Название | Bronskis Treiben |
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Автор произведения | Thomas Steinke |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943941432 |
Das genügte ihm.
Er fragte sich allerdings, wie es so viele andere ohne eine heimliche Leidenschaft aushielten, tröstete sich dann aber damit, dass er wenigstens dadurch etwas Besonderes war.
Morgen würde er sich das wieder massiv einreden müssen. Ein Klassentreffen. Es würde furchtbar werden. Er durfte gar nicht daran denken. Nicht jetzt. Warum nur hatte er plötzlich so schlechte Laune? War nicht alles normal? Er und eine Frau, die er erobern würde? Um dann, nach einer kurzen, aber heftigen Selbsttäuschung, festzustellen, dass alles wie immer war.
Dass es ihn furchtbar langweilte, wenn die kostbaren, verrückten Momente vorbei waren, in denen alles wieder so war wie damals, damals, als man es schön fand, bei eisiger Kälte in einem Strandkorb zu übernachten, um die Sonne aufgehen zu sehen, nur für ein paar Küsse, nur für die Ahnung einer weichen warmen kleinen weißen Brust unter einem dicken Pullover, damals, als die richtige Musik so viel bedeutet hatte, dass man stundenlang miteinander tanzte, im Park, bei Regen, nur um endlich »das erste Mal« zu erleben, weil ihre Eltern gerade verreist waren, und sie so nass war und so fror, damals, als man dachte, das bleibt immer so, und als man so glücklich war, wenn man wochenlang nach einem Mädchen fieberte, das gar nicht wusste, dass man es begehrt, weil man es ja nie ansprach.
Hatte er deshalb schlechte Laune, weil er schon fürchtete, dass es auch bei dieser Namenlosen wieder so kommen würde?
Wurde er langsam alt? Oder, schrecklicher noch, vernünftig?
»Sie sehen plötzlich so traurig aus? Entschuldigung, das ist doch das Portemonnaie ihrer Frau? Sie hat es vergessen!«
Bronski erstarrte. Er glotzte die Namenlose an. Sein Mund stand offen. Sie lächelte ihn an. Sie war von der Theke durch den ganzen Raum zu ihm gekommen, und er hatte es nicht bemerkt.
Und, sie war schon fast wieder weg. Bronski war unfähig zu reagieren, es hatte ihn getroffen wie ein Hammerschlag! Wie ein Dämlack stand er da herum, das alte, braune, riesige Portemonnaie seiner Frau in der Hand. Spießiger konnte er nicht aussehen, und als er sich dann so in einem Spiegel sah, den die dicke Künstlerin mit einem Selbstbildnis bemalt hatte, musste er lachen, etwas zu laut und ein bisschen irre, aber ein »Danke« kriegte er wenigstens noch heraus. Dann verschwand er auf die Toilette.
Dort traf er auf Berner, der sich gerade frisch machte, weil er wohl wirklich ein Abenteuer erwartete. Es hätte Bronski nicht überrascht, Berner dabei zu erwischen, wie der sich den Schwanz wusch. Das hätte zu Berner gepasst. Aber Berner nebelte sich nur ein. Der Typ führte offenbar ständig einen Parfümtank mit sich. Wahrscheinlich las er wissenschaftliche Zeitschriften und mixte sich im Keller heimlich Lockstoffe.
»Was wollte denn diese Nymphe von der Theke von dir?«
Berner hatte es also bemerkt, alle hatten es gesehen und Bronski hatte eine jämmerliche Figur abgegeben.
»Sie hat mich gefragt, ob ich mit ihr schlafen will, aber ich habe abgelehnt.«
Berner starrte Bronski im Spiegel unsicher in die Augen und erst als Bronskis Augen ganz unmerklich grinsten, lachte Berner entspannt auf. Der Kerl war wirklich zu dämlich. Und aufgeregt.
Während Bronski pinkelte, schwärmte Berner von der Malerin. Die hatte ihn geschickt heißgemacht, indem sie ihm angeboten hatte, ihn zu malen. Bronski musste sich ein Lachen verkneifen, er verschluckte sich fast. Das war ja ein ganz raffinierter Trick, aber einverstanden, jeder hatte so seine Mittel, um zum Ziel zu kommen, und keines war schäbig genug, um nicht doch erfolgreich zu sein. Was wollte die Dicke an Berner bloß malen? Den Schlaf der Vernunft, der die Ungeheuer gebiert?
Nun bedankte sich Berner auch noch bei Bronski für den heißen Tipp und da verschlug es Bronski fast die Pisse! Wenn Berner immer so leichtgläubig war, war klar, wie er es zu seinem Amt gebracht hatte. So einen wie Berner konnten die Schieber im Hintergrund für ihre Geschäfte gut gebrauchen. Leutselig und hilfsbedürftig, Berner war die ideale Besetzung.
Bronski hatte jetzt plötzlich seine tollkühne Leichtigkeit und Heiterkeit wieder, jetzt würde er die Kleine hinter der Theke einfach überrennen, er hatte ja einen glänzenden Vorwand, er musste sich bedanken, für das blöde Portemonnaie.
Bronski trat vor den Spiegel, um sich noch einmal anzuschauen. Er sah einen Mann mit vollem Haar und grauen Schläfen, buschigen Augenbrauen, markanten Sorgenfalten und stahlblauen Augen. Einen Mann, der wahlweise ein melancholisches Lächeln, das um das Elend dieser Welt wusste, oder ein sarkastisches Grinsen, das wusste, wie man dem Elend dieser Welt zu begegnen hatte, aufsetzen konnte.
Bronski sah durch sich hindurch, durch diesen Mann im Spiegel, der er wohl in Wirklichkeit nicht war. Der Mann im Spiegel, der Vertrauen erweckend, erfahren, lebendig, vielleicht verrückt, aber auf keinen Fall langweilig wirkte, war eine gute Mischung. Noch viril, aber schon erfahren. Schon müde, aber noch voller Träume. Geheimnisvoll, aber ungefährlich. Liebesbedürftig, stark, sanft und einsam.
Bronski war mit der Maske, die er da im Spiegel sah, zufrieden.
Berner war mit seiner Vernebelung nun fertig, er behandelte jetzt einen Pickel auf seinem Kinn und schwitzte vor Vorfreude. Wie er denn wohl die Malerin knacken könnte, wollte er von Bronski noch wissen. Und dem fiel nichts Besseres ein als ein alter Kalauer.
»Lass sie kommen!«
Und richtig, Berner hatte auch diesen Witz nicht verstanden und bedankte sich schon wieder.
Bronski murmelte etwas von Selbstverständlichkeit und hatte es plötzlich eilig.
Er straffte sich und ging hinaus, schnurstracks auf die Theke zu. Die Galerie war immer noch voll, aber die Theke leer! In seinem dämlichen Übereifer hatte Bronski diese Variante gar nicht in Erwägung gezogen: Die Namenlose war weg!
Und Bronski stand jetzt hier herum und konnte nicht einfach umdrehen. Wie um sein Unglück zu steigern, kam jetzt der junge Mann mit der fettigen Strähne im Gesicht auf ihn zu, grinste ihn an und wartete auf Bronskis Bestellung. Bronski schwieg einen Moment verdattert, und als ob der Jüngling Bronskis Gedanken lesen könne, wurde dessen Grinsen noch breiter. War das Schadenfreude? Bronski hätte ihm in die Fresse schlagen können, bestellte aber stattdessen ein Glas Sekt. Sekt, den er nicht ausstehen konnte. Ging denn heute alles schief?
Bronski wollte es nun nur noch zu Ende bringen, und egal, was der Jüngling von ihm dachte, unter dem Vorwand, sich bedanken zu wollen, fragte Bronski nach der Namenlosen. Der Jüngling grinste wieder und Bronski nahm zu dessen Gunsten an, dass es nur Hilflosigkeit war, dann überlegte der Tölpel einen Moment, dann blies er sich die Fettsträhne aus der Stirn, und dann zuckte er mit den Schultern. Er kannte sie nicht. Sie waren alle nur Aushilfskräfte hier. Das Mädchen war gegangen. Sie hieß Marie, oder so.
Bronski fasste es nicht. Diese Fettlocke da hatte den ganzen Abend neben diesem Traum von einer Frau gestanden und sich nicht für sie interessiert? Wie blöd oder schwul musste man denn sein, um sich so etwas entgehen zu lassen?
Marie. Das war nun alles.
Bronski ließ den Sekt stehen. Jetzt brauchte er Whisky. Jetzt war wieder alles in Ordnung. Er hatte zwar eine Chance verpasst, aber er hatte eine Spur.
Zum Abschluss hatte Bronski noch Lust, den Knaben hinter der Theke zu beleidigen, ließ es dann aber sein. Da ohnehin nichts mehr zu verlieren war, fragte er ihn lieber nach dem Namen der Agentur, die sie vermittelt hatte. Und gerade, als der Typ wieder hämisch grinsen wollte, fiel Bronski ein wunderbarer Satz zum Abschied ein.
»Junger Freund, wenn Sie wieder grinsen, haue ich Ihnen in die Fresse!«
Der Typ erstarrte, nannte den Namen der Agentur und widmete sich seinen Gläsern. Nun musste Bronski grinsen, diese jungen Zärtlinge waren leicht zu beeindrucken. Bronski fühlte sich großartig und trat hinaus in die Nacht.
Dort stand die Malerin und telefonierte wahrscheinlich mit ihrer besten Freundin.
Bronski folgte einer Eingebung, umfasste die füllige Künstlerin und küsste sie