Bilder aus dem Berliner Leben. Julius Rodenberg

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Название Bilder aus dem Berliner Leben
Автор произведения Julius Rodenberg
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783864080883



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Schein bei Tag, seine erleuchtete Uhr bei Nacht sind ihm lang noch erkennbar, wenn er sich gegen Osten oder Norden entfernt.

      Heut ist die Königstraße still. Die Läden sind geschlossen und die Häuser wie ausgestorben. Nur sonntäglichen Spaziergängern begegnen wir. Aber wie sehr dies Berlin eine wachsende Stadt ist, eine Stadt, die sich beständig verändert, verschönert, vergrößert, das sieht man auch am Sonntag, wenn die Arbeit ruht. Die Königskolonnaden und die Königsbrücke sind noch da, ein bewundertes Werk aus der Zeit Friedrichs des Großen; aber die Sandsteinfiguren und die jonische Säulenlaube, die so schön waren, als sie noch rein und weiß waren, sind inzwischen ganz verwittert, unter der Brücke ist kein Wasser mehr, und sie selber wird auch bald nicht mehr sein. Auf dem trockenen Bette des weiland Königsgrabens erheben sich die Strukturen eines anderen Werkes, der Stadtbahn, welche so recht im Geist der neueren Zeit rücksichtslos fortschreitet durch unsere Straßen, zerstört, was ihr im Wege ist, und bald mit ihrem steinernen Ring uns umschlossen haben wird; auch eine Stadtmauer, aber eine andere, als die einst hier gewesen, eine, auf der Leben und Bewegung ist, die den Verkehr beschleunigt, welchen jene gehemmt hat. Oh, über die gute, alte Zeit, wo jeder noch seine Bequemlichkeit und seine Ruhe hatte! Wo das, was man jetzt die allgemeine Wohlfahrt nennt, den einzelnen noch nicht verhinderte, an die seine zu denken! Wo noch nicht so viel Menschen auf der Welt waren und diejenigen, die darauf waren, noch nicht so viel Lärm machten! Wo noch Ruhe war in den Straßen und Gemütlichkeit in den Häusern! Wo noch kein Gerassel von Omnibussen war und kein Geklingel von Pferdebahnen, keine Kanalisationsarbeit, welche jahrelang bald hier, bald da die Stadt aufwühlt und in tiefe Gruben und unübersteigliche Sandberge verwandelt.

      Wer damals, vor hundert und etlichen Jahren, seinen Sonntagnachmittagsspaziergang hierher gemacht hätte, der würde noch keinen Alexanderplatz gesehen haben, sondern die Contreskarpe17 war da, und der Stelzenkrug18 war da, und ehrsame Bürger waren da, welche mit einem dreieckigen Hut und einem langen Zopfe, die tugendfesten Ehehälften am Arme, zu den umliegenden Gärten lustwandelten. Bedächtig war ihr Schritt und sauer der Wein, der sie dort erwartete; billig das Leben, geräumig ihre Stadt und die Zeit so wohlfeil wie ein gutes Abendessen, welches – wenn es aus drei wohlgekochten Gerichten, mit Butter und Käse, bestand – nach unserm Gelde 1 Mark 20 Pfennige kostete. Das einzige, was zu der Zeit teuer war, waren die Briefe, indem zum Beispiel ein Brief »ins Deutsche Reich« (muss bis Duderstadt19 frankiert werden) vierzig und einer nach Elsass und Lothringen sogar siebzig Pfennige kostete. Da sieht man, wie die Zeiten sich geändert haben. Außer Briefschreiben gibt es jetzt kein billiges Vergnügen mehr auf Erden; und dazu hält manch einer das noch nicht einmal für ein Vergnügen. Diese braven Philister und Pfahlbürger aber wussten, was sie taten: sie schrieben Briefe so wenig als möglich, aßen zu Abend so viel als möglich und dankten ihrem Schöpfer, dass er alles so herrlich eingerichtet habe. Vielleicht kam um diese Zeit aus einer Nebenstraße, »der Kaie längs dem Graben linker Hand«, ein Mann in der Mitte seiner Dreißig, in Kniehosen, mit einem göttlich frohen Gesicht, welches gleichsam noch glühte von dem Widerschein schöner Gedanken wie der Himmel über ihm von dem warmen Gold der Junisonne. Dieser Mann, wenn er Wein trinken wollte, ging nicht in die Gärten vor dem Tore der Stadt, sondern er begab sich in ihr Inneres. Denn er verstand sich auf einen guten Tropfen und liebte die gute Gesellschaft, und beides fand er bei Maurer in der Brüderstraße, wo die »Quartbouteille20 guten Pontac« zehn Silbergroschen und die BouteilleChampagner einen Taler kostete. Gute Zeit, glückliche Zeit, wo Lessing seine »Minna von Barnhelm21« schrieb und die Flasche Champagner einen Taler kostete! Die »Kaie längs dem Graben«, heute »Am Königsgraben« genannt, bestand damals aus lauter neuen Häusern; die sind inzwischen alt geworden, wo der Graben war, ist die Stadtbahn, und die Berliner Dichter, wenn sie just auch keine Stücke mehr schreiben wie Lessing, werden sich doch wohl hüten, da zu wohnen, wo er gewohnt hat.

      Hier aber beginnt meine Gegend. Wo Lessing vorübergeschritten, rasselt ein Kremser22 aus Friedrichsfelde träge heran und stellt sich an dem Springbrunnen auf. Hier in Sonne getaucht, dort in Schatten gelagert, liegt der Alexanderplatz, und vor mir öffnet sich die Landsberger Straße. Keine neue Straße, nach dem heutigen Begriffe; jedoch auch keine sehr alte. Denn was ist alt in Berlin, wirklich alt, außer ein paar Kirchen? Die Landsberger Straße führt mitten hinein in die Königstadt23, und gleich links von ihr liegt ein Stück echten, alten Berlins, welches mit seinen Erinnerungen, wenn nicht mit seinen gegenwärtigen Gebäuden, weit in das Mittelalter zurückreicht: der Georgenkirchhof. Noch in der ersten Zeit des Großen Kurfürsten war hier nichts als diese Kirche, ein Kapellenbau aus dem 13. Jahrhundert, ein Pesthaus, nicht weit davon das Hochgericht, dazwischen einige Häuser, die Keimpunkte gleichsam und Ansätze künftiger Straßen, und ringsumher offenes Feld, Kornfeld und Heide, Gärten, Weinberge, Meierhöfe, ländliche Besitzungen in großer Zahl. Das Grün und der Wein und die Blumen, sowohl Flieder als Rosen, sind längst aus dieser Nachbarschaft verschwunden, in welcher jetzt eine fleißige Bevölkerung von Handwerkern wohnt; aber das Andenken an jene Tage des Wohlgeruchs und der Heckenwege lebt in den Namen des Grünen Wegs, der Wein-, der Blumen-, der Flieder- und der Rosenstraße fort. Damals war noch der heilige Georg der Schutzpatron dieser Gegend; nach ihm hieß das Hospital und die Kirche, welche Mitte des 17. Jahrhunderts völlig außerhalb der Stadt lagen: »Domus Sti. Georgii extra muros24«. Auf einem Plane der Stadt aus dem letzten Regierungsjahre des Großen Kurfürsten (1688) bemerkt man jedoch schon einige Bauten; in der Tat, seit dem Frieden von St.-Germain25 bevölkerte sich der Grund und Boden um die Kirche des heiligen Georg, und die entstehende Vorstadt ward nach ihm genannt: die St.-Georgen-Vorstadt. Aber die Häuser stehen noch in weiten Zwischenräumen, hier eins und dort eins, umgeben von großen Gärten; eine Landstraße führt hindurch, auf dem Plane bezeichnet als »Straße nach Landsberg«, und den Hintergrund schließen Sandhügel ab, so wie der Kreuzberg heute noch ist, nur breiter, ausgedehnter, den ganzen Horizont begrenzend, und mit vielen Windmühlen besetzt.

      Nun aber kommt der Tag, wo der Sohn26 des Großen Kurfürsten sich feierlich zu Königsberg27 die Königskrone auf das Haupt setzt28, der 18. Januar 1701, und der andere Tag, der 6. Mai desselben Jahres, wo König Friedrich Wilhelm I. seinen Einzug hält durch das Georgentor, die Georgenstraße, die Georgenvorstadt. Vor dem jungen königlichen Glanze muss der heilige Georg weichen: das Georgentor wird seit jenem Tage das Königstor, die Georgenstraße die Königstraße und die Georgenvorstadt die Königstadt. Aber noch immer nennt sich nach ihm diese Parochie29 die Georgengemeinde, und sein Bild, ein güldner Reiter auf einem güldnen Rosse, sitzt hoch über der St.-Georgen-Apotheke in der Landsberger Straße. Den Namen dieser Straße, welche von allen anderen Straßen der ehemaligen Georgenvorstadt das Andenken ihres alten Heiligen so gut in Ehren hält, finden wir zuerst auf einem Plane aus dem Jahre 1710. Die gegenwärtig so beträchtlich lange Straße war damals noch recht kurz: Sie reichte nicht weiter als ungefähr bis zur heutigen Kleinen Frankfurter Straße. Jedoch für die Bewohner, die sich hier allmählich angesiedelt, war die St. Georgenkirche schon zu klein geworden: Wir müssen sie uns etwa denken wie die Gertraudenkirche30 auf dem Spittelmarkt, die Spittelkirche, die wir ja alle so wohl kennen, die verurteilt ist, vor der großen Berliner Pferdebahn zu sterben und die wir alle vermissen werden, wenn sie einmal nicht mehr da sein wird, obgleich sie nur ein winziges hässliches Ding ist.31Schöne Kirchen haben diese Köllner und Berliner der vorhohenzollernschen Zeit überhaupt nicht gebaut, große auch nicht. Wie konnten sie wissen, diese Fischer und Bauern, dass Berlin noch einmal etwas vorstellen werde! Glücklicherweise war viel Platz da; der war billig zu jener Zeit und ist es lange geblieben. Als ihnen die Kirchen zu klein wurden, rückten sie vor die Kirchen: Auf dem Spittelmarkt, der damals der Gertraudenkirchhof war, da, wo jetzt die intenduhr32 steht und die Schöneberger Omnibusse halten, ward jeden Sonntag mittags zwölf Uhr unter freiem Himmel gepredigt, auf dem Heiligengeist-Kirchhof standen drei Linden, unter denen man den Gottesdienst zelebrierte, und auf dem Georgenkirchhof waren eine Kanzel, Kirchenstühle und ein Chor errichtet. Erst unter Friedrich dem Großen war die Kirche gebaut, die wir heute sehen und deren Front die Jahreszahl trägt: »1779«.

      Abbildung 2, Spittelmarkt, Anfang des 20.Jahrhunderts