Bilder aus dem Berliner Leben. Julius Rodenberg

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Название Bilder aus dem Berliner Leben
Автор произведения Julius Rodenberg
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783864080883



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      Inzwischen war aber auch die Landsberger Straße nebst den umgebenden Straßen beträchtlich gewachsen; es waren just keine schönen Häuser, die man all hier erbaute, als alles umher noch plattes Land war; sie haben etwas vom märkischen Bauernhause, das mit dem behäbigen der gesegneteren deutschen Landstriche sich nicht messen kann, und nicht wenige von ihnen, in ihrem gegenwärtigen verwitterten Zustand und Verfall, sind noch schlimmer – Reste der Vergangenheit, denen man noch vielfach in Berlin begegnet, deren Fortexistenz man aber umso weniger begreift, als der Grund und Boden, den sie einnehmen, inzwischen so beträchtlich mehr wert geworden sein muss als die Gebäude selbst. Nichts kann unwohnlicher und weniger einladend sein als die langgestreckten Lehmhäuser dieser Art, die den Wanderer, bis in den Tiergarten hinein, daran erinnern, dass Berlin nicht immer die Stadt der Paläste gewesen, als die es uns heute erscheint. Niedrig, finster, mit nur einem Stock oder vielmehr Erdgeschoss mit vergitterten Fenstern, mit halb zugemauerten Fenstern, manchmal mit gar keinen Fenstern, sondern viereckigen Löchern, wie in einem Stall, stehen sie da, mit einer Miene von Trotz und Unabhängigkeit, zwischen den neueren Häusern, welche sie zu verdrängen keine Macht haben. Ob heute noch Leute darin wohnen? Ich glaube ja; und mehr als das: an einem derselben in dieser Gegend zum Beispiel habe ich ein Schild mit der Inschrift gesehen: »Salon für kleine und große Gesellschaften«. An einem andern, hinter dem übrigens sich ein weiter Hof befand, las ich: »Elegante Brautwagen, Chaisen33 zu Festlichkeiten«. Das muss ein fideles Volk sein in diesen miserablen Spelunken, die man hier in den Haupt- und Nebenstraßen noch überall erblickt.

      Deutlicher, weniger fragmentarisch als in den meisten anderen Straßen Berlins meine ich in den einzelnen noch unterscheidbaren Stücken dieser Landsberger Straße, wie sie sich im Verlaufe von fast anderthalbhundert Jahren aneinandergefügt haben, den Fortschritt der Bauweise zu erkennen, von jenem Hause der äußersten Armseligkeit angefangen, aus welchem ehemals ganze Straßen bestanden, das sich aber jetzt nur noch in einzelnen Exemplaren erhalten hat. Von den Zwangsbauten Friedrich Wilhelms I., der, wie man weiß, »den Häuserbau gar sehr poussieret«, ist hier freilich nichts zu bemerken, weder im nüchtern bürgerlichen noch im Prunkstil; denn dieser König dehnte seine Spaziergänge, deren jeder seine getreuen Untertanen ein Haus kostete, nicht so weit aus, sondern beschränkte sich auf die Friedrichstadt34. Dagegen erblickt man hier manch ein hübsches Muster des dezenten Wohnhauses aus der späteren friderizianischen Zeit35, das sich heute noch zwischen seinen Nachbarn ganz freundlich ausnimmt und, ein- oder zweistöckig, mit seinem bescheidenen Zierrat von Blumen und Figuren in Stuck an den Wänden lange das typische geblieben zu sein scheint, bis das doppelt so umfangreiche der Regierungen Friedrich Wilhelms III. und IV. mit seinen drei Stockwerken erscheint und dort endlich, wo die Landsberger Straße sich breit und prächtig gegen die Friedenstraße öffnet, die mächtigen Gebäudekomplexe aufragen, welche charakteristisch für Berlins jüngste Entwicklung sind. –

      In der Mitte des vorigen Jahrhunderts war die Landsberger Straße schon bis zur Gollnowstraße vorgerückt. Darüber hinaus waren Gärten und Weinberge. Was die Gärten betrifft, so sind sie langsam erst in neuerer Zeit unter dem vordringenden Häuserbau verschwunden. Hier herum, in dieser damals ganz ländlichen Gegend, hatten vor hundert Jahren viele Berliner ihre Sommerwohnungen. Nicht weit von hier, nach dem Frankfurter Tore hin, in dem, was zu Ende des vorigen Jahrhunderts die Lehmgasse war und heute die Blumenstraße heißt, hatte Lessings Freund, Friedrich Nicolai, sein Landhaus, welches der Enkel36 des trefflichen Alten in seinen »Jugenderinnerungen«37 so reizend und pietätvoll beschreibt. Die Blumenstraße erhielt ihren gegenwärtigen Namen nach den vielen Gärtnereien, die zu beiden Seiten hinter sehr primitiven Gartenzäunen in kleinen, bescheidenen Häusern angelegt waren; und noch in den zwanziger Jahren war es hier so still und einsam, dass man nach Sonnenuntergang kaum einen Menschen zwischen den dunkelen Hecken mehr antraf. Das holperige Steinpflaster und das Öllampenlicht reichten nur bis an den Grünen Weg – »der sternenklare Himmel glänzte über den stillen Gartenbäumen, und der Geruch der Bouchéschen Hyazinthenbeete wallte durch die kaum bewegte Luft«. Die Familie Bouché – heute noch eine illustre Gärtnerfamilie der französischen Kolonie – war hier allein durch vier bis fünf Mitglieder vertreten. Der Grüne Weg – jetzt eine sehr lange, vom Kleingewerbe bevölkerte, verkehrsreiche Geschäfts- und Fabrikstraße – ganze Strecken weit liest man Schild an Schild: »Wollenwaren, Châles und Tücher« – war damals, vor sechzig Jahren, wirklich noch ein schmaler, von Bretterzäunen eingefasster »Weg«, in dem kein Haus, aber auch nichts »Grünes« war, denn sogar das Unkraut wuchs daselbst spärlich. Wo jetzt die Häusermassen des Stralauer Viertels38 und der Luisenstadt39 einander an der Spree begegnen, waren damals auf dem rechten Ufer die Gärten, die wir Älteren teilweise noch gesehen und ebenso gut gekannt haben, wie den Sand und die dünnen Getreidefluren des Köpnicker Feldes40 auf dem linken. Aber an die Weinberge zu glauben fällt mir schwer. Ich habe niemals recht daran geglaubt, dass in diesen Weinbergen, von welchen in den alten Büchern fortwährend die Rede, wirklich Wein gewachsen ist. Doch muss dem wohl so gewesen sein, da der alte Friedrich Nicolai – der, was er sonst auch pekziert41, doch nicht gelogen hat – in seiner Beschreibung Berlins erzählt, dass in dem ehemals Feldmarschall-von-Derfflingerschen Weinberg, der in der Landsberger Straße lag, Anno 1740 die Weinstöcke erfroren seien. Was mich wundert, ist, dass sie nicht schon früher erfroren sind. Sollte man sich nicht unter den Himmel Italiens, in die lachenden Ebenen des Po oder in die gesegneten Gefilde der Brianza versetzt meinen, wenn man fortwährend von diesen crève-cœurs42, den Berliner Weinbergen unterhalten wird und ein paar Seiten weiter im Nicolai sogar noch liest, dass vor dem Landsberger Torrechter Hand eine Maulbeerplantage gewesen? Jetzt sind daselbst nur die Stallungen der Berliner Omnibusgesellschaft, und das scheint mir auch das rechte Ding für den rechten Platz zu sein. Hat Berlin sich wirklich so verschlechtert, oder fehlt es uns nur an dem Glauben, der bekanntlich Berge versetzt und es darum auch wohl mit Weinbergen und Maulbeerplantagen aufnehmen kann? Glückliche Vorväter! Sie bauten ihren Wein, sie spannen ihre Seide, und sie krochen hernach vergnügt in ihre kleinen Parterrewohnungen, die halb unter der Erde waren.

      Ein Hauch des Altertümlichen schwebt um diesen Georgenkirchplatz, besonders an einem Sonntagnachmittag, wenn hier kein Durchgang und Verkehr ist, wenn die Kinder auf dem Rasen spielen und die alten Leute, welche nicht mehr von Haus gehen, auf den Bänken sitzen oder ein Genesender aus einem Fenster des Hospitals zu St. Georg43 dankbar in die Abendsonne schaut, deren immer mehr nach oben entschwebender Strahl jetzt an den beiden gegenüberliegenden Häusern die Worte funkeln lässt: »Kornmessersches Waisenhaus44«, »Rückersche Stiftung«. Mit dem Frieden der Kirche in der Mitte und der Ruhe des Sonntags und der Fröhlichkeit der Kinder und dem Geruch des frischen Grüns ringsum mischt sich ein Gefühl wie von der Nähe guter, hilfreicher Menschen, das in der Luft zu liegen scheint und so wohl zu dieser Stätte passt, die den Kranken, den Armen und den Waisen von jeher gewidmet war. Wo aber, in ganz Berlin, würde man nicht immer und immer wieder von diesem Gefühl ergriffen? Wenn man nur aufmerken will, wird man fast in jeder Straße den Spuren der Wohltätigkeit und des Erbarmens begegnen. Manchmal, wie in der Großen Frankfurter Straße, sieht man in einer einzigen langen Reihe, Haus bei Haus, diese Anstalten für alte und kranke Mitmenschen – und ich erinnere mich wohl der Zeit, wo sie ganz in Grün und Schatten standen, als das, was jetzt die »Große Frankfurter Straße« heißt, die »Frankfurter Linden« waren – wie die Straße heute noch vom Volke, das in solchen Dingen hartnäckig ist, und auf den Schildbrettern der dorthin fahrenden Omnibusse genannt wird, obwohl dort lange keine Linden mehr stehen. Sie wurden 1872 gefallt. Aber ich habe sie noch gesehen, diese hundertjährigen Bäume, Pappeln und Linden, welche der Gegend etwas so Friedliches gaben; und sie fehlten mir sehr, als ich nach Jahren wiederkam. Jedoch die Häuser, die sie vormals mit ihrem ehrwürdigen Laubdach schirmten, sind auch heute noch da – hoch, luftig, geräumig; meist Stiftungen verstorbener Bürger und vielfach solcher, die sich emporgearbeitet, Selfmademen, die für ihre ehemaligen Handwerks- und Standesgenossen in dieser fürstlichen Weise gesorgt haben. Die Grundeigenschaft des Berliner Herzens ist Güte: nicht jene schwächliche, die sich irgendetwas gefallen oder nehmen ließe, nein – da fällt mir mein kleiner Berliner aus dem Omnibus wieder ein –, sondern jene tatkräftige, die zu handeln bereit ist: ein offnes Herz und eine offne Hand. Kein Verschwender, ein vorsichtiger Rechner ist der Berliner, ein Quengler und Mäkler um jeden Pfennig,