Название | Der Letzte macht das Licht aus |
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Автор произведения | Ulrich Land |
Жанр | Языкознание |
Серия | Mord und Nachschlag |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895706 |
Warte mal! '25! Jahrgang 1925. Tatsächlich. Bist zwei Jahre älter als ich. Aber zwei Jährchen, was sind schon zwei Jährchen! Außerdem hast du mit den Jahren ja eh nichts am Hut. Gleich mit 28, Tschuldigung, vielleicht auch mit 23 geboren worden, und dann kein eines Jahr mehr verstreichen lassen. Seit 'nem halben Jahrhundert ein und dasselbe Jahr. Obwohl, hast viel verpasst, könntste bei mir nachholen. Könntst mit mir alt werden und jung bleiben. Und würdest endlich aus deiner unsterblichen Langeweile entlassen.
___9.
Petter hatte ihr wieder mal einen Haufen zerfaserter Netze auf den Felsbuckel vorm Haus geworfen. Wieso der alte Esel immer warten musste, bis so 'n riesiger Berg aufgelaufen war?! Musste man's doch mit der Angst zu tun kriegen, wenn man das ganze Zeug vor der Brust hatte. Würde ja nie aufhören! Aber dann zog sie doch das erste Netz vom Stapel und setzte die Nadel an. Sie konnte sich beim besten Willen nicht dran erinnern, wie viel hundert Netze sie in ihrem Leben schon repariert hatte. Sie machte das fast blind, musste immer nur ganz kurz hinsehen und konnte ansonsten den Blick schweifen lassen über die kaltgrauen Inseln im Septemberdämmer. Sah drüben die Lichtpunkte der Siedlungen auf den Inseln, wo die Landstraße – wie eine Allee gesäumt von einer endlosen Staffel gebeugter Straßenlaternen – sich gen Süden davon schlängelte.
»Es ist nicht zu fassen, das ganze Gelichter da drüben! Mittags um halb drei! Oder doch, ist doch zu fassen, ist klar, jetzt, wo's finstrer wird, Tag für Tag die Nächte länger, langsam aber stetig, da ergreifen sie die Flucht nach vorn, krempeln die Ärmel hoch, stapeln Lampen, Lämpchen, Leuchten, Lichtlein in die Einkaufswagen. Zu Tausenden. Was sag ich? Zu Hunderttausenden. Dabei wären die Einzigen, die in Sachen Licht 'n Wörtchen mitzureden hätten, ja wohl Baldur und der olle Loki, wenn Ihr Euch erinnern möchtet, Ihr brustgeschwellten Leuchtegockel Ihr! Muss man sich vorstellen: Für dies flirrend-grelle Geflimmer, Gefunkel, für das Lichtgeprasse von all den armseligen Armleuchtern Land auf Land ab, dafür war der Loki die endlosen Jahre an diesen kargen, an diesen höllischen Felsen festgekettet. Dafür! Hätt er sich verdammt auch nicht träumen lassen.«
Plötzlich, Marit wusste überhaupt nicht, wie ihr geschah, plötzlich standen neben ihr zwei schwarze Hosenbeine. Und als sie langsam, ganz langsam den Blick hob, musste sie feststellen, dass darin ein hochaufgeschossener Kerl steckte. Ein Schrank von einem Kerl. Daran bestand kein Zweifel, auch wenn ihre Perspektive von da unten zu Füßen des Netzgebirges ein Übriges dazu tun mochte, dem von Kopf bis Fuß schwarz gekleideten Mann gradezu Riesendimensionen zu verleihen. Sie war weiß Gott alles andre als ängstlich, aber als sie dem geheimnisvollen Fremden ins Gesicht sah, da ließ sie denn doch einen Schrei fahren, der die verblichenen Urahnen Odins zur neuerlichen Götterdämmerung hätte aufwecken können. Dieses Gesicht, in das sie da eben hatte blicken müssen, war schwarz, pechschwarz! Und wer hatte je auf den Vesterålen ein schwarzes Gesicht gesehen, ein so was von schwarzes Gesicht! Und natürlich hatte sie sofort gesehen, dass ihm aus der Stirn, rechts und links direkt am Haaransatz zwei spitzige Hörner wuchsen, krumm gebogen wie die eines stinkenden Ziegenbocks. Weder wollte sie auch nur eine Sekunde länger in dieses Grauen von einem Gesicht blicken, noch wagte sie es, den Blick zu senken, denn aus dem Augenwinkel hatte sie gesehen, dass der linke Fuß des Mannes von klumpigen Auswüchsen gezeichnet war. Um des hohen Himmels Willen, Marit stierte krampfhaft an dem Kerl vorbei aufs rauchgraue Meer, bekreuzigte sich und stammelte etwas von wegen, dass sie nie wieder an die Götter und Halbgötter, die hier in den hohen Breiten ihr Unwesen trieben, auch nur einen Gedanken verschwenden, sondern ausschließlichst an den einen einzigen Christengott glauben werde. Und heute Nacht noch, gelobte sie stumm, werde sie zwölf, oder ja, zwanzig Ave-Maria vom Stapel lassen. Wenn nur, ja, wenn der Gehörnte so plötzlich und leise, wie er erschienen war, auch wieder verschwinden werde.
»Kennen Sie den Leuchtturmwärter hier, Frau Tideband?«
Im Namen aller heiligen Geschöpfe aus Bestlas, oder nein besser: aus Evas erhabnem Schoß: Der Kerl hatte eine gradezu menschliche Stimme! Perfides Täuschungsmanöver! Und als sie jetzt gezwungen war, doch noch einmal aufzublicken, entdeckte sie, dass sein Gesicht längst nicht mehr so schwarz war, womöglich war nur ein etwas tiefer Schatten drauf gefallen. Und die Hörner – was für Hörner? »Den Leuchtturmwärter? Hier kennt jeder jeden. Aber ...«
»Aber?«
»Aber der Mann hat zu tun.«
»So?«
»Ist draußen irgendwo bei den Leuchtfeuern oder Bojen oder was, gehören ja, ich weiß nicht, etliche zu seinem Bezirk. Muss er irgendwas richten. Was fragen Sie mich denn das? Wer sind Sie überhaupt? Wenn wer Neues auf unser Eiland kommt, der stellt sich erst mal vor, vernünftig. Dass man weiß, wo man dran ist.«
»Dann bestellen Sie dem Leuchtturmwärter mal, er soll sich bei seiner Arbeit nicht stören lassen.«
»Ja, aber ...«
Aber da war der Kerl in Schwarz schon wieder verschwunden, so plötzlich und leise, wie er erschienen war. Huschte mit leichten, mit federleichten Schritten über die Felshöcker, schwebte um die Krüppelbirke drüben und war weg. Einfach weg.
»Deibel noch mal«, entfuhr es Marit, »woher, zum Teufel, weiß der meinen Namen?«
___10.
Der Oktobermorgen war noch jung. Bitterkalt. Das sah Finn beim ersten Blick aus dem schmalen Fenster, das vom winzigen Badezimmer des Leuchtturms Richtung Osten zeigte, rüber zu den Bergen der Insel Grovöya. Ohne dass er es merkte, bremste er seine Zahnbürste und verlor sich dem Anblick der paar wenigen Dächer zu Füßen des Leuchtturms, alle raureifweiß. Auch wie sich langsam die Tür öffnete, bekam er nicht mit. Erst als ihm plötzlich eine weiche Hand in den Schritt fuhr, schreckte er auf.
»Brik, ich putz mir die Zähne – dir ist aber auch nichts heilig.« Der Form halber nahm er das Zähneputzen wieder auf, aber Briks Hand wollte ihre einmal eroberte komfortable Position offensichtlich nicht wieder aufgeben. Was allerdings auch ihren Mann nicht unbeeindruckt ließ. Zwischen Zahnpastaschaum und emsig fuhrwerkender Zahnbürste hindurch säuselte er: »Ja, wenn das so ist. Über so 'ne Störung ließe sich vielleicht verhandeln.«
»Wo du dir grad die Zähne putzt, Mann, ist es nicht so viel Arbeit, an die entscheidenden Gerätschaften dranzukommen«, kicherte Brik.
Finn gurgelte, ob er vielleicht vorher noch ausspucken dürfe.
»Nein«, hauchte sie, »heh, siehste nicht? Der kriegt's auch so hin.«
Jetzt war Finn endgültig nicht mehr Herr der Lage, er wand sich wie eine Kobra, spuckte Schaum und Wasser in hohem Bogen ins winzige Becken, und sein Prusten ging nahtlos in eine Art sonores Schnurren über. Aber plötzlich, als sei er aus heiterem Himmel wieder zur Besinnung gekommen, stoppte er. »Brik, ich muss endlich mal was loswerden: Ich hab keine Ahnung, wie lang das noch gut geht.«
»Was? Wieso?« Brik hatte die Liebesverrichtungen ebenfalls abrupt unterbrochen.
»Mein Job. Die Arbeit, mein Leuchtturm.«
»Wissen wir doch längst.« Sie nahm den Rhythmus langsam wieder auf, aber es gelang ihr nicht, Finn mit auf die Schwingen zu heben.
»Das ist nur noch 'ne Frage der Zeit. Dann ist das zu Ende hier. Die neuen Zeiten, wo du immer so von schwärmst, – die wollen das alles hier automatisieren, verstehst du.«
»Aber das wissen wir, Mann, das haben sie euch doch schon während der Ausbildung unschonend beigebracht. Du wirst schon was Neues finden, heh, wenn das hier zu Ende geht.«
»Ich will aber nicht. Ich will nichts Neues finden. Und vor allen Dingen will ich kein Kind. Nicht so. Nicht wenn ich nicht weiß, was wird.«
»Können wir jetzt mal langsam hier weitermachen?« Brik