On the Road. Hans-Christian Kirsch

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Название On the Road
Автор произведения Hans-Christian Kirsch
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783862870592



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      Nach einer stürmischen Rückreise über den Atlantik überkommt ihn ein Freudentaumel, als er die Skyline von Manhattan vor sich sieht. Mit der Lohntüte in der einen Hand und einem Bierglas in der anderen setzt er seine Kameraden noch mit einer feurigen Rede in Erstaunen.

      Von einer U-Bahn-Station am Broadway läuft er bei strömendem Regen über den Campus von Columbia bis zu dem Haus an der 118th Street West, in dem Edie Parker und Joan Vollmer das Apartment 15 bewohnen.

      Edie ist erstaunt, Jack wiederzusehen. So ganz hatte sie seinem Schwur vor der Abfahrt nicht getraut. Nun bereitet sie ihm seinen Lieblingssnack, Spargel mit Oliven in Mayonnaise. Danach lassen die beiden die Jalousien vor dem Fenster herunter und springen ins Bett.

      Den Winter 1943 und 1944 lebt Jack fast ständig in der Wohnung von Edie Parker. Sie erinnert sich später: ›Wir nahmen die Hexenprozesse von Salem in unseren Gesprächen miteinander durch. Wir lasen Finnegans Wake zusammen. Jack versuchte ständig, in der Zeitung gewinnträchtige Pferde auszumachen. Er tat das fast jeden Tag - eines seiner vielen Spiele. Nie setzte er Geld auf Pferde, im Unterschied zu seinem Vater Leo, der immer verlor. Jacks Pferde gewannen, aber das wusste Leo nicht.‹25

      Nur Liebesidylle eines abgemusterten Seemanns und einer Kunststudentin ist das Leben in diesen Monaten nun auch nicht. Von Henry Cru erfährt Jack, dass Edie in seiner Abwesenheit eine Abtreibung hat vornehmen lassen. Sie wusste nicht, ob Cru oder Jack der Vater des Kindes war, und als sie im vierten Monat war, hat sie schließlich mit ihrer Großmutter gesprochen, die ihr das Geld gegeben hat. Bei dem fortgeschrittenem Stadium der Schwangerschaft war es eine schwierige Operation. Man hat Edie gesagt, dass es der Fötus eines männlichen Kindes gewesen ist.

      Jack ist entsetzt und wütend, als er von der Abtreibung erfährt. Er sagt, er hätte sich über ein Kind gefreut. Edie hält ihm vor, er habe ihr von unterwegs nicht einmal geschrieben. Außerdem schätze er die Schwierigkeiten, ein Kind großzuziehen, nicht realistisch ein. Als ob sie nicht genügend Geld von ihren Eltern erben würde, mault Jack, worauf sie seinen Wunsch nach einem Kind als das Verlangen nach narzisstischer Selbstbestätigung diagnostiziert.

      Anfang 1944 erfährt Kerouac, dass Sammy Sampas in Enzio an der italienischen Front verwundet worden und kurz darauf in einem Lazarett in Nordafrika gestorben ist - derjenige unter seinen Jugendfreunden, der ihm in seinem unschuldigen Idealismus am nächsten gestanden und der am meisten zu seiner Entwicklung beigetragen hat.

      Während Jacks Abwesenheit hat Edie Lucien Carr in einer Bar im West End kennengelernt. Ein blonder, wunderschöner Junge, der wie Rimbaud redet, schwärmt sie Jack vor. Carr hat eine schöne und ebenfalls auffällig blonde Freundin, Celine Young. Die beiden treffen sich häufig in Edies Apartment: zu einem Liebesstündchen. Edie erzählt Jack auch von Carrs sonderbarer Beziehung zu dem rotbärtigen David Kammerer. Sie vermutet, dass Carr mit seiner Freundin deshalb zu ihr kommt, um nicht Kammerers Eifersucht zu erregen. Jacks erster Eindruck, nachdem er Carr getroffen hat: ›Eine bösartige kleine Giftspritze.‹26

      Über Carr lernt Jack William Burroughs und Allen Ginsberg kennen.

      Wie Jack ist Edie an ungewöhnlichen Menschen interessiert und teilt Jacks Begeisterung für Musik. In einem Club in Harlem hören sie Billie Holiday und unterhalten sich auch ein paarmal mit der Sängerin. Ins Minton oder in den Cotton Club begleitet sie Jacks Klassenkamerad aus dem Vorkurs.

      Jack fährt inzwischen voll und ganz auf Bebop ab. Im Three Deuces hören sie Parker, Gillespie und Slam Steward. Jack schlägt zur Musik einen unsichtbaren Bass und dudelt manchmal in einem Scat-Gesang mit. Er macht Edie auf den Pianisten Art Tatum aufmerksam, aber sie hören auch Leadbelly mit seinen ländlichen Blues und seinen Worksongs.

      Immer intensiver werden Jacks Beziehungen zur Jazzmusik und sein Wunsch, so zu schreiben, wie diese Musiker, spielen, wird wohl in diesen Monaten entstanden sein. Gerard Nicosia schreibt dazu: ›Obwohl Bop ein Herzschrei war, konnte er nur von Musikern mit großer technischer Virtuosität gespielt werden. Mit Wyses Hilfe lernte Jack die Feinheiten dessen begreifen, was diese Musiker ausdrücken wollten. Das Ergebnis war, dass er ein eigenes Bop-Gehör für die einzigartigen Töne in seinem Kopf entwickelte. Es sollte noch Jahre dauern, ehe er lernte, seine ganz persönliche Musik zu spielen - das heißt, sie zu Papier zu bringen, so dass auch andere sie hören konnten.‹27

      Edie würde Jack gern heiraten, aber immer, wenn sie auf dieses Thema zu sprechen kommt, stellt er sich taub. Hin und wieder fährt er zu seinen Eltern, bei denen er es aber nie lange aushält, und kommt jedesmal in Edies Wohnung nach New York zurück.

      Mit Edie besucht er schließlich ihren verwitweten Vater und ihre Tante in Grosse Pointe. Zum ersten Malunter die Superreichen versetzt, stellt er fest, dass sie keineswegs ein Leben führen, wie er es sich wünscht. Im Mai kehrt er allein in den Osten zurück. Unterwegs legt er in Ashville, dem Geburtsort von Thomas Wolfe, einen Aufenthalt ein und trinkt einen Abend lang mit dessen älterem Bruder. Der Plan, in New Orleans ein Schiff zu finden und als Matrose anzu heuem, zerschlägt sich. Als er nach Manhattan in die 118th Street zu Edie kommt, wird er mit offenen Armen aufgenommen.

      Edie ist gerade dabei, sich von ihrer reichen Verwandtschaft abzunabeln. Sie arbeitet im Hafen von New York, fährt dort einen Gabelstapler.

      Unter den Männern, die Jack durch Lucien Carr kennenlernt und die er als ›vorsätzlich pervers‹28 bezeichnet - Männer die ihn verstandesmäßig abstoßen, emotional aber faszinieren, kommt die Angewohnheit auf, sich in literarischen Anspielungen zu unterhalten und sich die Namen von Gestalten aus Gedichten und Romanen zu geben. Lucien Carr nennen sie ›das Kind des Regenbogens‹, einen zweiten Rimbaud; seine Freundin wird zu Hans Castorps russischer Geliebter aus dem Zauberberg, der katzenäugigen Madame Chauchat, Edie zu Nastasja aus Dostojewskijs Idiot, jener Kurtisane, über deren Untreue Fürst Myschkin dem Wahnsinn verfällt. Voller Misstrauen, wie es in jedem Canuck steckt, fragt sich Kerouac, was dieser Burroughs, was Carr und Kammerer und der junge Ginsberg, ›diese böse und intelligente Handvoll Bastarde und Scheiße‹29, wie er sie später einmal wütend nennen wird, in ihm sehen. Die Antwort ist einfacher und schmeichelhafter, als er denkt: Sie wittern seine literarische Begabung. Außerdem sind sie wohl wissend um ihre eigene Gebrochenheit - von seiner lebensoffenen Naivität und seiner Neugier angetan. Und da die meisten homosexuell sind, ist nicht selten eine gewisse erotische Schwärmerei für den gutaussehenden und wagemutigen jungen Mann im Spiel.

      Edie leidet unter Jacks Rastlosigkeit. Überhaupt ist ihre Beziehung nicht so glücklich, wie sie sich selbst und andere glauben zu machen versuchen. Wenn sie Musik hören gehen, trinkt Jack zu viel und raucht neuerdings Marihuana. Er hat immer noch Zweifel, ob er sich fest binden soll... und dann auch noch ein Mädchen aus einer Familie mit so viel Geld. Es ist ihm unangenehm, dass er sich von Edie aushalten lassen muss. Jobs hat er bestenfalls auf kurze Zeit. Die Beziehungen zwischen seinen Eltern und Edie sind spannungsreich. Leo beleidigt Edie, nennt sie eine Schlampe, Gabrielle beklagt sich über Edies unkeusche Ausdrucksweise und hält ihrem Sohn vor, das Mädchen sei zu wild, um ihm je eine treue Ehefrau zu sein. Jack geht das alles auf die Nerven.

      Noch immer steht er der Welt seiner Boheme-Freunde mit einer gewissen Skepsis und abwartender Distanz gegenüber. Äußere Ereignisse werden ihm schließlich die Entscheidung abnehmen. Im schwülen Sommer des Jahres 1944 wird er endgültig zu einem Teil jener Gruppe der ›Unterirdischen‹, die sich in Manhattan zwischen Columbia und dem Times Square zusammengefunden hat.

      II. BUCH

      Die Unterirdischen

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