Alles ist Übergang. Michael Albus

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Название Alles ist Übergang
Автор произведения Michael Albus
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783766642981



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keinen Einfluss. Ich muss mich entscheiden: Annehmen oder Ablehnen. Die Alternative hat den Nachteil, dass ich zwar ablehnen kann, dass die Ablehnung mich aber nicht vor dem anderen Ufer bewahrt. Ich muss dorthin. Warum es so ist, bleibt ein unergründliches Geheimnis. Und ein schmerzliches.

      Dieses Buch der Gespräche ist über einen längeren Zeitraum entstanden. Ich habe mich dafür entschieden, es bei den Gesprächen zu belassen, weil sie am Besten wiedergeben, dass es auf einer Palliativstation, bei den Kranken und ihren Angehörigen, bei den Ärztinnen und Ärzten, bei den Pflegekräften, bei den Psychologinnen und Psychologen und bei den Seelsorgerinnen und Seelsorgern keinen fertigen Text gibt. Alles ist und bleibt im Fluss.

      Zu danken habe ich den drei Schwerstkranken, die sich für ein Gespräch bereit erklärt haben. Das war keine leichte Sache. Ich werde sie in lebendiger Erinnerung behalten. Vor allem auch deswegen, weil ich angesichts ihrer spürbaren, sichtbaren, hörbaren Endlichkeit unendlich viel über mein eigenes Leben erfahren habe. Sie sind wenige Tage nach diesen Gesprächen gestorben.

      Zu danken habe ich den Pflegekräften.

      Zu danken habe ich den Ärztinnen und Ärzten.

      Zu danken habe ich der Psychologin und der Seelsorgerin. Sie haben die laufenden Arbeiten jeweils für die Gespräche unterbrochen. Mein Respekt vor ihrer Arbeit ist mit jedem Tag gewachsen. Ich bin kompetenten, einfühlsamen, freundlichen und nichtroutinierten Menschen begegnet. Sie haben mich berührt.

      Warum ich die Palliativstation an der Mainzer Universitätsmedizin gewählt habe, wählen konnte, hat seinen einfachen Grund in der Person des Leiters der Palliativstation, Prof. Dr. Martin Weber. Ihm bin ich seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden. In vielen Gesprächen ist die Idee zu diesem Buch entstanden.

      Inmitten von Diskussion und Streit, die oft von Ideologie bestimmt sind über das, was am Ende unseres Lebens ist oder sein soll, wie weit unser kleiner Freiheitsraum reicht, um wichtige Entscheidungen zu treffen, wenn es ums Letzte geht, wollte ich dieses Buch als „Argument“ beisteuern. Als ein Feuer in der Nacht.

       Michael Albus

       Möge ich ein Schützer sein für die,

       die keinen Schutz besitzen,

       ein Führer für die Reisenden,

       ein Boot, eine Brücke, ein Übergang für die,

       die sich nach dem anderen Ufer sehnen.

       Möge der Schmerz eines jeden Lebewesens

       vollständig beseitigt sein.

       Möge ich der Arzt und die Arznei sein

       und auch die Pflegerin

       für alle Kranken in der Welt,

       bis sie völlig geheilt sind.

       Möge ich, gleich dem Raum

       Und den Elementen, wie etwa der Erde,

       stets das Leben der ungezählten Wesen schützen.

       Und bis sie nicht vom Schmerz geschieden sind,

       möge ich der Lebensquell

       für alle Daseinsbereiche der verschiedenen Wesen sein,

       die bis zum Ende des Universums reichen.

       (Gebet des buddhistischen Poeten Shantideva)*

      * In: Sogyal Rinpoche, Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben, mit einem Vorwort des Dalai Lama, 20. Aufl., 1997, S. 265/266 © 2010, O. W. Barth Verlag.

      „Wenn alles weg ist, brauche ich keine Angst mehr zu haben.“

      Gespräch mit Helmut Fink und Erika Fink-Grundmann

      Albus

      Herr Fink, Sie wissen, dass sie bald sterben müssen. Ich will mit Ihnen und Ihrer Frau versuchen, auf das zurückzublicken, was hinter Ihnen liegt. Sie sind 75 Jahre alt. Können Sie mir erzählen, was Sie gemacht und gestaltet haben, woher Sie kommen, welche Erinnerungen Sie an Ihre Eltern haben? Wie ist Ihr Leben gelaufen?

      Herr Fink

      Ich bin im Jahr 1940 geboren. Mein Vater war Schneidermeister. Er ist 1943 im Zweiten Weltkrieg gefallen. Ich habe ihn faktisch nie gesehen. Einmal nur, 1943. Ich kann mich aber nur schwach daran erinnern. Ich bin dann bei meiner Mutter und meiner Großmutter aufgewachsen. Die Großmutter war schon lange Witwe, und nun meine Mutter auch. Es waren arme Verhältnisse. Trotzdem hatte ich eine behütete Kindheit. In den Jahren nach dem Ende des Krieges bin ich in die Schule gegangen. Meine Mutter wollte immer, dass ich „auf’s Büro“ gehe, dass ich „was Besseres“ werde. Insgesamt ging es mir damit ganz gut.

      Albus

      Sie sind in Mainz geboren?

      Herr Fink

      Ja, ich bin in Mainz-Bretzenheim geboren und wohne immer noch im Haus meiner Eltern. Ich habe eine Lehre als kaufmännischer Industrieangestellter gemacht. Bei der Firma Blendax. Nach einer kurzen Episode als Weinverkäufer bei der Firma Pieroth habe ich dann bei der AZ, der Mainzer Allgemeinen Zeitung, begonnen.

      Albus

      War das Ihr Traumberuf oder sind Sie das aus Gründen, die mit dem reinen Gelderwerb zu tun hatten, geworden?

      Herr Fink

      Das war mein Traumberuf. Da ich zunächst mal bei Blendax und bei Pieroth gearbeitet hatte, konnte ich es jetzt kaum fassen, diese Stelle bekommen zu haben. Da habe ich auch endlich richtig gutes Geld verdient.

      Albus

      Wann und wie haben Sie denn Ihre Frau kennengelernt?

      Herr Fink

      Ich habe ja schon eine erste Ehe hinter mir. Meine damalige Frau habe ich in der Firma, bei Blendax, kennengelernt. Mit ihr war ich über 25 Jahre verheiratet. Diese Ehe ist dann nach den 25 Jahren einfach zerbrochen. Ich war dann eben wieder alleine. Aber nur recht kurz. Und dann habe ich meine jetzige Frau Erika, die mit uns hier am Bett sitzt, kennengelernt. Mit ihr bin ich schon wieder über 23 Jahre zusammen.

      Albus

      Wie haben Sie, Frau Fink, Ihren Mann kennengelernt?

      Frau Fink

      Rein zufällig. Wir haben uns vorher nie gesehen, haben nur telefoniert miteinander. Es war ein rein geschäftlicher Kontakt. Aber wir haben uns sympathisch gefunden. Zu der Zeit habe ich bei der Glashütte in Budenheim gearbeitet. Helmut hat dann gemeint, wir könnten doch mal mit einander etwas trinken gehen. Das haben wir dann gemacht. Und jetzt sind wir zusammen.

      Albus

      Wie ging das weiter? Haben Sie geheiratet?

      Frau Fink

      Nein, nein. Wir haben erst vor zwei Jahren geheiratet. Wir hatten vorher nie das Bedürfnis nach einer Heirat. Wir haben zwar ein paar Mal darüber gesprochen. Ich war ja auch verheiratet und habe von meinem Mann Rente gehabt. Das war ein schönes Nebeneinkommen. Nachdem Helmuts Krankheit ausgebrochen war, war ich schon davon angetan, seine Frau zu werden. Ich wollte als „Frau Fink“ weiterleben.

      Albus

      Haben Sie in der langen Zeit auch Kinder bekommen?

      Frau Fink (lacht)

      Nein! Er hatte drei und ich hatte zwei. Und wir sind heute noch alle in enger und bester Verbindung miteinander.

      Herr Fink

      Die haben mich auch alle hier schon besucht. Die sind voll integriert.

      Albus

      Das