Название | Seine Kunst zu zögern. Elf Versuche zu Robert Walser |
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Автор произведения | Martin Jürgens |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941895713 |
In jedem Fall ist es eine Erfahrung sehr eigener Art, eigene Texte nach langer Zeit wieder zu lesen. Je näher man hinsieht, um so fremder blickt das geschriebene Eigene über die zeitliche Distanz hinweg zurück. So geht es mir mit den Buch- und Zeitschriftenbeiträgen aus dem Umkreis der 1973 erschienenen Dissertation (»Robert Walser. Die Krise der Darstellbarkeit. Untersuchungen zur Prosa«). Resümierend heißt es da zum Beispiel: »Dieses auf Grund seines in sich antagonistischen Charakters immer gefährdete Selbstverständnis versucht die walsersche Spätprosa in immer neuen fragmenthaften Entwürfen zur Rekonstruktion einer auf Subjektivität bestehenden künstlerisch-literarischen Identität zu behaupten. Dem Ich, das sich in ihr artikuliert, geht es noch im illusionslosen Aufweis seiner eigenen Entfremdung um deren Aufhebung im Prozeß ästhetischer, literarischer Arbeit.«
Das war und ist nicht falsch (wenn auch nicht genau genug wahr), hat aber teil am Jargon literaturwissenschaftlicher Eigennützigkeit: Verbales Radschlagen in Beeindruckungsabsicht, zivilisiertes Wüten leicht angestrengter Begrifflichkeit, bisweilen unterbrochen von den Signalements der Selbstreflexivität, kurz alle Male des (damaligen) Germanistischen finden sich auf engem Raum beieinander. Dabei hätte man schon damals die schöne Forderung Hans Magnus Enzensbergers, das Germanistische ins Deutsche zu übersetzen, zumindest in Erwägung ziehen können. Einiges allerdings scheint mir im Laufe der achtziger Jahre klarer geworden zu sein; der in den geisteswissenschaftlichen Sektoren des akademischen Betriebs favorisierte Durchschnittstypus erschien mir immer mehr als ein artikulationsschwaches humanoides Amalgam aus Anmaßung und Borniertheit. Nie werde ich die Auslassung eines sehr zu Unrecht im Aufstieg befindlichen Germanisten vergessen, der sich während des Walser-Kolloquiums in Rom (1985) erhob und aufgeregt seine Pikiertheit zur Schau stellte. Er bezog sich auf die Schlußpassage meines Referats zum »Räuber«-Roman, in der es um die Aussichten des walserschen Helden, des ›Trappis‹, des ›Herzkäfers, erzdumm‹, des ›Schnori‹ in der gesellschaftlichen Kälte des ausgehenden 20. Jahrhunderts ging:
Unabsehbar ist, wann er das »Gewissen aller Völker« sein wird; bis dahin wird er die »allgemeine Nonchalance« bleiben; vor deren radikaler Sanftheit hätte sich die Wissenschaft – wie Canetti angeregt hat – zu schämen, statt sie mit vergleichenden Kraftakten zu den Höhenzügen der literarischen Moderne emporzuwuchten.
Eben weil und seit – so der Fachvertreter – die Literaturwissenschaft festgestellt habe, von welchem Rang Walser sei, habe man ihn (er sprach von »wir«) ›in den Olymp‹ der Moderne ›aufnehmen‹ können. Der beamtete Schnösel, sitzend zur Rechten der Olympier, den armen Walser zur eigenen Höhe emporhebend: Solch ungerührte Schamlosigkeit muß Elias Canetti vor Augen gestanden haben, als er in seinen »Aufzeichnungen zu Robert Walser« schrieb:
»Ich kann nur in den untern Regionen atmen.« Dieser Satz von Robert Walser wäre das Losungswort der Dichter. Aber die Höflinge sagen ihn nicht und die Ruhm gewonnen haben, wagen es nicht mehr, ihn zu denken. »Könnten Sie nicht ein wenig vergessen, berühmt zu sein?« sagte er zu Hofmannsthal, und niemand hat das Peinliche an den Oberen kraftvoller bezeichnet.
Ich frage mich, ob es unter denen, die ihr gemächliches, sicheres, schnurgerades akademisches Leben auf das eines Dichters bauen, der in Elend und Verzweiflung gelebt hat, einen gibt, der sich schämt.
Läßt man diese Frage im Ernst an sich heran, ist es mit dem Gemächlichen, Sicheren, Schnurgeraden des Arbeitens und Schreibens irgendwann vorbei: Die fortgesetzte Subsumtion der Gegenstände unter das zuhandene begriffliche Instrumentarium wird zum peinlichen Problem – erst recht dann, wenn ein Autor sich so provokativ, ja destruktiv gegenüber Begriffen und Gattungsnamen verhält, wie es Robert Walser tut. Beobachtungen hierzu standen am Anfang eines 1991 unternommenen Versuchs, eine andere Haltung zu erproben, im Anschluß an den Begriff von Mimesis, wie er sich in der »Dialektik der Aufklärung« findet:
Alles käme darauf an, eine Haltung zu versuchen, die definitorische Kraftakte vermeidet und doch an Theorie, also an der Bewegung des Denkens, interessiert bleibt. Eine solche Haltung und ein solches Denken hätten Perspektiven herzustellen – so eine anspruchsvolle Formulierung Adornos – ohne »Willkür und Gewalt, ganz aus der Fühlung mit den Gegenständen heraus«. Für eine solche Praxis gibt es in Adornos und Horkheimers »Dialektik der Aufklärung« einen emphatischen Begriff, den der Mimesis – jenseits nachschlagbarer Wortbedeutungen und auch jenseits von mehr oder minder parteilichen Abbild – und / oder Realismustheorien.
Ich schlage vor, den höchst diskontinuierlichen und richtungsinkonstanten Bewegungsmodus der walserschen Prosa als den eines solchen mimetischen Verhaltens aufzufassen. Das Verhältnis, das man so zu Walsers Texten unterhalten könnte, hätte – wenn es denn möglich ist – von diesem Verhalten sich anleiten zu lassen.
Ob und inwieweit und mit welchen Folgen und Nebenwirkungen das ge- oder mißlungen ist, ist – so hoffe ich – den Texten abzulesen, die in den neunziger Jahren und danach geschrieben wurden. So wie in ihnen die vor Jahrzehnten erworbene germanistische Identität hoffentlich verabschiedet ist, ist auch die Vorstellung aufgegeben, die Entwicklung von Identität sei ein Ziel, das das Ich der walserschen Prosa verfolge. Wenn es (wie zitiert) im ersten Text dieses Buches heißt, es gehe ›um die ›Rekonstruktion einer künstlerisch-literarischen Identität‹, Identität damit als eine Aufgabe gefaßt ist, die ansteht, behauptet der Aufsatz von 2004, Walsers Helden sei »die Identität nicht aufgegeben wie ein Pensum« und »im Aufgeben von Identität« seien sie vorbildlich. In der Tat: Solche Radikalität sucht ihresgleichen damals wie heute vergebens. Behende führen Walsers ›Helden‹ uns weg von jeder festgefügten Identität, von Ich-Botschaften, von Botschaften überhaupt und hin zum Entzücken vor der flüchtigen Einzelheit. Sie wissen nicht, wo es lang geht, bauen kann man auf sie nicht; erst recht ist mit ihnen kein Staat zu machen. Das macht ihre Größe aus und unser Glück beim Lesen von Sätzen wie: »Sein Lächeln glich einer Blume, die nach dem Bedürfnis und der Kunst zu zögern, duftete.« Diesem Satz verdankt sich der Titel des Buches: Seine Kunst zu zögern.
Abschließend ohne zu zögern einige nüchterne Mitteilungen zu den nachfolgenden Texten aus 30 Jahren und einige natürlich nicht nüchterne Danksagungen: Die Reihenfolge der Texte entspricht der Chronologie ihrer Publikation bzw. Entstehung (beim vierten und elften Text, die unveröffentlicht sind). Einige wenige Passagen wurden leicht überarbeitet. Textüberschneidungen wurden in Kauf genommen; Aufsatz und Essay-Sammlungen werden meist selektiv und diskontinuierlich gelesen, so daß Überschneidungen erträglich sein sollten.
Bei der Herstellung des Gesamtmanuskripts und bei den Korrekturen haben Petra Moser und Michael Billmann sehr geholfen: Herzlichen Dank! Für einen guten Rat ebenso herzlichen Dank an Hermann Kinder! Dank dem Verlag für kompetente und zügige Arbeit!
1 s. Jochen Greven: Robert Walser – ein Außenseiter wird zum Klassiker. Abenteuer einer Wiederentdeckung. Lengwil: Libelle 2003.
ROBERT WALSER
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Es empfiehlt sich kaum, so zu tun, als wisse man über ihn Bescheid: »Niemand ist berechtigt, sich mir gegenüber so zu benehmen, als kennte er mich.« (III, 406) Mit dieser Absage an das Verständnis