Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman. Tessa Hofreiter

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Название Der neue Landdoktor Paket 1 – Arztroman
Автор произведения Tessa Hofreiter
Жанр Языкознание
Серия Der neue Landdoktor
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740980672



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sie in eine große Stube, die übervoll mit antiken Möbeln und Krimskrams war. In einem bequemen Korbsessel bei den geöffneten Terrassentüren saß Magdalena Albers. Auch im hohen Alter Mitte der Neunzig war sie noch eine imposante Erscheinung mit blitzenden dunklen Augen und ihrem rot gefärbtem Haar, das zu einer Flechtfrisur aufgesteckt war. Sie trug ein lavendelfarbiges Dirndl, dazu eine Jeansjacke und ein Brillantcollier, das durchaus echt aussah. Neben ihr turnte ein farbenprächtiger Papagei auf seiner Sitzstange herum, der »Doktor! Doktor!« krächzte, als er den Landarzt bemerkte.

      »Guten Abend, Frau Albers, und guten Abend, Kondor!«, grüßte Sebastian Seefeld höflich. »Frau Albers, wie geht es Ihnen heute?«

      Anstatt zu antworten, schaute die alte Dame Doktor Seefelds Begleitung scharf an. »Blaue Haarsträhnen, freche Kleidung, ein Tattoo und freundliche Augen. Madl, du passt hier her!«

      »Ähm, danke, ich bin übrigens Caroline«, stotterte die junge Frau überrascht.

      »Weiß ich doch! Du bist die Böttcher Caro, die früher meinen Kondor mit Erdnüssen vollgestopft hat«, sagte die alte Dame nicht unfreundlich.

      »Hört, hört! Davon hast du mir gar nichts erzählt«, schmunzelte Felix.

      »Du ja auch nichts von deiner Großtante«, konterte Caro. Sie griff nach den Unterlagen in ihrer Mappe und setzte einen höchst professionellen Gesichtsausdruck auf. Ihr Chef sollte nicht von ihr glauben, dass das jetzt zu einem privaten Besuch wurde!

      Sie überprüften Puls, Herzschlag und Atmung ihrer Patientin, und Doktor Seefeld stellte ein neues Rezept aus. »Sie haben jemanden hier, der Ihnen die Tabletten besorgt? Sonst sage ich in der Apotheke Bescheid, und sie werden Ihnen geschickt.«

      »Mei, die paar Meter schaffe ich wohl noch allein!«, antwortete Magdalena stolz.

      »Ist schon recht, Frau Albers, nur aufpassen, dass Sie sich nicht überanstrengen!«, mahnte Sebastian Seefeld geduldig.

      Felix hatte sich zu Beginn der Untersuchung in die Küche zurückgezogen. Jetzt kam er mit einem großen Tablett, auf dem er eine Brotzeit angerichtet hatte, zurück. »Möchten Sie mit uns eine Kleinigkeit essen?«, bot er freundlich an.

      Die Wurst- und Käsebrote mit ihren Beilagen waren sehr verlockend angerichtet, aber der Arzt lehnte dankend an. Auf ihn warteten noch andere Patienten, und er wollte nicht zu spät zu Hause sein. »Wie ist es mit Ihnen, Caro? Ihr erster Arbeitstag war lang genug. Wenn Sie möchten, können sie gern hierbleiben, ich kann die Runde auch allein abfahren«, bot er freundlich an.

      »Danke, nein!«, lehnte Caro bestimmt ab. »Die Hausbesuche gehören mit zu meiner Arbeit, und ich höre erst auf, wenn wir die Runde beendet haben. Danach kann ich ja wiederkommen, wenn du dann noch hier bist, Felix.«

      »Für die Zeit, in der ich im Sonnenhof arbeitete, wohne ich hier«, erklärte Felix und fügte leise hinzu: »So habe ich auch mehr Zeit, mich um meine Großtante zu kümmern. Ich glaube, dass es gut für sie ist, sie hat in den letzten Wochen stark abgebaut.«

      Doktor Seefeld nickte ernst. »Es ist gut, dass Sie hier sind.«

      Plötzlich stand Magdalena neben ihnen, sie hatten ihre Schritte in den weichen Hausschuhen nicht gehört. Kondor balancierte auf ihrer Schulter und knabberte zärtlich an ihren aufgesteckten Flechten. Ihr Gesichtsausdruck wirkte seltsam weggetreten, so als konzentriere sie sich auf etwas, das die anderen nicht sehen oder hören konnten. Dabei starrte sie Caro unverwandt an. »Die falsche Unschuld! Hüte dich vor der Macht der Sanften!«, murmelte sie.

      Verunsichert wich die junge Frau einen Schritt zurück. Man munkelte hinter vorgehaltener Hand, dass Magdalena das Zweite Gesicht habe. Hatte sie eben eine Warnung ausgesprochen, oder waren es Anzeichen von Demenz?

      Dann schien die alte Dame aus ihrer Trance zu erwachen. Sie schaute in die Runde, bedankte sich höflich bei dem Arzt für seinen Besuch und verabschiedete sich. Mit vorsichtigen Schritten stieg sie über die Eingangsstufen in ihren Garten hinunter, um ihren Abendspaziergang zu machen. »Doktor! Doktor! Ade, ade!«, krächzte Kondor, dann schmiegte er seinen Kopf gegen die Wange der alten Frau. »Liebling, Liebling.« Es klang fast wie ein Lied.

      »Ähm, ja, so ist das nun«, sagte Felix. Er legte kurz den Arm um Caros Schultern. »Ich hoffe, meine Großtante hat dich nicht erschreckt?«

      »Dazu gehört schon mehr!«, antwortete die junge Frau. »Wir sehen uns nachher hier?«

      »Ja, gerne, ich freu mich drauf.«

      Es waren noch drei Hausbesuche zu machen, danach fuhren der Arzt und die sehr schweigsame Praxishelferin wieder in den Ort zurück. »Glauben Sie an das Zweite Gesicht?«, fragte Caro plötzlich.

      Doktor Seefeld überlegte. »Ich weiß es nicht«, antwortete er ehrlich. »Ich glaube nicht daran, dass man grundsätzlich die Zukunft vorhersagen kann. Aber es gibt so vieles zwischen Himmel und Erde, was wir nicht erklären können; vielleicht gibt es Menschen, die einfach mehr wahrnehmen als andere?«

      »So wie Magdalena Albers?«

      »Wer weiß?« Der Landdoktor fuhr schweigend auf die Zufahrt zum Kapitänshaus und ließ dort die junge Frau aussteigen. »Sie haben sich gut gemacht an ihrem ersten Tag, Caro! Ich wünsche Ihnen einen schönen Feierabend. Bis morgen!«

      »Bis morgen, Doktor Seefeld, und gute Nacht!«

      *

      Magdalena hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen und lag bereits im Bett. Ihr Blick war auf die großen Fenster gerichtet, die sich zum Garten öffneten. Die alte Dame lauschte dem friedlichen Auf und Ab der beiden Stimmen, die leise zu ihr hereinklangen. Felix hatte Besuch von dieser freundlichen Sprechstundenhilfe, dieser Caro. Magdalena lächelte in sich hinein. »Kondor«, murmelte sie zufrieden, »ich wette, diese beiden sind mehr als nur eine nette Bekanntschaft aus Münchner Zeiten.«

      »Liebling, Liebling«, schnarrte der Papagei, der auf dem Kopfteil ihres Bettes thronte.

      »Du sagst es!« Magdalena schloss die Augen und überließ sich ihren Träumen, in denen sie in wunderbarer Weise ihr Leben mit ihren geliebten Heinrich weiterlebte.

      Vom Garten des Kapitänshauses hatte man einen herrlichen Ausblick auf die majestätischen Alpen, die sich blau im Dunst des Sommerabends erhoben. Schwalben flogen ihre eleganten Flugbahnen und erfüllten die Luft mit ihren hellen Rufen. Es duftete nach sommerwarmer Erde und dem Geißblatt, das die Veranda des alten Hauses umrankte.

      »Schön ist es hier«, sagte Caro. Sie saß in einem bequemen Korbstuhl, hatte die Sandalen ausgezogen und ihre Füße auf einen anderen Stuhl gelegt.

      Felix schaute sie mit einer Zärtlichkeit an, die ihren Herzschlag beschleunigte. Er musterte ihre glänzenden, brünetten Haare mit den beiden kobaldblauen Strähnen, welche das Gesicht umrahmten. Die junge Frau trug ein ärmelloses, schwarz-weiß kariertes Kleidchen, wie es in den sechziger Jahren modern gewesen war.

      »Du hast es in einem Secondhand-Laden gefunden?«, riet er.

      »Natürlich; wie das meiste, was ich trage.«

      Felix griff nach ihrer Hand und strich zart mit seinem Daumen über ihre Finger. »Du hast dich überhaupt nicht verändert.«

      Caro lachte leise. »Warum sollte ich? Du klingst, als hätten wir uns vor Jahrzehnten getrennt, dabei ist es doch erst ein gutes Jahr her.«

      »Haben wir uns eigentlich wirklich getrennt?«, fragte er nachdenklich. »Wir telefonieren und schreiben uns, der Kontakt ist nie ganz abgebrochen.«

      »Stimmt.« Caros Hand kuschelte sich in seine, und beide dachten an ihre gemeinsame Zeit in München zurück.

      Caroline und Felix hatten sich in der Notfallambulanz kennengelernt, als der Koch dort wegen einer allergischen Reaktion behandelt werden musste. Die beiden waren sich auf Anhieb sympathisch. Aus der gegenseitigen Zuneigung wurde Verliebtheit, und das Paar erlebte eine leidenschaftliche und unkomplizierte Zeit der Zweisamkeit. Sie waren glücklich in der Gegenwart und schmiedeten keine Zukunftspläne. Als Felix zu einer Fortbildung nach Paris flog