Frühstück am Eiffelturm. Sylvie C. Ange

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Название Frühstück am Eiffelturm
Автор произведения Sylvie C. Ange
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783967526653



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vom Innern des Châteaus, den ihr der Anwalt ausgehändigt hatte, studiert. Dass zwanzig Räume, zehn Schlafzimmer mit Bad, Salon, Speisezimmer, Ballsaal, Galerie, Jagdzimmer, Bibliothek, Küche, Vorratskammern, Büro, unzählige Gänge und sonstige Nebenräume nicht in einer kleinen Villa Platz hatten, war ihr klar gewesen, aber mit diesem Prachtschloss hatte sie nicht gerechnet. Sollte sie wieder umkehren? Ihr Vorhaben kam ihr jetzt schrecklich unsinnig vor. Aber warum stellte sie sich diese Frage überhaupt? Nur so hatte sie die Chance ein großes Vermögen zu erben, das sie so dringend benötigte. Wehmütig stiegen Erinnerungen in ihr hoch. Nie würde sie die gebrochene Stimme ihres Vaters vergessen, als er ihr mitteilte, dass er bankrott und das kleine Anwesen in Cornwall nicht mehr im Besitz der Familie war. Seit dem Tod ihrer Mutter, die ein Jahr vor ihrem Vater starb, war er nicht mehr derselbe stattliche, fürsorgliche, aber auch strenge, zur Perfektion neigende Mann gewesen, den Kate gekannt hatte. Er hatte sich zurückgezogen, war unkonzentriert und vermutlich hatte man seinen Zustand ausgenutzt. Kate fand keine andere Erklärung für den geschäftlichen Misserfolg, über den ihr Vater beharrlich geschwiegen hatte. Sie wusste nur, dass ihr Elternhaus in den Besitz eines vermögenden Mannes der sogenannten Gesellschaft übergegangen war. Ihr Vater wollte nicht mehr darüber sprechen, und Kate musste mit ansehen, wie er litt. Sie atmete tief durch. Nein, umkehren würde sie auf keinen Fall. Sie würde alles dafür tun ihr Elternhaus zurückzuerobern. Das war sie ihrem Vater schuldig.

      Die Fahrt war mehr als strapaziös gewesen. Sie hatte sich verfahren und damit abgefunden, dass sie viel später eintreffen würde, als angegeben. Dann war aus undefinierbaren Gründen ein Reifen des Mietwagens geplatzt, irgendwo auf einer einsamen Straße zwischen Beaulieules-Loches und dem Château. Zum Glück hatte ein Motorradfahrer angehalten, um ihr zu helfen. Aus einer Laune heraus hatte sie zuvor selbst versucht, den Reifen zu wechseln. Das Ergebnis war eine riesige Laufmasche und das Kostüm aus hellem Leinenstoff sah aus, als ob sie in einem Kohlenkeller hantiert hatte. Kate seufzte, als sie kurz auf die riesigen schwarzen Fleck, die nun ihren Rock verunstalteten, sah.

      Sie musste sich unbedingt schnell umziehen. Aber wo? In dem kleinen Auto war das einfach unmöglich. So konnte sie sich nicht sehen lassen. In diesem beeindruckenden Schloss zeigte sicher keiner Verständnis für ihren Aufzug, und sie hatte keine Lust darauf, dass sie von oben bis unten gemustert wurde. Womöglich noch von André Bergerac persönlich. Aber sicher würde er dies nicht selbst tun. Wahrscheinlich hat er einen Obermusterer, dachte Kate verächtlich.

      Sie sah sich um. Etwas abseits des Châteaus standen in einer Reihe große Tontöpfe, aus denen dicht verzweigte weiße Oleander wuchsen. Kate parkte neben der dunkelblauen Limousine, die vor den üppigen Pflanzen stand und stieg aus.

      Kein Mensch weit und breit. Der leichte Abendwind strich durch die Blätter der hohen Bäume, sonst war es still. Wo sollte sie sich bloß unauffällig umziehen? Kate ließ ihren Blick schweifen, und blieb an einem der großen Tontöpfe hängen. Nein, unmöglich, aber die Korkeiche, die einen äußerst ungewöhnlichen Kontrast zu den übrigen Pflanzen und Zypressen bot, war der richtige Platz dafür. Außerdem würde sie die Dämmerung, die nun einsetzte, schützen. Sie holte Jeans und eine Bluse aus ihrem Koffer. Zu dumm, das Kostüm wäre viel geeigneter gewesen, aber nun musste sie wohl doch in Kauf nehmen, dass man sie missbilligend messen würde, wenn sie unpassend gekleidet war. Egal, zumindest würde sie adrett aussehen, und wenn den Herrschaften etwas nicht passen sollte, würde sie auf dem Absatz kehrt machen. Würde sie das tatsächlich tun, angesichts ihrer Lage?

      Ein neuerlicher Seufzer kam über ihre Lippen. Dann verschwand sie hinter dem dicken Stamm des Baumes. Sie musste lachen bei dem Gedanken, dass jemand beobachten könnte, was sie tat. Sicherlich sah es seltsam aus, wenn Kleidung und Strümpfe hinter einem Baum hervor fielen. Sie schlüpfte in die Jeans und zog die Bluse an. Na also, geht doch. Sie pustete, wie meist, ihre widerspenstigen Locken aus dem Gesicht. Während sie den Gürtel schloss, kam sie hinter dem Baum hervor.

      »Ziehen Sie sich immer in freier Natur um, Mademoiselle?«

      Kate zuckte zusammen. Verflixt. Erwischt. Wie peinlich. Die große, beeindruckende Gestalt stand so, dass ihr Gesicht im Schatten lag, und Kate nicht sah, wem diese faszinierende Stimme gehörte. Die Gestalt hielt ihr Kostüm und Strümpfe entgegen. Hastig nahm sie die Kleidung an sich. »Nein … ich … nun, ich hatte auf dem Weg hierher eine Reifenpanne.« Warum stotterte sie denn so? »Ich habe einen Vorstellungstermin«, sie zeigte auf das Château, »daher habe ich mich umgezogen. Mein Kostüm hat leider unansehnliche Flecken abbekommen und ich vermute, dass schmutzige Kleidung für diese hochnä… für herrschaftliche Augen sicher ein Fauxpas wäre.« Was war denn los mit ihr? Weswegen erzählte sie einem Wildfremden was sie tun musste? Hoffentlich hielt er sie nicht für sonderbar. Aber war es nicht egal, ob ein Fremder sie für sonderbar hielt oder nicht? Kate atmete tief ein.

      Die Gestalt trat aus dem Schatten hervor. Das Licht der Laternen umspielte kantige männliche Züge und eine gerade lange Nase. Die Ärmel des weißen Hemdes waren hochgekrempelt, zeigten kräftige Unterarme und gepflegte Hände. Unwillkürlich dachte Kate daran, wie es wäre, von diesen schlanken Fingern berührt zu werden. War sie übergeschnappt? Sie sah den Mann gerade mal ein paar Sekunden. Trotz ihrer Selbstrüge riskierte sie einen Blick auf die langen Beine, die in schwarzen Jeans steckten.

      »Meinen Sie?« Der Fremde verschränkte seine Arme und drehte sich weiter zum Licht. Er zog den rechten Mundwinkel ironisch lächelnd in die Höhe. Diese Lippen wirken sinnlich, sensibel und versprechen heißes Vergnügen, kam es Kate in den Sinn. Gleichzeitig fand sie es einen Segen, dass Gedanken nicht hörbar waren. Das Laternenlicht spiegelte sich in den dunklen Augen des Mannes und ließen sie, wie bei einer Raubkatze im Dunkeln, aufblitzen. Die eher tief liegenden Augenbrauen gaben ihm etwas Geheimnisvolles und Rätselhaftes. Kate räusperte sich. Wenn sie ihn weiter so anstarrte, musste er vermuten, dass sie nie interessante Männer zu Gesicht bekam. Eigentlich stimmte das sogar, denn in letzter Zeit hatte sie sich, wegen ihrer finanziellen Lage, sehr zurückgezogen.

      »Ja, das meine ich.« Sie bemerkte, dass er sie musterte. Warum lächelte er nun so spöttisch, dachte sie stirnrunzelnd.

      »Meine Erfahrungen sagen, dass die Herrschaften nicht immer so penibel sind. Sie zeigen sogar Verständnis.« Er kam noch etwas näher und blickte ihr in die Augen. Seine ganze Miene wirkte amüsiert.

      »Kennen Sie die Bergeracs?«

      »Sehr gut.«

      »Ist die Familie sehr exaltiert?«

      »Die Familie ist so wenig überspannt, wie Sie und ich.«

      »Dann kann ich André Bergerac beruhigt mit Jeans gegenübertreten, oder?«

      »Dagegen hat er bestimmt nichts, das versichere ich Ihnen.« Er trat wieder einen Schritt zurück. Sein Blick glitt prüfend über ihre Figur. »Allerdings …«

      »Allerdings was …«, entfuhr es Kate.

      »Allerdings sollten Sie Ihre Bluse zuknöpfen, obwohl ich zugeben muss, dass sie offen sehr reizvolle Einblicke gewährt.«

      Kate sah an sich hinunter und hoffte, dass das spärliche Licht die flammende Röte, die ihre Wangen nun haben mussten, dämpfte. Sie ärgerte sich, dass sie hautfarbene Unterwäsche angezogen hatte, die so gut wie nichts verbarg. Schnell knöpfte sie die Bluse zu. »Das kommt davon, weil Sie mich erschreckt haben. Trotzdem danke für den Tipp.«

      »Habe ich Sie tatsächlich erschreckt? Sehe ich so zum Fürchten aus.«

      Sie knöpfte den letzten Knopf zu. »Nein, das tun Sie nicht.« Er war sich sicher bewusst, wie er auf Frauen wirkte. »Ich muss jetzt gehen. André Bergerac ist sicher schon sehr verärgert, weil ich den vereinbarten Termin nicht zeitgerecht einhalte.«

      »Dann muss ich auch gehen, aber vorher … gestatten Sie?« Er kam näher und streckte seine Hände aus. Kate wich ein wenig zurück und bemerkte gleichzeitig, dass sie zu ihm aufblicken musste, obwohl sie mit 173 cm nicht zu den kleinen zierlichen Frauen zählte, die sie als Teenager hin und wieder beneidet hatte.

      »Keine Angst, ich tue Ihnen nichts, aber Sie müssen ganz sicher nicht vor André Bergerac wie eine Nonne erscheinen.« Mit diesen Worten öffnete er die zwei obersten Knöpfe