Название | Der Schatz im Flaschenhals |
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Автор произведения | Andreas Arz |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783969870815 |
»Wieso das Ganze?«, fragte Arnold interessiert nach.
»Nach dem Krieg wollten die Siegermächte mit der Besetzung strategisch wichtiger Gebiete verhindern, dass sich das Deutsche Reich zu schnell von seiner Niederlage erholt und vielleicht noch einen Revanchekrieg anstrebt.«
»Kann ich verstehen, es waren ja sicher auch alle kriegsmüde?«
»Davon können Sie ausgehen. Allerdings ging es den Siegermächten, allen voran den Franzosen, ebenfalls darum, wichtige Gebiete für sich zu beanspruchen. So kam es dann, dass drei Brückenköpfe, sprich militärische Stellungen, benannt wurden, und um diese schlugen die Siegermächte auf der Landkarte mit einem Zirkel einen Kreis mit jeweils 30 km Radius. Genauer gesagt, um die Städte Köln, Koblenz und Mainz. Sie gingen davon aus, dass zwischen den Kreisen keine Freifläche entstehen würde. Doch da waren die Strategen einem Irrtum aufgesessen.«
»Lassen Sie mich raten, Dr. Meinhaus, Lorch fiel in keinen dieser Kreise.«
»Exakt! Ein kleiner Gebietsstreifen wurde von den Kreisen nicht erfasst und ging als Freistaat Flaschenhals in die Geschichte ein, und Sie stehen mittendrin«, sagte Dr. Meinhaus mit einem leicht stolzen Unterton in der Stimme.
»Das ist wirklich interessant, dann war Lorch quasi ein eigenes Land im Land?«
»Nicht ganz. Lorch, Kaub und eine weitere Gemeinde oberhalb des Rheins gehörten somit zum nicht besetzten Teil des Deutschen Reiches. Eigentlich eine schöne Sache, doch die Problematik war, dass die Menschen durch die angrenzenden besetzten Gebiete vom Rest des Landes abgeschnitten waren, was sich essenziell auf die Versorgung von Lebensmitteln und Brennstoffen auswirkte.«
Arnold nickte sehr interessiert.
»Sehen Sie, den Siegermächten war dieses Gebiet ein echter Dorn im Auge. Besonders die Franzosen waren sehr erpicht darauf, sich das Gebiet anzueignen, doch es widersprach den Vereinbarungen des Waffenstillstandsabkommens.«
»Die Menschen hatten mit Sicherheit große Sorge vor einer Invasion?«
»Absolut. Sie waren eingepfercht zwischen den Besatzungsgebieten der Amerikaner und der Franzosen. Von beiden Seiten rasselten die Säbel, wobei die Franzosen ein deutlicheres Interesse daran hatten, das Gebiet allein für sich zu beanspruchen. Einer der führenden Generäle, Jean Jules Henry Mordacq, ging sogar soweit, dass er im Falle einer Besetzung nicht einmal daran dachte, das Gebiet mit den Amerikanern zu teilen.«
»Das ist wirklich sehr interessant, was Lorch für eine bewegte Vergangenheit hat. Aber mit den Menschen von damals hätte ich lieber nicht tauschen wollen.«
Dr. Meinhaus stimmte ihm zu. »So sehr ich die Geschichte als meine Passion verehre, so wenig wäre ich erpicht darauf gewesen, zu diesen Zeiten hier zu leben.«
Es trat ein kurzes Schweigen ein. Arnold musste die Informationen einen Moment verarbeiten und Dr. Meinhaus ließ ihm diese Pause. Er war immer sehr dankbar für Menschen, die ihm zuhörten und der Vergangenheit einen gewissen Respekt zollten.
Nach einigen Sekunden ergriff Dr. Meinhaus wieder das Wort und fragte: »Konnte ich denn Ihren Wissensdurst etwas stillen oder kann ich noch weiter zu Diensten sein?«
»Ja, da wäre noch etwas. Sie erwähnten vorhin Pfarrer Pfaff.«
»Das ist richtig. Was ist mit ihm?«
»Ich habe seinen Namen in einem Tagebuch gelesen und das ist auch der Grund, warum ich heute hier bin.«
Arnold zog das Tagebuch aus seiner Umhängetasche und reichte es Dr. Meinhaus. Dieser griff zu und drehte es zunächst von einer auf die andere Seite. Dabei ließ er prüfende Blicke über den ledernen Einband gleiten. Er zog seine Lesebrille aus der Innentasche seines Sakkos und setzte sie auf die Nase. Dr. Meinhaus schlug das Buch vorsichtig auf und blätterte sich durch die ersten Seiten. Seine Augen wurden immer größer und es war ihm anzumerken, dass er wohl eine Ahnung bekam, was er hier in seinen Händen hielt. Er blickte auf zu Arnold und fragte aufgeregt: »Woher haben Sie das?«
»Ich habe es in einem geheimen Fach in meinem Weinkeller hinter einem schweren Eichenfass gefunden - zusammen hiermit.« Dabei zog Arnold den Becher aus seiner Tasche und reichte ihn Dr. Meinhaus.
Er griff vorsichtig, fast schon ehrfürchtig nach dem Becher. Schnellen Schrittes drehte sich Dr. Meinhaus um und ging zu einem Tisch, auf dem eine Lupe lag. Er legte das Tagebuch auf den Tisch, griff nach der Lupe und betrachtete den Becher durch das Vergrößerungsglas. Arnold beobachtete etwas überrascht das Treiben. Er hatte nicht erwartet, dass Dr. Meinhaus so wissbegierig auf seine Mitbringsel reagieren würde. Offensichtlich hatte er etwas ganz Besonderes in seinem Keller gefunden.
Dr. Meinhaus war ganz vertieft in die Prüfung des Bechers.
Arnold versuchte vorsichtig, wieder die Aufmerksamkeit des Kurators auf sich zu lenken.
»Herr Dr. Meinhaus …«
Dieser blickte auf.
» … können Sie damit etwas anfangen?«
Dr. Meinhaus antwortete etwas zögerlich: »Ich bin nicht ganz sicher, aber wenn es das ist, was ich denke, könnte es sich hier um eine Sensation handeln.«
Arnold, der immer noch erstaunt war, weil er nicht damit gerechnet hatte, etwas Wertvolles gefunden zu haben, fragte nach: »Um was handelt es sich hier? Und voll allem, können Sie etwas dazu sagen, was in dem Tagebuch beschrieben ist? Da wurden Menschen ermordet und der Verfasser spricht von etwas, was da vor uns liegt. Können Sie sich einen Reim darauf machen?«
Dr. Meinhaus war sichtlich aufgeregt und vertröstete Arnold mit den Worten: »Ich habe erst ein paar Zeilen aus den Seiten aufgeschnappt, ich muss das erst komplett lesen, bevor ich etwas sagen kann. Doch eines ist sicher, der Becher und das Tagebuch gehören zusammen. Wenn ich das richtig interpretiere, wollen diese beiden Gegenstände uns etwas Wichtiges sagen.«
Arnold wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. Er hätte gern eine etwas aufschlussreichere Auskunft bekommen. »Wie wollen wir denn jetzt verbleiben?«, hakte er nach.
»Geben Sie mir ein paar Tage. Ich muss Ihre Funde erst genau untersuchen. Ich melde mich in ein paar Tagen bei Ihnen. Haben Sie Geduld.«
Mit diesen Worten schob Dr. Meinhaus Arnold in Richtung Tür. Er zog die Tür auf und ließ Arnold nach draußen.
»Ich bitte Sie um Entschuldigung, dass ich unsere sehr angenehme Konversation so rasch beenden musste, doch jetzt wartet Arbeit auf mich.«
»Okay, hier haben Sie meine Telefonnummer, ich würde mich freuen, wenn Sie mich anrufen, sobald Sie mehr wissen.«
Arnold überreichte Dr. Meinhaus seine Visitenkarten. »Natürlich, ich melde mich bei Ihnen.« Dabei schloss er die Museumstür und drehte den Schlüssel im Schloss herum. Arnold blieb etwas verdutzt vor der Tür stehen und wusste nicht so recht, wie ihm geschehen war. Schließlich respektierte er den Wunsch von Dr. Meinhaus, sich jetzt erst einmal intensiv um seine Fundstücke zu kümmern, und ging nach Hause.
Auf dem Heimweg schossen ihm permanent Gedanken durch den Kopf, die sich um den Freistaat Flaschenhals drehten. Er blickte immer wieder auf den Rhein und auf der anderen Seite in die Weinberge. Dabei versuchte er, sich in die Menschen hineinzuversetzen, die in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gelebt hatten. Heutzutage, in seiner Generation, konnte man sich eine derartige Situation, wie Sie Dr. Meinhaus ihm geschildert hatte, in keiner Weise vorstellen. Er, seine Familie und Freunde waren privilegiert und in friedlichen Zeiten aufgewachsen. Seine Eltern waren in der DDR aufgewachsen, was für viele kein Zuckerschlecken gewesen war. Doch sie hatten immer Nahrung, Arbeit, ein Dach über dem Kopf und waren letztendlich glücklich. Es herrschten Friedenszeiten, nie musste jemand um sein Leben fürchten wie die Menschen zu Zeiten des Freistaates Flaschenhals.
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