Название | Der Letzte macht das Licht aus |
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Автор произведения | Ulrich Land |
Жанр | Языкознание |
Серия | Mord und Nachschlag |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895706 |
___11.
Schon am frühen Nachmittag verteilten die Sterne weiße Punkte über die hohe Kuppel. Immerhin war der November schon angebrochen. Es war kälter geworden. Jetzt, wo die Tage kürzer wurden, wo man den schwarzen Wolken beim Nachlaufenspiel um die weißen Häupter der Skanden zusehen konnte und den Möwen beim Flugballett über den schneegescheckten Schären, jetzt war die Zeit weit aufgerissen. Gedanken nachzudenken, zu vergessen, zu erinnern, im Kopf die krudesten Ideen aufstehen, taumeln, aufstehen zu lassen. Dachte er. Und sah weit raus, wo rotgold-kitschig die Sonne noch einen Augenblick auf der kaltglatten See längs kullerte und offensichtlich versuchte, die Gnadenfrist so lange wie möglich rauszuzögern. Bevor sie dann doch versank. Aber schnell noch einen üppigen Lichtvorrat aussandte, der den Horizont in ein sattes Orange tauchte, bonbonfarbene Schlieren an den Himmel zauberte, ein paar violette Federwolken mit einem barocken Goldrahmen einfasste, um dann schließlich in ein erbarmungsloses Blauschwarz auszuwachsen.
Finn spürte, wie die Kälte durch den Pullover kroch. Er steckte die Hände in die Hosentasch und wollte grade von der Galerie wieder in den Dienstraum gehen, um sich seiner Funk- und Schaltzentrale zu widmen, – als er plötzlich stockte. Er drehte bei, ging die paar Schritte zurück und baute sich wieder da auf, wo er eben das Schauspiel der Dämmerung begutachtet hatte. Da war, da fuhr doch – dabei kannte er doch nun wirklich jede Schaluppe, jeden Kahn, jeden alten Schuh, der vor seiner Küste vorbei schaukelte. Aber das, dieses Boot – da würde er seine Hand für ins Feuer legen – das hatte er hier noch nie gesehen. Finn stützte sich auf die Galeriereling, sein Oberkörper war plötzlich dermaßen schwer geworden, bleischwer. Der Kerl da unten hatte den Außenbordmotor ausgestellt und war sichtlich bemüht, lautlos die Ruder ins Abendwasser zu tauchen. Finn ließ das Boot seinem stechenden Blick nicht mehr entkommen, diesem Fernglasblick, den seine Profession mit sich brachte. Mochte der offenbar komplett schwarz gekleidete Kerl noch so sehr versuchen, in der wachsenden Dunkelheit unterzutauchen. Verdammt weit draußen, als er, wie's aussah, glaubte, außerhalb der Sicht- und erst recht außerhalb der Hörweite zu sein, warf der Typ den Motor an und zog mit Vollgas durch den engen Sund zwischen den Felshöckern im äußeren Schärengürtel davon, bis Finn ihn irgendwann endgültig aus dem Blick verlor.
»Kerl«, krähte Marit aus dem Inneren des Leuchtturms, »wo hängste denn wieder rum? Hier ist ja alles aber so was von total verwaist! Dienst ist Dienst, und Gedankenverlieren ist Gedankenverlieren.«
___12.
»Eins ist uns wenigstens noch frei. Hass – Zorn und innerlichen Gehorsam aufkündigen den widerwärtigen, ewig unbekannten Gesetzen, die über uns verhängt sind seit Endlosigkeit in namenloser schauerlicher Unfreiheit des Willens.« Hat er selber noch gesagt. Dein Meister Max Klecksmann. Also los. Mit Zorn und Lust und langen Fingern. Klauen aus diesen Klauen hier. Und soll sich keiner beschweren: Hat er selber gesagt, wie gesagt, nämlich, der Maler selbst. Bei dem einen mir verbliebnen Fuß.
Also runter zum Kollegen vom Objektschutz, in 'n Gespräch verwickeln, vielleicht 'nen Kurzen oder zwei mit ihm heben – jau, in der Tabakdose der Zahnabdruckgummi oder -kunststoff oder was das ist, ist noch weich. Und jetzt, Gunst der Stunde, rüberlangen. Zwei Abdrücke in die Zahnknete, von rechts, von links, und schon hängt der Schlüssel wieder. Und der Kollege ist den Schnaps am wegkramen.
Und dann noch paar Vorsichtstage noch rumkriegen hier. Und nicht auffallen, alter Gunnar, mit diesem ganzen Dings, diesem ganzen Schweiß und dem einen Fuß, dem eiskalten. Was der auf einmal auch so kalt sein muss, ist er doch sonst nicht.
___13.
»Ganz schön anstrengend morgens immer, was? So allein mit mir. Das ganze Frühstück! Eine geschlagne Viertelstunde – mindestens – dich eifrig mit mir unterhalten müssen.«
Brik hatte Frokost gemacht. Ihre große Leidenschaft, wenn sie ausnahmsweise mal rechtzeitig aus dem Bett gekommen waren. Sie trug nach Herzenslust alles zusammen fürs Frühstück, was die Küche hergab. Bis die Tischbeine sich durchbogen. Sämtliche nur erdenklichen Brotsorten, Flatbrød und Knäcke sowieso, Waffelbrot und Finnbrød. Und natürlich Lefse – niemand konnte die Saure-Sahne-Fladen wie sie zubereiten! Dann Blaubeerpfannkuchen und direkt daneben kalten Fisch, heißes Kartoffelpüree und ein ordentlicher Brocken Jarlsberg vom Feinsten, mild und nussig. Finn hatte keine Ahnung, wie sie an einen derart guten Käse kam, beim Supermarkt in Svolvik jedenfalls gab's den nicht, so viel war sicher. Weiß der liebe Himmel, wahrscheinlich ließ sie ihn direkt einfliegen aus dem Süden, irgendwo aus dem Gudbrandsdal oder woher auch immer. Und der Brunost-Käse, den sie immer anschleppte, war auch nicht zu verachten, Zwischending aus Ziege und Karamell, süß, braun und bitter, klebte am Gaumen wie tagelang durchgewalkter Kaugummi. Aber lecker, einfach lecker, würzig süß.
Früher hatte er Brik für diese Frühstücksköstlichkeiten geliebt, und sie ihn, weil er eine Antenne dafür hatte. Aber in den letzten Wochen war ihm der Sinn nicht danach. Und heute schon gar nicht. Er stand unter Strom. Griff eilig, aber so, dass es möglichst nicht danach aussah, in den Topf mit eingelegten Salzheringen und schob sich zwei davon samt Zwiebelscheiben, Dillstrünken und Pfefferkörnern in den Rachen. Dann noch schnell zwei Knackwürstchen und einen Schlag Kartoffelbrei mit brauner Butter. Das musste heute reichen als Frühstück.
»Aber wenn ich dann zur Praxis bin, dann haste ja erst mal so richtig deine Ruhe. Bis Petter seine Fischernacht weggeschlafen hat und Marit in die Gänge gekommen ist. So lange total allein – kommst du da nicht manchmal auf krumme Gedanken?«
»Ich weiß auch nicht, ich bin mir irgendwie selbst genug. Manchmal. Meistens. Aber nicht immer.«
»Kannste ja bloß froh sein, heh, dass du für das Nicht-Immer anständig verheiratet bist. Andernfalls, das würde dich hier oben wahrscheinlich teuer, verdammt teuer zu stehn kommen.« Brik lachte, gab ihm einen kurzen Kuss auf die Nasenspitze, und schon hörte er sie die Treppe runterpoltern. Er wusste, dass sie noch auf der Treppe ihre Arme in die Jacke stopfen, den Mantel anziehen und schließlich Finns alten, ausgebeulten Overall darüber würgen würde. Diese letzte Pelle würde sie dann drüben in Brunøa auf dem Anlegesteg wieder ablegen, ebenfalls im Laufschritt. Jetzt war sie vermutlich unten auf den letzten Treppenstufen angekommen und schlüpfte in die Stiefel. War ihm ein Rätsel und würde ihm, obwohl er's schon so oft beobachtet hatte, immer ein Rätsel bleiben, wie sie es schaffte, die ganzen Klamotten verteilt auf ihre Hände, Arme, Schultern treppab zu befördern und sie dabei – im Hochgalopp – Stück für Stück anzuziehen.
Dann hörte er ihren Außenborder losknattern und davon heulen. Musst du schon verflucht schnell hinhörn, dann is' er weg. Schon weg. Verpufft, vertrieben, spurlos, noch schneller als wie die Qualmfetzen von seinem ollen Sprit. Finn musste grinsen, dass ihm immer morgens, wenn Brik zur Praxis fuhr, Marits zerzauste Worte in den Sinn kamen, die sie losgelassen hatte, als sie zusammen unten auf den Felsen gehockt und in den verblassenden Augusthimmel gegrübelt hatten. Schon weg, im leichten Wind, die Furche, die ihr Boot durchs Wasser zieht, die weißen Gischtschnüre hinten dran. Schon verschlungen vom Wasser, wieder verschlungen.
Finn ging zum Telefon und ließ die Wählscheibe die paar Nummern durchzwirbeln.
• »Tach auch. Werenskiold hier, Stjernholman Fyr. Ich hab bloß noch eine Ersatzleuchte für die B63er Bojen, ihr müsst mir noch mal 'nen Satz Leuchten zurücklegen. Und drei, vier Parabolspiegel auch. Okay?«
• »Ja sicher, weiß ich.«
• »Stimmt, waren auch B63er. Aber kann ich ja nu nichts zu.«
• »Ich geh mal davon aus, dass das auch auf die Kappe von diesen Chaoten aus Svolvik oder wo geht. Hab ich euch ja schon gesteckt, dass ich da 'ne Handvoll militante Vegetarier in Verdacht hab, die was weiß ich was für Fischbestände vorm Untergang retten wollen. Brauchen ja bloß irgendein abgewracktes Boot zu kapern und können von draußen von See aus lustig drauf los schmeißen. Diese leuchtenden Küstenaugen geben doch, Krähenkacke noch mal, 'ne wunderbare Zielscheibe ab. Die Burschen wollen offenbar hier die Runde machen bei mir.«
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