Название | Der Schatz im Flaschenhals |
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Автор произведения | Andreas Arz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783969870815 |
Arnold erlangte zuerst die Fassung und unterbrach die rührselige Szene. Er hob den Kopf und sagte scherzend: »Jetzt müssen wir uns aber loslassen. Die Nachbarn denken noch, was ich wohl für ein Weichei bin, bei Vater und Mutter im Arm stehen und rumheulen.«
»Auch ein erwachsener Mann darf ruhig mal weinen«, entgegnete Heidi mit weinerlicher Stimme.
»Der Junge hat recht, jetzt ist mal gut. Wir haben schließlich noch eine weite Fahrt vor uns«, brachte Paul wieder etwas Realismus in die Runde.
»Nach, auf dann«, schluchzte Heidi.
Das Gepäck war bereits eingeladen und auf der Rückbank lagen zwei Kisten Wein. Willi hatte es sich nicht nehmen lassen, den Mecklenburgern ein paar Souvenirs aus seinem Weinkeller mitzugeben. Jetzt, wo der Bub ein echter Lorcher Winzer war, müssten auch die Eltern immer mit gutem Wein aus dem Rheingau versorgt sein - so sein Wortlaut.
Heidi und Paul stiegen ein. Sie warf Arnold noch einen Kussmund entgegen, während der Vater den Wagen startete und rückwärts im Hof manövrierte. Beide kurbelten die Fenster herunter, und während Paul aus der Hofeinfahrt auf die Straße abbog, winkten sie ihrem Sohn zum Abschied. Arnold winkte mit einem gezwungenen Lächeln zurück. Als sie außer Sicht waren, rieb er sich die letzten Tränenreste aus den Augen und schnaufte tief durch. Natürlich freute er sich, dass es jetzt endlich losgehen konnte, doch der Abschied setzte ihm richtig zu. Arnold liebte seine Eltern über alles und war endlos dankbar für die großartige Unterstützung, die sie ihm entgegenbrachten. Jetzt aber erst realisierte er zum ersten Mal bewusst das Loslassen. Ihm wurde klar, dass heute seine neue Zukunft, fern von der Heimat, begann und eine große Aufgabe vor ihm lag. Aber er war Willens und guter Dinge, sie zu bewältigen.
Arnold ging ins Haus zurück und verzog sich in sein Wohnzimmer. Er ließ sich in seinen schweren Ohrensessel fallen, lauschte der Stille und versuchte, seine Gefühle zu verarbeiten.
Das plötzliche laute Donnern eines vorbeifahrenden Güterzuges auf der nahegelegenen Bahnstrecke holte ihn zurück aus seiner Trance. Er atmete noch einmal tief und wiegte seinen Kopf hin und her, als wolle er die letzten wehmütigen Gefühle abschütteln, dabei fiel ihm das Tagebuch ins Auge. Er stand auf, ging zum Regal und zog das Buch heraus. Wieder schaute er ein paar Augenblicke nur auf den Ledereinband. Kurzerhand lief er zu seinem Schreibtisch und schaltete seinen Laptop ein. Über eine Suchmaschine recherchierte er die Öffnungszeiten des Lorcher Museums. Schnell hatte er sie gefunden. Er schaute auf die Uhr. »10:30 Uhr, das Museum hat jetzt geöffnet«, dachte er sich. Kurz entschlossen schnappte sich Arnold seine Jacke und seinen Rucksack, packte das Tagebuch ein und holte aus dem Weinkeller noch den schweren Becher, den er zusammen mit dem Tagebuch gefunden hatte. Mit den beiden Funden im Rucksack machte er sich auf den Weg zum Lorcher Museum. Es lag nicht sehr weit von seinem Weingut entfernt, sodass er die Strecke zu Fuß zurücklegen konnte. Das Museum befand sich auf dem Marktplatz und war an das Lorcher Rathaus angeschlossen. Daneben prangte die imposante Lorcher Sankt-Martins-Kirche. Arnold hielt kurz inne und schaute sich auf dem Marktplatz um. Er betrachtete seine neuen Mitbürger, die in den kleinen Geschäften ihre Einkäufe erledigten, und genoss einen Moment die friedliche Atmosphäre. Trotz der emotionalen Achterbahnfahrt in den letzten Stunden, die die Abreise seiner Eltern ausgelöst hatte, ließ die Wehmut mehr und mehr nach, und trotz der kurzen Zeit, die er erst in Lorch heimisch war, hatte er das Gefühl, angekommen zu sein. Der Anblick der fröhlichen Menschen, die sich auf dem Markt tummelten, erfüllte ihn mit einer Leichtigkeit, die ihm das Gemüt aufhellte. Er überquerte den Platz und blickte dabei in die Schaufenster der Geschäfte. Aus der Bäckerei drang ein herrlicher Duft nach frischen Brötchen und süßem Gebäck, dieser Geruch vermischte sich mit dem von Rosen aus dem Blumenladen. Arnold nahm eine tiefe Nase von den Gerüchen und setzte danach ein zufriedenes Lächeln auf. So falsch war es nicht, nach Lorch zu kommen‹, dachte er und erklomm die Stufen zum Rathaus, die an das angrenzende Museum führten. Er blickte zuerst durch die Scheibe an der Tür und erkannte einige Kunstgegenstände. Als sein Blick in die hintere Ecke des Raumes ging, schob sich plötzlich der Kopf eines älteren Herren hinter dem Fenster in sein Blickfeld. Erschrocken machte Arnold zwei Schritte zurück und stolperte dabei fast über einen Bordstein.
Der ältere Herr öffnete die Tür.
»Kommen Sie ruhig herein, keine Scheu.«
Arnold zögerte kurz und sagte dann: »Puh, Sie haben mich ganz schön erschreckt.«
»Ich bitte das zu verzeihen, das war nicht meine Absicht. Kommen Sie herein, von drinnen können Sie unsere Schätze besser bestaunen als durch die Scheibe.«
»Gerne, vielen Dank.«
Der ältere Herr lächelte ihn an und machte einen höflichen Schritt zur Seite, damit Arnold an ihm vorbeigehen konnte. Dabei wies er mit dem linken Arm den Weg hinein.
»Darf ich mich vorstellen, mein Name ist Dr. Josef Meinhaus. Ich bin der Kurator hier im Lorcher Museum.«
»Angenehm, Arnold Jäger, frisch zugezogen aus Mecklenburg.«
»Ich bin sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Darf ich fragen, was einen Mecklenburger in unser beschauliches Lorch verschlägt?«
Arnold lachte. »Aber natürlich, die Liebe zum Wein hat mich hierhergeführt. Ich habe ein kleines Weingut vorne an der Rheinstraße gekauft.«
»Dann darf ich Sie zu Ihrer weisen Entscheidung beglückwünschen und herzlich willkommen in unserer Gemeinde heißen.«
Dr. Meinhaus reichte Arnold die Hand. Er erwiderte das freundliche Willkommen mit einer kleinen Verbeugung, während er Dr. Meinhaus die Hand schüttelte.
»Nun, mein lieber Herr Jäger, was darf ich für Sie tun? Kann ich Ihnen ein Rundgang mit persönlicher Führung in unserem Museum anbieten?«
»Sehr gerne!«, erwiderte Arnold, der ehrlich interessiert an den Stücken im Museum war.
Dr. Meinhaus ging voran und führte zu jedem Ausstellungsstück eine präzise kleine Expertise an. Arnold war beeindruckt von den vielen historischen Artefakten, die im Lorcher Raum gefunden worden waren und hier in der Ausstellung ein Zuhause gefunden hatten. Besonders die Statue der Traubenmadonna gefiel ihm sehr gut. Sie stellte die Muttergottes mit einem Kind auf dem Schoß und Weintrauben in der Hand dar. Dr. Meinhaus bemerkte Arnolds besonderes Interesse an der Statue, das er wohlwollend aufnahm. Selbstverständlich hatte er auch zu diesem Stück einen ganzen Fundus an Wissen, den er einfach so aus dem Ärmel zu schütteln vermochte.
Arnold war sich sicher, an der richtigen Adresse mit seinem Anliegen zu sein. Dr. Meinhaus war allerdings so tief in seinem Element, dass Arnold sich nicht traute, ihn zu unterbrechen. Geduldig nahm er sich vor, auf eine gute Überleitung zu seinem Anliegen zu warten.
»Sehr beeindruckend. Woher kommen die vielen tollen Kunstgegenstände?«, fragte Arnold schließlich.
»Nun, der Schwerpunkt unseres Museums basiert auf der Kunstsammlung des ehemaligen Pfarrers unserer Gemeinde, Anton Karl Pfaff. Er war gebürtiger Lorcher und hat im Jahr 1925, ein Jahr vor seinem Tod, die gesamte Sammlung seiner Heimatstadt vermacht.«
Arnold horchte auf. Im ersten Eintrag im Tagebuch schrieb Peter Baum von einem Pfarrer Pfaff, welcher gerufen wurde, um den Ermordeten die letzten Sakramente zu erteilen.
Arnold erklärte vorsichtig: »Das war aber sehr großzügig.«
»Durchaus. Unsere Stadt konnte sich glücklich schätzen, durch die großzügige Schenkung in Besitz eines so besonderen Schatzes gekommen zu sein. Das Jahr 1925 war de facto etwas ganz Besonderes für unser Museum. Es waren auch schließlich sehr schwere Zeiten damals.«
Das war Arnolds Stichwort. »Diese Zeiten, von denen Sie sprechen, hatten sie etwas mit Belagerung nach dem Krieg zu tun?«
»Belagerung ist ein gut gewähltes Wort. In der Tat war Lorch zu dieser