Название | Gespenster meines Lebens |
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Автор произведения | Mark Fisher |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871483 |
Ganz zweifellos trägt die Sehnsucht nach einer solchen Materialität älterer Ordnung zu der Melancholie bei, die hauntologische Musik transportiert. Die tieferen Ursachen dieser Melancholie benennt indes der Titel eines Albums von James Leyland Kirby: Sadly, The Future Is No Longer What It Was. Hauntologische Musik erkennt implizit an, dass die Hoffnungen, wie sie die elektronische Avantgarde oder die euphorische Dance-Szene der 1990er befördert hatten, sich verflüchtigt haben – die Zukunft ist nicht nur nicht eingetreten, sondern scheint überhaupt nicht länger möglich. Doch zugleich steht die Musik für die Weigerung, das Verlangen nach der Zukunft aufzugeben. Diese Weigerung verleiht der Melancholie eine politische Dimension, insofern sie es ablehnt, sich mit dem begrenzten Horizont des kapitalistischen Realismus zu arrangieren.
An den Gespenstern festhalten
In der Freud’schen Theorie geht es bei Trauer und Melancholie gleichermaßen um die Erfahrung von Verlust. Doch während Trauer die langsame und schmerzhafte Ablösung libidinöser Energie vom verlorenen Objekt bezeichnet, bleibt bei der Melancholie die Libido an das Verschwundene geknüpft. Damit die Trauer wirklich beginnen kann, so Derrida in Marx’ Gespenster, muss der Tote beschworen werden und »die Beschwörung sich versichern, daß der Tote nicht wiederkehrt: Bloß schnell alles tun, damit die Leiche an sicherem Ort verwahrt bleibt, in Auflösung selbst da, wo sie bestattet oder einbalsamiert wurde, wie man es in Moskau gerne tat.«20 Doch gibt es diejenigen, die sich weigern, der Beisetzung zuzustimmen, und ebenso besteht die Gefahr eines Overkills, der den Toten zum Spuk werden lässt, reine Virtualität. Derrida fährt fort:
»Die kapitalistischen Gesellschaften können erleichtert aufseufzen, solange sie wollen, und sich sagen: Seit dem Zusammenbruch der totalitären Regime des 20. Jahrhunderts ist der Kommunismus tot, und er ist nicht nur tot, sondern er hat nicht stattgefunden, er war nur ein Phantom. Sie werden damit immer nur eines verleugnen, das Unleugbare selbst: Ein Phantom stirbt niemals, sein Kommen und Wiederkommen ist das, was immer (noch) aussteht.«21
Das Gespenstische, Spukende lässt sich als misslungene Trauer deuten. Darin schwingt die Weigerung, das Phantom daranzugeben, oder auch – was bisweilen auf dasselbe hinauslaufen kann – die Weigerung des Spuks, von uns abzulassen. Das Gespenst wird es uns nicht gestatten, uns in und mit den mediokren Befriedigungen einzurichten, die uns eine vom kapitalistischen Realismus regierte Welt bietet.
Hauntology im 21. Jahrhundert verhandelt nicht das Verschwinden oder den Verlust eines bestimmten Objekts. Verschwunden ist eine Tendenz, eine virtuelle Entwicklungslinie. Ein Name dafür wäre Popmoderne. Das oben angesprochene kulturelle Ökosystem – die Musikzeitschriften und die interessanteren Formate des öffentlichen Rundfunks – gehörten zu einer solchen britischen Popmoderne ebenso wie Post-Punk, brutalistische Architektur, Penguin Taschenbücher oder der BBC Radiophonic Workshop. Die Popmoderne verteidigt rückblickend das elitäre Projekt der Moderne und stellt unmissverständlich klar, dass Popkultur nicht populistisch sein muss. Spezifisch moderne Techniken werden weiter verbreitet, kollektiv überarbeitet und entwickelt; auch der von der Moderne artikulierte Anspruch, Formen auf der Höhe der Zeit hervorzubringen, wird wieder aufgenommen und reformuliert. Mit anderen Worten, die Kultur, die den Großteil meiner frühen Vorstellungen formte, war im Wesentlichen popmodern – auch wenn ich mir dessen damals überhaupt nicht bewusst war –, und in den Beiträgen, die in diesem Buch versammelt sind, geht es darum, mit dem Verschwinden ihrer Existenzbedingungen klar zu kommen.
An dieser Stelle lohnt es vielleicht, die hauntologische Melancholie, von der ich hier spreche, gegen zwei andere melancholische Zustände abzugrenzen. Da gibt es zum ersten, was Wendy Brown »linke Melancholie« nennt. Oberflächlich betrachtet könnte meine Beschreibung womöglich nach linksmelancholischer Resignation klingen, nach dem Motto: Obwohl bestimmt nicht perfekt, waren die sozialstaatlichen Institutionen doch viel besser als alles, was wir heute erwarten können, ja vielleicht waren sie sogar das Beste, was überhaupt zu erwarten ist… In ihrem Essay »Resisting Left Melancholy« wendet sich Brown gegen »eine Linke, die meint, auf eine grundlegende, radikale Kritik der herrschenden Verhältnisse, aber auch auf überzeugende Alternativen zum Bestehenden verzichten zu können. Vielleicht noch beunruhigender indes ist eine Linke, die sich ihren verpassten Gelegenheiten stärker verbunden fühlt als ihrem produktiven Potential, eine Linke, der Hoffnung fremd ist und die sich am liebsten in ihrer eigenen Marginalität und Erfolglosigkeit einrichtet, eine Linke, die einer bestimmten Spielart ihrer eigenen toten Vergangenheit in melancholischer Verbundenheit die Treue hält, ihrem Wesen nach gespensterhaft und in der Struktur ihres Begehrens rückwärtsgewandt und selbstquälerisch.«22 Die Melancholie, die Brown hier so schonungslos analysiert, speist sich nicht zuletzt aus Selbstverleugnung. Browns melancholische Linke ist depressiv, hält sich dabei aber für realistisch; es sind Menschen, die nicht mehr erwarten, die ehedem ersehnte radikale Transformation sei zu erreichen – ohne allerdings die eigene Resignation zuzugeben. Browns Befund diskutiert Jodi Dean in ihrem Buch The Communist Horizon und weist in diesem Zusammenhang auf Jacques Lacans Feststellung hin, dass »es nur eines gibt, dessen man schuldig sein kann, […] und das ist, abgelassen zu haben von seinem Begehren«.23 Die von Brown beschriebene Verschiebung – von einer Linken, die selbstbewusst davon ausging, ihr gehöre die Zukunft, zu einer Linken, die aus ihrer eigenen Handlungsunfähigkeit eine Tugend zu machen versucht – scheint ein Paradebeispiel für den Übergang vom Begehren (das im Lacan’schen Sinn immer ein Begehren des Begehrens ist) zum Trieb (das heißt zur genussreichen Selbstquälerei). Die Art der Melancholie, die mir vor Augen steht, zeichnet hingegen nicht Resignation aus, sondern vielmehr die Weigerung nachzugeben – das heißt die Weigerung, sich dem anzupassen, was unter den gegenwärtigen Bedingungen »Realität« heißt, selbst um den Preis, sich in dieser unserer Gegenwart als Außenseiter zu fühlen…
Die zweite Art Gefühlszustand, gegen den die hauntologische Melancholie abzugrenzen wäre, ist die von Paul Gilroy beschriebene »postkoloniale Melancholie«. Definiert sieht Gilroy sie durch Strategien der Vermeidung, die darauf abzielen, der »schmerzhafte Verpflichtung [auszuweichen], sich mit den düsteren Details der Geschichte des Imperialismus und Kolonialismus auseinanderzusetzen und die paralysierende Schuld in eine produktivere Scham zu verwandeln, die dazu beitragen könnte, eine multikulturelle Nationalität zu schaffen, die auf die Möglichkeit der Begegnung mit dem Fremden oder Anderen nicht mehr phobisch reagiert«.24 Die postkoloniale Melancholie ergibt sich aus einer »Niederlage phantasierter Allmacht«. Wie auch die von Brown beschriebene linke Melancholie ist die postkoloniale eine verleugnete Form von Melancholie; ihre »Signatur vereint«, schreibt Gilroy, »manische Euphorie mit Traurigkeit, Selbstekel und affektiver Ambivalenz«.25 So weigern sich postkoloniale Melancholiker nicht nur, Veränderungen zu