On the Road. Hans-Christian Kirsch

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Название On the Road
Автор произведения Hans-Christian Kirsch
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783862870592



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das klassische Musikprogramm der Station WXT und saugt an der Pfeife, die er sich als Zeichen seines Studentenstatus zugelegt hat.

      Der 16. Oktober 1940 schon ist vorlesungsfrei, und die Mehrzahl der Studenten begibt sich zur ersten Musterung in Friedenszeiten in der Geschichte der USA.

      In New York interessiert man sich lebhaft für die sensationellen Bilder von der Luftschlacht über England. Könnte einem das hier auch blühen, wenn es mit den Erfolgen Hitlers so weiterginge?

      Angesichts der allgemeinen Kriegsbegeisterung unter den jungen Leuten ist es wenig erstaunlich, dass sich auch Jack für den Fall eines Kriegsausbruchs für die Streitkräfte registrieren lässt. In Columbia spielt er mit gutem Erfolg in der American-Football-Mannschaft. Aber nach dem fünften Saisonspiel bricht er sich den Fuß.

      Jack genießt das erzwungene Faulenzerleben. Statt Teller zu waschen, geht er jeden Abend in das Universitätsrestaurant Lion’s Den und bestellt dort auf Kosten der Sportabteilung große Steaks und Eisportionen. Auf seinem Zimmer verschlingt er die Romane von Thomas Wolfe, von dem er später sagen wird: ›Er ließ mich Amerika als ein Gedicht statt als Ort begreifen, an dem man sich abrackern und schwitzen muss.‹18

      Noch ehe er die Krücken beiseite gelegt hat, macht er die Bekanntschaft von Frankie Edith Parker. Die Neunzehnjährige aus Grosse Pointe, Michigan, lebt in Manhattan bei ihrer Großmutter. Sie ist nach New York gekommen, um bei George Grosz Kunst zu studieren, aber mehr noch, weil sie das aufregende Leben der großen Stadt verlockt. Aufgewachsen ist sie in einem konservativen Vorort von Detroit unter Millionären. Sie ist entschlossen, alles zu sehen und zu erleben, was es in Grosse Pointe nicht gibt. In Manhattan hat sie den Franzosen Henri Cru kennen gelemt und sich sofort in den lustigen und lebensfrohen jungen Mann verliebt. Sogar von Heirat ist schon die Rede gewesen.

      Dann geht Kerouac mit dem Paar aus. Jack flirtet mit ihr, und es geschieht das, was Nicosia, einer von Jacks Biographen, einen Wettkampf zwischen einem Pfau und einem Landstreicher nennt. Cru ist in seiner Marineuniform erschienen, Jack trägt einen alten Pullover. Frankie weiß Crus perfekte Umgangsformen zu schätzen, aber sie weiß auch, dass Cru noch andere Freundinnen hat. Außerdem schmeicheln ihr Jacks Komplimente.

      Die Sommerferien verbringt Jack wieder in Lowell. Manchmal trampt er nach Boston, wo sein Freund Sammy Sampas im Park antifaschistische Reden hält. In diesem Sommer überfällt Hitler die Sowjetunion. In Amerika laufen die Kriegsvorbereitungen an. In Hollywood beschäftigen sich die Walt-Disney-Studios damit, militärische Insignien zu entwerfen.

      Jacks Vater Leo, der lange Zeit als Drucker mal hier und mal dort gearbeitet hat, bekommt endlich eine feste Stelle als Linotypesetzer in New York, und die Eltern mieten ein Haus am Sund von Long Island, nahe New Haven.

      In Columbia werden brauchbare Footballspieler rar. Lou Littles Quarterback hat sich freiwillig zur Marine gemeldet. Aber dann füllt Little das Hinterfeld mit älteren Semestern auf, und Jack sieht wieder einmal eine Saison vor sich, die er vorwiegend auf der Bank verbringen wird. Aus den Spannungen zwischen dem Trainer und ihm ist eine mehr oder minder offene Feindschaft geworden. Jack nimmt es Little übel, dass dieser seine italienische Abstammung verleugnet. Außerdem will der Trainer nicht mehr von seinem Versprechen wissen, Leo Kerouac einen Job in New York zu besorgen. Zu allem kommt, dass Jack genug vom American Football gesehen hat, um ernüchtert zu sein. Sport hat lange für ihn etwas mit bestimmten Idealen wie Fairness, Tapferkeit, Mut zu tun gehabt. Damit ist es vorbei. Das Schreiben wird immer wichtiger für ihn. Immerhin lädt er Frankie noch dazu ein, ihm beim Training auf Baker Field zuzuschauen. Als er sie nachts in der Wohnung ihrer schwerhörigen Großmutter besucht, vertraut er ihr seinen Frust über die -wie er findet - ungerechte Behandlung durch Lou Little an, und als der Trainer einige Tage später wieder an seiner Statur herummäkelt, hat sich sein Zorn so gesteigert, dass er von einem Augenblick zum andern alles hinwirft und die Universität fluchtartig verlässt.

      In Brooklyn stellt er bei seinen Verwandten seine wenigen Habseligkeiten ab, dann fährt er zur Greyhound Station, kauft sich eine Fahrkarte und taucht ein in die amerikanische Nacht. Angeregt von der Lektüre Thomas Wolfes, hat Jack beschlossen, ehe er anfangen könne zu schreiben, müsse er Amerika erkunden. Das Geld geht ihm aus. Er fährt zu seinen Eltern nach New Haven. Vor allem Leo ist bitter enttäuscht, dass sein Sohn das Studium aufgegeben hat. Ein Bekannter besorgt Jack eine Stelle als Sportjournalist bei der Sun. Da er sich aber herzlich wenig um die Sportereignisse kümmert, über die er berichten soll, und sich statt dessen ausführlich mit den Romanen und der Erzähltechnik des inneren Monologs bei James Joyce beschäftigt, steht er bald wieder auf der Straße.

      Dann kommt im Dezember die Nachricht vom japanischen Überfall auf Pearl Harbor. Jack ist an diesem Abend gerade im Kino gewesen und hat sich Citizen Kane von und mit Orson Welles angesehen.

      Während sich die USA rasch in eine gewaltige Kriegsmaschinerie verwandeln, tritt Jack den Rückzug nach innen an. Stundenlang schmökert er in der öffentlichen Bücherei in Goethes Faust und in den Romanen Dostojewskis.

      Das Werk des russischen Autors bleibt seine bevorzugte Lektüre während der nächsten Jahre. Jack imponiert der Gedanke, Leiden sei eine Voraussetzung für ein geschärftes Bewusstsein.

      In einer Zeit, in der die meisten Amerikaner ihr neues Selbstvertrauen aus einem Krieg beziehen, legt Dostojewskij ihm nahe, dass der zivilisatorische Fortschritt nicht das A und O menschlicher Existenz sein könne. Wünsche, so liest Kerouac bei dem russischen Wahrheitssucher, seien stärker als die Einsichten des Verstandes. Wenn wir unseren Wünschen folgten, könnten wir unter Umständen in die Hölle geraten, aber immerhin würden wir dabei unsere Lebendigkeit spüren, spüren, dass wir leben. Der freie Wille des Individuums sei das vielleicht einzige Prinzip, das das Leben in einer blutrünstigen, nur angeblich zivilisierten, tatsächlich aber absurden Gesellschaft noch lebenswert mache.

      Bis März 1941 ist Jack die ewigen Streitigkeiten mit Leo so leid, dass er nach Washington trampt, wo ein anderer Jugendfreund, G. J. Apostolakis, auf der Baustelle des Pentagon arbeitet. Er hat vorgeschlagen, Jack dort unterzubringen.

      Für die Tätigkeit bei einer Firma für Stahlverkleidungen besitzt Jack keinerlei Erfahrungen. Häufig ist er während der Arbeitszeit betrunken. Manchmal verschwindet er für Stunden: das eine Mal, um zu schlafen, ein andermal, um Schwarzen beim Singen zuzuhören. Nach einigen dubiosen Abenteuern mit Frauen, von denen er sich aushalten lässt, kehrt er wieder nach Lowell zurück, deprimiert und entschlossen, sich in den Krieg zu stürzen. Seinem Freund Sammy Sampas muss er versprechen, keine Dummheiten zu machen. Aber dann trampen sie beide nach Boston, zechen, und Jack, der darüber vergisst, dass er sich schön zur Kriegsmarine gemeldet hat, lässt sich bei der Küstenwache einschreiben.

      Bei einer Sauftour trifft er auf eine Gruppe von Matrosen der Handelsmarine, und am nächsten Morgen findet er sich als Küchenhilfe auf der S. S. Dorchester wieder.

      Für diese Tätigkeit werden bei einem Acht-Stunden-Arbeitstag hundert Dollar im Monat bezahlt. Weitere hundert Dollar kommen als Kriegs- und Gefahrenbonus dazu.

      Am 22. Juli 1942 läuft die Dorchester mit Geleitschutz nach Grönland aus. Sie bringt fünfhundert Bauarbeiter des Verteidigungsministeriums in die Arktis, hat aber auch größere Mengen Sprengstoff an Bord.

      In Briefen an Freunde gibt Jack vor, das Leben auf hoher See wecke in ihm den von seinen bretonischen Vorfahren ererbten Seefahrerinstinkt. In Wahrheit lehren ihn die Torpedoangriffe deutscher U-Boote das Fürchten.

      Ein andermal wird ein deutsches U-Boot mit Wasserbomben versenkt, und Jack versucht, sich in die Rolle des Küchenjungen auf dem Schiff des Feindes zu versetzen.

      Natürlich ist er auch auf der Dorchester ein Außenseiter, zumal er viel liest und schreibt.

      Messerstechereien unter der Besatzung jagen ihm Schrecken ein. Später wird er schreiben, auf der Dorchester sei er zum Pazifisten geworden. Kriege seien Wahnsinn, würden nur ausgetragen, damit einige wenige daran verdienten.

      Im einzelnen sind die Erlebnisse auf dieser Fahrt in seinem letzten Roman Die Verblendung des Duluoz nachzulesen. Dort heißt es auch, er habe sich während der ganzen Fahrt äußerst elend gefühlt, wie ein Sklave auf einem Gefängnisschiff. Und im