Bildung gegen den Strich - eBook. Sara Sierra Jaramillo

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Название Bildung gegen den Strich - eBook
Автор произведения Sara Sierra Jaramillo
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783769880298



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      Xxxxxquisita

      Flor, Azucena und Marina haben in ihrem kurzen Leben eine Katastrophe nach der anderen erlebt. Sie haben ihre Familien verloren, haben freiwillig oder unter Zwang ihr Zuhause verlassen. Nun schlagen sie sich notdürftig durch und mühen sich täglich ab, um nur irgendwie zu überleben. Sie sind körperlich und psychisch retardiert, fühlen sich einsam, verlassen und haben bedrängende Minderwertigkeitsgefühle.

      Kein Straßenbewohner in Medellín kommt ohne Drogen aus. Wenn ein Mädchen feststellt, dass es schwanger ist, spürt es zwar eine starke Motivation, sein ­Leben zu ändern – um des Kindes willen. Aber es gelingt selten, dauerhaft abstinent zu bleiben und sich der Prostitution zu entziehen. Das Kleinkind, das schon als Embryo am Rauschgiftkonsum seiner Mutter teilhat, ist von Geburt an drogenabhängig. Es ist fortwährend unruhig, schreit Tag und Nacht und ist für Krank­heiten besonders anfällig. Seine körperlichen und psychischen Entwicklungschancen sind eingeschränkt. Nicht wenige Kinder kommen behindert zur Welt.

      »Du fühlst dich wie im Himmel«

      Der Kleber (sacol) in dieser Flasche – das ist eine Droge, die konsumieren wir, um zu entspannen. Du fühlst dich dann wie im Himmel. Eigentlich kann man niemandem raten, daran zu schnüffeln. Der Kleber macht die Lunge kaputt.

      Die Jugendlichen auf der Straße schnüffeln Kleber, weil er ihnen zusagt. Diese Droge zu nehmen, das ist kein Verbrechen. Mit dem Kleber werden Schuhe repariert.

      Wir konsumieren Drogen, um über die Runden zu kommen. Pepa (Amphetamin) ist für außen, Kleber für innen. Er trocknet den Körper aus. Auf einmal kannst du nicht einmal mehr husten. Du spürst keinen Hunger mehr: Du wirst schwindelig wie ein Verrückter.

      Was ich zum Thema Drogen noch sagen wollte: Marihuana raucht man wie eine Zigarette. Du bekommst davon rote Augen. Es ist so, als würdest du rennen und plötzlich hinfallen, ein starker Effekt.

      Perico, durch die Nase geraucht, beruhigt dich, und du fühlst dich glücklich. Wenn dir einer dumm kommt, hast du Lust, zuzuschlagen und ihn umzubringen. Du willst keinen mehr sehen.

      Man versteckt die Flasche in einer Plastiktüte, damit sie die Leute nicht sehen. Auf der Straße herumzutorkeln, das gefällt den Leuten nicht.

      Hier im Zentrum werden sacol, basuco und perico konsumiert. Man sieht hier auch Heroin.

      Drogen zu konsumieren, kann man niemandem empfehlen. Wir nehmen sie, weil sie uns beruhigen. Sie helfen uns über den Stress hinweg.

      Wir denken nicht mehr an die schlimmen Dinge. Zum Beispiel, wie wir in der Familie behandelt und geschlagen wurden. Wir hauen von zu Hause ab, um an Drogen zu kommen. Wir probieren alle aus, um die verschiedenen Wirkungen kennenzulernen.

      Marihuana zum Beispiel schmeckt süßlich. Die Lippen werden weich, so, wie wenn man einen Lollipop lutscht.

      Perico ist bitter wie ein saures Bonbon. In basuco verliebt man sich sofort, weil es so schön süß schmeckt.

      Jede Droge hat ihren besonderen Geschmack, der dich begeistert und nicht mehr loslässt.

      Wir sammeln Müll, um Geld für Drogen zu verdienen. Wenn man Geld fürs Essen ausgibt, fehlt es fürs Übernachten. Gibt man es für ein Zimmer aus, bleibt nichts fürs Essen übrig.

      Wichtig sind drei Dinge: Zimmer, Essen, Drogen. Schlafen ist am wichtigsten.

       Wenn du mal nicht zum Schlafen kommst, fühlst du dich gleich, als hättest du drei oder vier Nächte durchgemacht.

      Schlimmer als Drogen ist die Hitze hier in Medellín. Sie macht einen fertig, man magert ab, und schließlich stirbt man.

      Elkin, ca. 18 Jahre

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      Die Mädchen konsumieren Drogen vor, während und nach der Schwangerschaft. Die jungen Mütter, selbst noch bedürftige Kinder, sind durch die Geburt und ihre Folgen ganz und gar überfordert, zumal sich die Väter meist aus dem Staub gemacht haben. Die bei den Schwangeren in der Vorfreude auf das Kind vorherrschende Euphorie kippt spätestens nach der Geburt in Enttäuschung, Gefühllosigkeit und Depression um. Häufig sind die jungen Mütter ihrem Nachwuchs gegenüber zu Zuwendung und liebevoller Sorge überhaupt nicht fähig. Sie reagieren wechselweise überschwänglich, gleichgültig, abwehrend oder aggressiv. Sind die Kleinen erst einmal bei den Großmüttern untergebracht, so kehren die Mütter auf die Straße zurück, nehmen Prostitution und Drogenkonsum wieder auf und versuchen zur Beschwichtigung ihrer Schuldgefühle so viel Geld zu verdienen, dass sie wenigstens einen gewissen Beitrag zum Lebensunterhalt ihres Kindes beisteuern können. Wenn der Großmutter das Geld ausgeht, erscheint sie mit dem Kleinen auf der Straße und kassiert einen Teil des Verdienstes der zurückliegenden Tage ab.

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      Nicht nur Azucena, auch die anderen Straßenkinder und -jugendlichen des Rojas-Pinilla-Platzes sind Flüchtlinge und Vertriebene. Sie wurden von ihren Familien verstoßen oder flohen aus unzumutbaren Verhältnissen. Ihre Eltern wohnen (vorausgesetzt sie leben noch) in einem der Slums, die sich wie ein Würgegürtel um die Metropole herumlegen. Früher waren sie Campesinos. Sie mussten Grund und Boden, Hab und Gut von einem auf den anderen Tag zurücklassen. In der Stadt suchten sie Schutz und eine bessere Zukunft.

      Carlos sagt: Die Autodefensas (Selbstverteidigungsgruppen) halten sich in meinem Viertel meistens raus. Die Leute, die hier das Sagen haben, sind die Chefs der Gangs. Die lassen sich von niemandem auf der Nase herumtanzen. Carlos sagt, er sei immer in einer Gang gewesen, sein ganzes Leben lang. Wenn du in so einem Viertel aufwächst, dann gehörst du automatisch dazu. So einfach ist das, sagt Carlos.

      Carlos sagt, er sei eines Tages aus der Gang ausgestiegen. Mein Mädchen ist schwanger geworden. Ich habe eine kleine Tochter, und für die muss ich sorgen. Wir wohnen bei der Schwiegermutter. Carlos sagt: Ich hab dem Chef meiner Gang gesagt, dass ich draußen bin. Und ich hab dem Chef der Gang, mit der wir verfeindet sind, gesagt, dass ich draußen bin. In der Gang habe ich einfach zu wenig verdient. Hier auf dem Platz verdiene ich mehr. Und warum soll ich mich für weniger Geld erschießen lassen? Ich bin draußen, basta. So einfach ist das,