On the Road. Hans-Christian Kirsch

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Название On the Road
Автор произведения Hans-Christian Kirsch
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783862870592



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il faut auf Long Island wohnt. Die beiden Klassenkameraden sind die besten Spieler im Schachklub der Schule. Auch bei Eddys Eltern ist Jack mehrmals an Wochenenden zu Gast. Eddys Vater ist Holzhändler und pflegt ein ganzes Bündel von Hundert-Dollar-Noten in der Hosentasche bei sich zu tragen. Für Jack ist es das erste Mal, dass er überhaupt so große Geldscheine zu sehen bekommt. Nach solchen Wochenenden fühlt er sich - auch ohne dass die reichen Leute es darauf anlegen würden, ihn zu demütigen, im Gegenteil, sie sind freundlich und akzeptieren ihn als ihres gleichen - deprimiert und sehnt sich nach Lowell zurück.

      Eine andere Welt ist midtown, das Viertel um den Times Square mit seinen Kinos, in denen französische Filme gezeigt werden... mit den schmutzigen Bars, in denen sich Huren, Rauschgiftsüchtige und Homosexuelle herumtreiben... mit den Stundenhotels.

      Immer wieder streift sein neugierig-begehrlicher Blick die Frauen, denen er auf diesen Straßen begegnet.

      Schließlich, als er sich etwas Geld von verkauften Englischaufsätzen erspart hat, fasst er sich ein Herz und spricht eine Rothaarige, die ihm schon die ganze Zeit in die Augen gestochen hat, an. Auf ihrem Zimmer verliert er seine Unschuld. Er behält durchaus angenehme Erinnerungen an dieses Ereignis.

      Im Horace Mann Quarterly erscheint seine erste Kurzgeschichte ›Die Brüder‹. Es ist eine Detektivgeschichte, im Stil abgeschaut bei Henry James, die Handlung konstruiert unter starken Anleihen bei Sherlock Holmes. Doch schon die zweite Geschichte ›Une Veille de Noel‹, Studenten am Weihnachtsabend in einer Bar im Village, verrät sein musikalisches Gespür, seine Begabung, die Melodie von Gesprächen, die er gehört hat, in seine Texte zu übernehmen, die Sprechmusik des amerikanischen Alltags in Literatur zu übersetzen.

      Gefördert wird diese Fähigkeit gewiss auch dadurch, dass er den Jazz entdeckt. Es ist einer seiner Klassenkameraden, Seymour Wyse, ein Engländer mit exotischen Interessen, der ihn nach Harlem mitnimmt. Im Apollo-Theater, im Herzen des schwarzen New York, hört Jack zum ersten Maleinen Schwarzen Musiker: Jimmy Lunceford.

      Dazu ist die damals durchaus noch bestehende Rassenschranke zu überwinden. Vorurteile müssen aufgegeben werden, die Jack von seiner Familie übernommen hat. Denn Leo Kerouac, der die Liberalen und Juden für das Unglück Amerikas und sein persönliches Versagen verantwortlich macht, hat auch für Schwarze keine Sympathien.

      Wer sich für Jazz interessiert, sieht sich veranlasst, in der Rassenfrage Stellung zu nehmen. Wer Jazz hören geht, bewegt sich außerhalb der bürgerlichen Ordnung in einem halbkriminellen Milieu.

      Es ist nicht zuletzt seine wachsende Vorliebe für guten Jazz, die bewirkt, dass Jack Kerouac langsam die Eierschalen eines braven strebsamen Jungen und Football-Heroen aus der Provinz ablegt und sich immer mehr zu den Außenseitern der Gesellschaft hingezogen fühlt.

      Er begreift - und das ist erstaunlich für einen Jungen seines Alters und spricht, wie die Auswahl seiner Lieblingsmusiker auch, für seine Musikalität, dass guter Jazz nicht zur Unterhaltung und zum Tanzen gemacht wird. Jack definiert ihn vielmehr in seinem Artikel für die Studentenzeitung als eine Musik, ›die nicht vorarrangiert ist, sondern frei für alle und alles ad lib. Sie stellt den Ausbruch passionierter Musiker dar, die all ihre Energie in ihre Instrumente einbringen, bei der Suche nach seelenvollem Ausdruck und Superimprovisation‹13.

      Als beste Band zu dieser Zeit nennt er nicht Glenn Miller, Benny Goodman oder die Gruppen von Harry James, sondern die schwarze Band von Count Basie, und in ihr ist es Lester Young, dessen Sound ihm richtungweisend erscheint.

      Lester Young, von Billie Holiday als ›Prez‹ (Präsident) apostrophiert, bringt bei seinen Solos einen lakonisch-expressiven Ton.

      Schwermütig-reflektiv greift Prez auf die Wurzeln des Jazz und zu seiner Seele, dem Blues, zurück.

      ›Die Wahrheit des Blues‹, lesen wir bei einem Musikkritiker, ›läuft dem geradezu hysterischen Vertrauen in Fortschritt, Maschinen und menschliche Kraft entgegen. Es ist eine dunklere, schicksalsträchtigere, aber im Letzten dann auch mehr entspannte und humorvolle Wahrheit, die ihr ganz eigenes, nüchternes und sinnliches Vergnügen hat.‹

      Einer der Großen des Blues, Memphis Slim, hat einmal gesagt: ›Wenn alles einstürzt, musst du zurückgehen zur Mutter Erde.‹

      In dieser Musik, die Kerouac in diesen Jahren hört und analysiert, liegen nicht nur die Wurzeln seines Prosastils, sie entspricht voll und ganz dem Lebensgefühl der sich erst später bildenden Beat generation. Kerouac hat sich später ausdrücklich dazu bekannt, den Satzbau seiner Texte der Phrase im Jazz nachgestaltet zu haben. Er hat seine spezifische Schreibweise mit dem musikalischen Vortrag eines Bläsers verglichen und erklärt, die Länge der Atemzüge sei für beide die rhythmische Maßeinheit.

      ›Jazz und Bop in dem Sinn, wie ein Tenorsaxophonist Atem schöpft und eine Phrase auf seinem Saxophon bläst, bis ihm der Atem ausgeht, und bis das geschehen ist, muss die Verlautbarung erfolgt sein... Genauso teile ich meine Sätze. Sie trennen sich voneinander im Bewusstsein der Notwendigkeit, dazwischen zu atmen... ich formuliere die Theorie des Atmens als Maß in Prosa und Lyrik... so kommt es zu einer Sprache, die die rassige Schärfe, die Freiheit und den Humor des Jazz hat.‹14

      Vorerst schreiben wir noch das Jahr 1939/40. Die Ereignisse des eben in Europa ausgebrochenen Weltkriegs sind für die Menschen in den USA noch fern. Jack besucht in der großen Stadt seinen Vorkurs zur Universität, hat in jeder Beziehung viel zu lernen und träumt immer noch davon, ein Starspieler im American Football zu werden.

      Zu dem großen Frühlingsball im April 1939 lädt er Mary Carney ein, zu der der Kontakt nicht ganz abgebrochen ist. Der Smoking, den Jack trägt, stammt vom Onkel eines seiner Klassenkameraden, ein anderer borgt ihm die Schlüssel zu einer Wohnung in der West End Avenue, wo Mary wohnen wird. Einkünfte aus seinem Aufsatzhandel investiert Jack in einen Besuch beim Friseur und im Bräunungsstudio des Hotels Pennsylvania, mit dem Erfolg, dass er, als ihn sein Mädchen in der Wohnung seiner Tante trifft, einen schmerzhaften Sonnenbrand hat. Mary trägt ein rosa Kleid und eine Rose im Haar. Der Besuch in New York wird kein Erfolg. Die Freundinnen der reichen Jungen schneiden die Landpomeranze. Mary ist todunglücklich. Sie sagt ihm eindeutig - und man kann ziemlich sicher sein, hier ist kein Unterschied zwischen Fiktion und Wirklichkeit: ›...ich werde niemals in dieses New York kommen und hier leben, du musst mich zu Hause nehmen und so wie ich bin... Du gehst hier vollkommen verloren, ich kann dich gerade noch erkennen - Du hättest nie von zu Hause weggehen sollen, um hierherzukommen, mir ist es egal, was alle anderen über Erfolg und Karriere reden - es wird dir nichts Gutes bringen...‹15

      Damit ist es entschieden. Er wird sie noch einmal wiedersehen, als er während der Ferien nach Lowell kommt. Endlich wird er sich ein Herz fassen und versuchen, sie zu verführen, aber mehr als eine Rangelei in einem Auto wird nicht daraus.

      In diesen Sommerferien lesen Jack und sein Freund Sammy Sampas Thomas Hardy, Emily Dickinson, David Thoreau, daneben aber auch Jack London, in dessen Geschichten Jack das Lebensgefühl der Hobos und Bums anspricht. Vor allem aber berauschen sich die beiden Freunde in Lowell an dem ›krachenden Donner von Walt Whitmans visionären Prophezeiungen‹16

      Dennis MacNally schreibt über diesen Einfluss: ›...Walt war für sie mehr als ein metaphysischer Dichter, er war ein Amerikaner, er war ein Barde, der von der Seele eines großen Landes sang, der die einfachen arbeitenden Menschen in diesem Land feierte und eine Prostituierte, die um ihr Recht klagte, nicht ausschloss. Der wildentschlossene, nun patriotisch eingemeindete Amerikaner, zu dem sich Jack entwickelt hatte, nickte dazu, wenn bei Walt stand: Wer bist du denn, der du reden oder singen willst von Amerika/Hast du dieses Land studiert, seine Idiome, seine Menschen?‹17

      Der Krieg kommt nun näher. Als Jack zu seinem Freshman-Jahr an der Columbia University nach New York zurückfährt, kreiert Kate Smith gerade die patriotische Schnulze God Bless America. Überall in den Straßen New Yorks sieht man Plakate, die zu Hilfsaktionen für Holland, Polen und England aufrufen.

      Vorerst ist Jack damit beschäftigt, sich an der Universität einzugewöhnen. Er lebt in einem Studentenheim und nicht mehr bei seinen Verwandten. Er hört die moralisierende Einführungsrede des Präsidenten von Columbia. Von den Vorlesungen beeindruckt ihn vor allem der Kurs von Professor Mark