Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue. Anne-Laure Daux-Combaudon

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Название Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue
Автор произведения Anne-Laure Daux-Combaudon
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823302469



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nennt:

      Gleichwie nun die Italiänisch= oder Toscanische Sprach / wann sie mit unserer Teutschen solte verglichen werden / was die Ableitung belangt / sehr dürfftig ist / also ist sie / samt ihren beyden Schwestern / der Französischen und Spanischen / die Doppelung betreffend / bettel=arm; […] (Kramer 1680: 158–159)

      Dagegen ‚besitze‘ die „Teutsche […] Helden=Sprache unerschöpfliche […] Stamm=Wörter=Schätze“ und „auch unausgründliche Herleit= und Doppelungs=Reichthümer / in dero Hervorbringung sie dann gar gelenckig und fix ist“; und die hier zum Vergleich herangezogenen romanischen Sprachen müssen laut Kramer „weit herumschweiffende Umwege suchen / wann sie unsere nachdencklichste Macht=Wörter nur einiger massen andeuten wollen / dieweil ihnen selbige auszudeuten ohne das unmöglich ist.“ Die semantische Dichte, die komplexe Wörter aufgrund ihrer Kürze ermöglichen, wird hier also direkt mit einem starken kommunikativen Wirkungseffekt verbunden und umständlichen, weitschweifigen und damit stilistisch und kommunikativ weniger wertvollen Paraphrasierungen entgegengesetzt.

      Mit der vermehrten Verwendung in der Literatursprache von Partizipialgruppen, die allgemein, mit Verweis auf das lateinische und griechische Modell, als Mittel zum kurzen, prägnanten Ausdruck angesehen werden, intensiviert sich ab den 1730er Jahren die zweite in unserem Kontext aufschlussreiche Diskussion. Es herrscht zwar Einigkeit darüber, dass das Deutsche über weniger Partizipialformen als die zeitgenössischen Referenzsprachen – also besonders Latein, Französisch – verfügt, aber es ist umstritten, welche es eigentlich gibt, welche erlaubt sind – zeitgenössisch spricht man von „zierlich“ – und welche zu vermeiden oder eventuell zu fördern sind. Während die so genannten Anti-Participianer u.a. im Gebrauch von satzeröffnenden Partizipialgruppen und Gerundien einen ‚barbarischen‘ Verstoß gegen den deutschen Sprachgeist sehen, unterstützen die Participianer die genannten Verwendungen und den weiteren Ausbau partizipialer Strukturen im deutschen Sprachsystem. Die Diskussion ist höchst kontrovers, obwohl „Kürze“ im Ausdruck nicht nur als Ideal der Rhetorik, sondern besonders auch als Gegenentwurf zur Kanzlei- und literarischen Barocksprache durchgängig positiv bewertet wird (vgl. Polenz 1994: 271–274 und Spitzl-Dupic 2018).

      Dieser Hintergrund erleichtert das Verständnis der Behandlung kurzer Formen in dem Text von Christian Friedrich Hempel (?–1757), einer 1754 veröffentlichten Grammatik von ca. 1.400 Seiten.

      2 ‚Kürze‘ und kurze Formen in Christian Friedrich Hempels Erleichterte Hoch-Teutsche Sprach-Lehre […] (1754)

      Der Autor bezieht sich explizit auf alle zeitgenössisch wichtigen Grammatiken und Lexikologen, wobei er Positionen von z.B. Schottelius (1663), Bödiker (1690), Bödiker / Wippel (1746), Gottsched (1748), Aichinger (1754) zitiert und diskutiert. Er ist jedoch oft ausführlicher und gibt mehr Beispiele an. Die in Hinblick auf kurze Formen verwendeten Termini sind Ellipsis oder Verbeis(z)ung, Weglassung, Auslassung und Contraction, wobei jedoch angemerkt werden muss, dass die Unterschiede verschwommen bleiben und Ellipsis bzw. Verbeiszung und Auslassung als Hyperonyme zu fungieren scheinen.

      Im Folgenden sollen nun in diesem Werk genannte kurze Formen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – mit ihren Funktionen, Daseinsgründen und Wirkungen untersucht werden. Diese Formen entsprechen Ausdrücken, in denen in bestimmten – modern gesprochen – phonologischen, semantischen oder morphosyntaktischen Kontexten Elemente übergangen / ausgelassen / „verbissen“ werden, und dies – auf dem Hintergrund der oben erwähnten sprachpolitischen und sprachkritischen Perspektive und der Topoi Klarheit und Bestimmtheit – manchmal zu Recht, aber meistens, laut Autor, zu Unrecht.

      Allgemein sind erlaubt Ausdrücke, in denen laut Hempel, ein Subjekt, und, de facto, meist auch das konjugierte Verb ausgelassen werden und die, laut Autor, sprachübergreifend als Standardformeln existieren, z.B.:

       (1) Guten Morgen

       (2) Ihr Diener (Hempel 1754: 1248–1249)

      Kommunikativ angemessen, laut Hempel „gebräuchlich“, sind auch Auslassungen von einem Modalverb (plus Subjekt), wenn sie Zeichen eines „starken Affects“ sind, z.B.:

       (3) Was? Ich (soll) auf den trojanischen Feldern sterben?

      Auch bestimmte grammatische Konfigurationen können aus morphosyntaktischen und ontologischen Gründen zur Annahme von Auslassungen führen. So nimmt Hempel eine elliptische Konstruktion bei substantivierten Adjektiven an, z.B.

       (4) meine Schöne (ebd.: 778)

      da ein substantiviertes Adjektiv eine nicht bezeichnete Substanz impliziert.

      Meistens jedoch kritisiert Hempel kurze Formen, und dies u.a. mit dem Hinweis auf einen Verlust von Deutlichkeit, einem, wie gesehen, zeitgenössisch zentralen Topos. Problematisch sei in diesem Sinn z.B., wenn Adjektive in „Redensarten“ ausgelassen werden:

       (5) er hat keine Erziehung, d.i. keine gute (ebd.: 736)

      Problematisch sei auch die – in der zeitgenössischen Dichtung tatsächlich häufig vorkommenden – Auslassung des konjugierten Hilfsverbs, da dadurch die Information zu Tempus und Genus des Verbs verloren gehe, z.B.:

       (6) Da ich vernommen (ebd.: 991)

      Deutlichkeit geht Hempels Erachtens auch verloren bei der „Contraction“ von Silben, z.B.:

       (7) rein – raus; rauf, runter (ebd.: 1239)

      Neben dem Verlust von Deutlichkeit, der z.B. in (5) um so weniger einsichtig ist, als Mitte des 18. Jhs. polylexikale „Redensarten“ schon in sprachtheoretischen Schriften behandelt werden, ist ein weiteres Argument gegen ‚Kürze‘ ein Verstoß gegen die „Analogie der Sprache“. Die Normvorstellung ist hier, dass die Regeln einer Sprache möglichst durchgängig gelten, sodass Ausnahmen von Regeln Ansatzpunkte für Kritik sind. Auf diesem Hintergrund fordert Hempel, die Konjunktion daß nach Verben der Wahrnehmung und des Sagens nie auszulassen, da sie nicht bei allen Verben möglich ist, z.B. nicht bei riechen, verschweigen (vgl. ebd.: 1021).

      Ebenfalls nicht dem Sprachsystem entsprechend und darüber hinaus dissonant sind laut Hempel Auslassungen von Flexionsmarkierungen

       (8) ich halt(e) […] geh(e)n, steh(e)n etc. (ebd.: 475)

      und „Contractionen“, besonders von dem Pronomen es mit Verben, Konjunktionen oder Pronomina:

       (9) ich habs, weils warm ist, wos, sos (ebd.)

      Auch die Verwendung von Partizipien wird natürlich diskutiert und grundsätzlich als Mittel der sprachlichen Kürze und „Zierlichkeit“ vorgestellt, aber Hempel warnt vor allem mit den schon oben skizzierten Argumenten vor einem nicht sprachgerechten, aber auch nicht sachgerechten Gebrauch, der auch aus der beim Volk fehlenden Unterscheidung zwischen aktivischem und passivischem Sinn entstehe (ebd.: 1052). So führt er u.a. als Missbrauch Ausdrücke an wie kraft des tragenden Amtes anstelle Kraft des Amtes, das von jemandem getragen wird, und wohlruhende Nacht, da die Nacht ja nicht ruhe (ebd.: 1053).

      Wortbildung behandelt Hempel ebenfalls ausführlich, wobei auch er das „unendliche Potential“ des Deutschen lobt, sich aber daneben kritisch gegenüber Bildungen äußert, die er als „Wort=Gespenster[…]“ bezeichnet, z.B. Stürzebecher, das als Synonym zu Trunkenbold verwendet werde, „da doch der Becher ja nicht stürzet, sondern gestürzet wird“ (ebd.: 155).

      Sowohl der Missbrauch von Partizipien als auch von Wortbildung führt seines Erachtens zu sprachlicher „Härte“, womit zusätzlich zu der gerade illustrierten mangelhaften, inkohärenten Aneinanderreihung von Begriffen auch fehlende Euphonie gemeint ist.

      Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Hempel eine große Varietät kurzer Formen im Deutschen identifiziert, für die er im Allgemeinen explizit, auf