Ein Großteil der Berliner Infrastruktur wurde in diesen »Gründerjahren« geschaffen: ausgedehnte Mietshausquartiere, die sich, wie beispielsweise in Prenzlauer Berg, Kreuzberg oder Friedrichshain, zur Zeit wieder großer Beliebtheit erfreuen; aber auch das einzigartig ausgedehnte S- und U-Bahnnetz der Stadt. Viele Kirchen, Schulgebäude, Rathäuser, Gerichte und andere öffentliche Gebäude aus diesen Aufbruchjahren sind bis heute erhalten.

      Berlin war um 1900 – nach damaligen Maßstäben – von besonders modernen Industriezweigen geprägt: die Maschinenbauindustrie, für die der preußische Staat, der »Lokomotivenkönig« Borsig und andere die Grundlagen gelegt hatten; die Elektroindustrie mit den bald zu internationalen Großkonzernen aufgestiegenen Berliner Gründungen AEG und Siemens; schließlich die Chemie- und Pharmaindustrie, noch heute mit Schering als Teil des Bayer-Konzerns prominent in Berlin vertreten. Diese damals »neuen Industrien« profitierten von der vorherigen staatlich geförderten technisch-naturwissenschaftlichen Forschung, für die insbesondere Peter Christian Beuth als Direktor der »Technischen Deputation für das Gewerbe« als wichtigster preußischer Industrieförderer verantwortlich gezeichnet hatte.

      So richtete er unter anderem eine Technische Schule ein, später umbenannt in Technische Gewerbeschule, an der ein Großteil der frühen Berliner Ingenieur-Unternehmer ausgebildet wurde. Aus dieser ersten technischen Bildungsstätte ging die heutige Technische Universität Berlin hervor. Berlin entdeckt sich erst gerade als Wissenschaftsstandort wieder und kann dabei auch auf dieses frühe Erbe zurückgreifen. Die Bezüge zwischen damals und heute lassen sich sogar anhand des materiellen und erinnerungskulturellen Erbes der Stadt nachverfolgen. So ist das letzte Überbleibsel der Borsig’schen Lokomotivenfabrik an der Chausseestraße 1 vor dem Oranienburger Tor – ein Arkadengang – auf dem Gelände der Technischen Universität aufgestellt. Ein Denkmal an die rasante industrielle Entwicklung, die erst durch die Teilung der Stadt als Folge von nationalsozialistischer Diktatur und dem von ihr begonnenen Zweiten Weltkrieg einen herben Rückschlag erlitt. Den Unternehmen der »Insel West-Berlin« fehlte das Umland, zudem war die politische Situation unsicher. So verlegten zuvor in Berlin beheimatete Großkonzerne, beispielsweise Siemens, ihre Zentralen nach Westdeutschland. Auch die großen deutschen Banken und Versicherungen, deren Hauptsitze zuvor meist in Berlin lagen, verließen die »Frontstadt«. Zwar wurden die verbleibenden Betriebe von Seiten der Bundesregierung großzügig subventioniert, das hatte aber auch eine stetige Überalterung der West-Berliner Industriestruktur zur Folge. Als die Subventionen nach dem Fall der Mauer eingestellt wurden, erwiesen sich viele als nicht konkurrenz- und überlebensfähig.1

      Im Ostteil der Stadt erschwerten die Demontagen seitens der Sowjetunion den Wiederaufbau. Der Neuanfang unter planwirtschaftlichen Vorzeichen war mit zahlreichen Schwierigkeiten versehen: Nicht immer funktionierten Materialversorgung und Produktionszeiten so, wie in den Papieren der Planer vorgesehen. Trotzdem gelang auch in der DDR zunächst ein »kleines Wirtschaftswunder«, ehe der wirtschaftliche und industrielle Niedergang der DDR spätestens seit den 1970er Jahren begann. Nach dem Mauerfall mussten die meisten Ost-Berliner Industriebetriebe mangels Konkurrenzfähigkeit, auch wegen des raschen Zusammenbruchs ihrer Absatzmärkte in Ost- und Mittel-Ost-Europa, die Produktion einstellen. Ost- und West-Berlin vereint bis heute die aus diesem Erbe der Teilungszeit entstandene hohe Arbeitslosenquote. Nach 1990 fielen innerhalb weniger Jahre hunderttausende von Arbeitsplätzen in der Industrie weg. Vergeblich hoffte man, dass Konzerne wie Siemens ihren Sitz wieder in die neue Hauptstadt zurückverlegen würden.2

      Inzwischen gibt es einen neuen Aufbruch in der Stadt. Große Hoffnungen werden auf Kunst, Kultur und Wissenschaft gesetzt. Aber auch die stolze industrielle Tradition Berlins wirkt bis heute fort: Siemens produziert weiterhin in der Siemensstadt in Spandau, Berlin wächst als Standort der Chemie-, besonders der Pharmaindustrie. Und auch der Maschinen- und Automobilbau ist ein wichtiger Faktor der Berliner Wirtschaft bzw. der des angrenzenden Umlands: