Fritz und Alfred Rotter. Peter Kamber

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Название Fritz und Alfred Rotter
Автор произведения Peter Kamber
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783894878313



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„Die Sammelreklame an den Litfaßsäulen gibt es seit 1 ½ Jahren“, heißt es etwa im Protokoll der Sitzung des Berliner Bezirksverbandes der Bühnengenossenschaft am 28. Juli 1924. Vorgeworfen wird den Rotters nämlich, Umbesetzungen in der Presse nicht anzukündigen, wie offenbar geschehen, obwohl sie „noch besondere Reklame an den Säulen gemacht“ hätten und „sehr wohl in der Lage gewesen“ wären, „Berichtigungen anzubringen“ oder diese wenigstens vor der Vorstellung selbst gebührend bekannt zu geben. Die Theaterabteilung im Polizeipräsidium erhebt ebenfalls den „Vorwurf der falschen Anzeigen von Stars auf den Theaterzetteln, Litfaßsäulen und in den Zeitungsannoncen“. So etwa sei der Rotter-Schauspieler Kaiser-Titz, der einen fünfjährigen Vertrag hat, während einer Beurlaubung für Filmaufnahmen immer noch auf den Theaterzetteln erschienen.

      In einem anderen solchen Fall verteidigt Anwalt Heine die Rotters mit dem Verweis auf das Chaos der Hyperinflation in den Milliarden-Tagen des Novembers 1923: „Dass Frau Toelle vor der Premiere von Eine galante Nacht Anfang November 1923 angekündigt wurde, war selbstverständlich, denn sie hatte die Rolle übernommen und geprobt.“ Sie trat im Übrigen auch auf. Aber, so Anwalt Heine weiter: „Infolge der fortschreitenden Geldentwertung kam es dann zu dem Prozess, weil die Beteiligten sich nicht über die Höhe der Gage einigen konnten und Frau Toelle sich weigerte, zu spielen. […] Die Ankündigung der Frau Toelle wurde fortgesetzt, weil man annahm, dass dies nötig wäre, um ihre Kontraktbrüchigkeit und den Schaden festzustellen […]. Eine Täuschung des Publikums war nicht beabsichtigt. Fast täglich stand in den Zeitungen, dass Frau Toelle nicht spielte. Im Kassenraum war ein entsprechender Anschlag. Die Billetts wurden selbstverständlich anstandslos zurückgenommen.“ Um solches Klein-Klein geht es.

      Anwalt Wolfgang Heine darf sich dazu sogar im Berliner-Tageblatt äußern: „In der nervösen Inflationszeit hat es manche Prozesse von Mitgliedern gegeben; auch etliche mit Autoren. Bei welchem Theater ist das nicht vorgekommen? – Dafür ist ja das Schiedsgericht geschaffen. Die meisten Streitfälle sind gütlich erledigt, die Kläger zum großen Teil noch immer bei Rotter engagiert.“153

      Frau Jlm, ebenfalls Mitglied des Verwaltungsrats der Bühnengenossenschaft, referiert laut Protokoll einer Versammlung eine abfällige Bemerkung von Oskar Kanehl: „Der Regisseur an den Rotterbühnen, der Kommunist Kanehl, habe geäußert: ‚Der Kampf, der jetzt geführt wird, ist der Kampf des Kapitals gegen die Arbeitnehmer, und diese blöden Hunde in der Genossenschaft glauben, für ihre paar Groschen eben was tun zu müssen, in dem Kampf selbst wird aber selbstverständlich das Kapital siegen.‘“

      Doch das Verhängnisvolle ist, dass im Streit zwischen den Theaterdirektoren Alfred Rotter und Victor Barnowsky auch andere, offen rechtsradikale Stimmen laut werden. Die Deutsche Zeitung höhnt am 29. Juli 1924 unter dem Titel Aus Rotters Warenhäusern:

      „Der ‚König der deutschen Bühnen‘, wie er sich großherrlich zu wiederholten Malen selbst nannte, Alfred Rotter, hatte sich um die Spielerlaubnis für das Lessing-Theater beworben […]. […] 33 Klagen der Künstler, die beim Bühnenschiedsgericht anhängig gemacht wurden, geben einen Beweis der weisen und gerechten Regierung ‚König Alfreds I‘ alias des Juden Alfred Rotter. Eine Regierungs-(Geschäfts-)führung war bei den Gebr. Rotter üblich, die nicht einer Stätte der Kunst, sondern einem schlecht geleiteten Warenhause würdig ist. […] Der Rotter’sche Geist macht sich in jeder Rotteraufführung bemerkbar. Die Gebrüder Rotter sind nicht nur üble Schädlinge am deutschen Bühnenwesen, sondern missbrauchen durch ihre Reklamesucht, ihre ‚Geschäftstüchtigkeit‘ die nichtsahnenden Besucher ihrer theatralischen Warenhäuser.“

      Als Rickelts Bühnengenossenschaft eine Umfrage unter den bekanntesten Theaterkritikern macht, findet Monty Jacobs von der Vossischen Zeitung am 1. August 1924 zu einer zwar ablehnenden, aber nuancierten Stellungnahme. Er sagt:

      „Ob es jetzt noch möglich ist, den Einzug der Direktion Rotter in ihre sechste Berliner Heimstätte zu verhindern, haben die Juristen zu entscheiden. […] Rotters hat es immer und überall gegeben, und es ist vielleicht nötig, dass es sie gibt. Aber hier handelt es sich ja um etwas anderes. Hier wird die Frage entschieden, ob es in der Berliner Theaterkunst überhaupt noch etwas anderes neben den Rotters geben soll. Solange sie an der Jannowitzbrücke [gemeint ist das Residenz-Theater] genügsame Geister erfrischten, waren sie ein Unternehmen wie andere auch. Seitdem sich aber dieses Unternehmen zum Trust ausgewachsen hat, seitdem es durch einen kapitalistischen Handstreich Otto Brahms Haus erobert hat [gemeint ist das Lessing-Theater] muss die Gefahr einleuchten, die eine Ausdehnung dieses Betriebs bedeutet.“

      Alfred Kerr, der rund zwei Jahrzehnte älter ist als die Rotters und kurz nach ihnen ins Exil geht, sticht mit seinen literarischen Kritiken hervor und beantwortet die Rundfrage der Bühnengenossenschaft am 27. Juli 1924 aus Berlin-Grunewald – wo auch Fritz und Alfred Rotter leben – mit ungewöhnlicher Härte:

      „Die Herren Rotter sind mir menschlich unbekannt. Ich habe gegen sie keine Voreingenommenheit. Aber ihr Wirken gibt mir die Gewissheit, dass sie die übelsten Schädlinge sind, welche die deutsche Theaterkunst seit Geschlechtern aufzuweisen hat. Ihr Wirken ist Spekulation auf tiefstehende Regungen einer gewissen Schicht. In dieser Tendenz treiben sie ‚Kunst‘ als Handelsgeschäft. Sie pflegen u. a. Kitzlich-Obszönes in der plattesten Form. […] Dazu kommt eine das Publikum peinlich irreführende Reklame: durch systematische Veröffentlichung von Zeitungsannoncen mit unwahren Angaben. Deutschlands Bühnenkunst, jahrzehntelang die erste der Welt (und noch heut im ganzen unerreicht), wird vornehmlich durch die Rotter-Praxis heruntergebracht.“154

      Seltsamerweise verteidigt Alfred Kerr erst im Dezember 1932, kurz vor ihrem Untergang, endlich die Brüder: „Das Getu, als pfiffe Deutschland Theater auf dem letzten Loch (weil die Rotters ein paar Häuser pachten)“, schreibt er – wie nach einem Sinneswandel – im Berliner Tageblatt.

      Siegfried Jacobsohn, Herausgeber der Weltbühne, schreibt dem Präsidium der Bühnengenossenschaft aus seiner links-oppositionellen Haltung heraus am 28. Juli 1924 ebenfalls unerbittlich: „1. Ich halte die künstlerische Tätigkeit der Direktion Rotter für so schädlich, dass ich sie als Kritiker von jeher aufs schärfste bekämpft habe. 2. Mit jedem Theater mehr, das der Direktion in die Hände fällt, vergrößert sich ihre Schädlichkeit, als dieses Theater sonst ja unter die Leitung einer künstlerischen Persönlichkeit kommen könnte, die das Niveau der deutschen Theaterkunst in dem Grade heben würde, wie die Direktion Rotter es heruntergebracht hat.“155

      Und Herbert Jhering antwortet am 28. Juli 1924 aus den Ferien („Kampen auf Sylt“): „1. die ‚künstlerische‘ Tätigkeit der Direktion Rotter hat das Ansehen des Berliner und damit des deutschen Theaters untergraben. 2. […]. 3. Ein Theater von der Bedeutung des Lessing-Theaters braucht besonderen Schutz. Es geht nicht an, dass es beliebigen skrupellosen Unternehmern ausgeliefert wird. Es ist eine Frage der Reinlichkeit des öffentlichen Kunstlebens, dass das Lessing-Theater nicht an die Gebrüder Rotter fällt oder an einen von ihnen. 4. Es ist gerade deshalb in diesem Falle besonders notwendig, auf die künstlerische Eignung des Konzessionsbewerbers zu dringen. Es liegt ein bedeutendes öffentliches Interesse vor. Die Verantwortung ist groß.“156 Nur: Das Lessing-Theater war kein Staats- oder Stadttheater, sondern ein privates Haus.

      Einzig der – republikanisch-demokratische – Montag Morgen in Person des Autors Stefan Großmann (der einmal Anarchist gewesen sein soll) rät als Warner in der Wüste davon ab, das Polizeipräsidium in einem „Denunziationskrieg“ zum Richter über eine Frage zu machen, die „nur uns Kritiker, uns Publikum“ angehe. „Man sage nicht, der Zweck heiligt die Mittel. Umgekehrt ist’s richtig: Diese Mittel entheiligen jeden Zweck!“157 In einem weiteren Artikel mahnt Großmann: „Ich halte freilich den Kampf, den die Bühnengenossenschaft jetzt gegen die Rotters führt, für eine der prinzipiell unglückseligsten Aktionen der Genossenschaft. Wir sind glücklich die Zensur losgeworden, und durch solche Aktionen, die der Polizei-Behörde neue Macht einräumen, sind wir im Begriffe, eine Überwachungszensur schlimmster Art einzuführen.“158

      In einer Kolumne wendet sich Großmann unter dem satirisch gemeinten Titel Vorschlag zur Beseitigung