Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue. Anne-Laure Daux-Combaudon

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Название Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue
Автор произведения Anne-Laure Daux-Combaudon
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823302469



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Koordinationen mit und, oder und sondern, solche Verwendungen also, bei denen das erste oder zweite Konjunkt oder beide fehlen („fragmentarische Koordinationen“ bzw. „nackte Konjunktoren“). Er zeigt die Systematik solcher Verwendungen, diskutiert die These, dass die Koordinatoren in solchen Verwendungen bedeutungsleere ‚Diskursmarker‘ seien und plädiert entgegen dieser These für eine Interpretation als ‚echte Koordinatoren‘, die Propositionen verknüpfen. Die pragmatischen Effekte solcher Verwendungen ergeben sich aus dem Zusammenspiel der Stellung des Sprechers als erster oder zweiter Sprecher, der Struktur der koordinativen Verknüpfung, den Eigenschaften der Konjunkte, der Bewertung der in der fragmentarischen Struktur involvierten Sachverhalte und aus der Semantik der Konjunktionen.

      Liubov Patrukhina untersucht in Gesprächen das Syntagma ja doch am Anfang eines Turns und analysiert entgegen der bisherigen kompositionellen Analyse von Métrich et al. diese Partikelkombination als „Konstruktion“ im Sinne eines „Form-Bedeutungs-Paars“. Anhand von Korpusdaten zeigt sie, dass die Konstruktion zwei phonetische Varianten hat: ja DOCH und JA (.) DOCH und dass ihre Funktion darin besteht, zu signalisieren, dass auf eine dispräferierte Frage oder Aussage eingegangen wird.

      Heike Baldauf-Quilliatre behandelt das Konstrukt [ah + Nominalphrase] in französischen Alltagsinteraktionen. Sie weist nach, dass die syntaktisch und prosodisch komplette Einheit eine eigenständige Handlung ausführt und als dichtes, knappes, verbloses oder non-sententiales Format bezeichnet werden kann. Als erster Schritt eines ersten Sprechers (First Pair Part) funktioniert [ah + Nominalphrase] als Notifikation (noticing nach Goodwin / Goodwin): Der Turn zeigt auf ein Element aus dem außersprachlichen Umfeld der Teilnehmer. Als Second Pair Part ist das Format eine affektiv gefärbte Antworthandlung auf eine Information oder eine Ankündigung, die daraufhin von den Teilnehmern gemeinsam weiterbearbeitet wird.

      Das Projekt – die Tagung und die Publikation – wurde von der Université Sorbonne Nouvelle, insbesondere dem CEREG (Centre d’Etudes et de Recherches sur l’Espace Germanophone EA 4223), und vom DAAD unterstützt, bei denen wir uns sehr bedanken. Unser Dank gilt ebenfalls allen TeilnehmerInnen an der Tagung, den AutorInnen dieses Bandes, sowie natürlich dem wissenschaftlichen Beirat der Tagung. Und ganz herzlich danken wir Irmtraud Behr, der wir dieses Buch widmen, für die langjährige konstruktive und gleichzeitig freundschaftlich-kollegiale Zusammenarbeit.

      Anne-Laure Daux-Combaudon

      Anne Larrory-Wunder

      Literatur

      Baldauf-Quilliatre, Heike, 2016. „Knappe Bewertungen im empraktischen Sprechen. Vom Nutzen und Nachteil der „Ellipse“ für die Analyse“. In: Marillier / Vargas (Hrsg.), 201–216.

      Balnat, Vincent 2013. „Kurzvokal, Kurzwort, Kurzsatz, Kurztexte: Kürze in der Sprachbeschreibung des Deutschen“. In: Zeitschrift für Literatur und Linguistik (LiLi) 43 / 170, 82–94.

      Bär, Jochen A. / Roelcke, Thorsten / Steinhauer, Anja (Hrsg.), 2007. Sprachliche Kürze. Konzeptuelle, strukturelle und pragmatische Aspekte. (= Linguistik – Impulse & Tendenzen, 27). Berlin / New York: de Gruyter.

      Behr, Irmtraud / Lefeuvre, Florence (Hrsg.), 2019. Le genre bref. Des contraintes grammaticales, lexicales et énonciatives à une exploitation ludique et esthétique. (= Sprachwissenschaft). Berlin: Frank & Timme.

      Behr, Irmtraud / Quintin, Hervé, 1996. Verblose Sätze im Deutschen. Zur syntaktischen und semantischen Einbindung verbloser Konstruktionen in Textstrukturen. (= Eurogermanistik, 4). Tübingen: Stauffenburg.

      Gardt, Andreas, 2007. „Kürze in Rhetorik und Stilistik“. In: Bär / Roelcke / Steinhauer (Hrsg.), 70–88.

      Hennig, Mathilde, 2013. Die Ellipse. Neue Perspektiven auf ein altes Phänomen. Berlin / New York: de Gruyter.

      Marillier, Jean-François / Vargas, Elodie (Hrsg.), 2016. Fragmentarische Äußerungen. (= Eurogermanistik, 32). Tübingen: Stauffenburg.

      Plewnia, Albrecht, 2003. Sätze, denen nichts fehlt. Eine dependenzgrammatische Untersuchung elliptischer Konstruktionen. (= Germanistische Linguistik Monographien, 11). Hildesheim: Olms.

      Spitzl-Dupic, Friederike (Hrsg.), 2018. Parenthetische Einschübe. (= Eurogermanistik, 34). Tübingen: Stauffenburg.

„Kurze Formen“ in der Sprachtheorie / Les « formes brèves » dans la théorie linguistique

      ‚Kürze‘ und kurze Formen in der Geschichte der deutschen Grammatikographie

      Friederike Spitzl-Dupic

      Brevitas (Kürze) ist ein Begriff, der bekanntlich aus der antiken Rhetorik stammt und seitdem in Rhetoriken, Stilistiken, aber auch Grammatiken und Poetiken regelmäßig einerseits als Analyseinstrument und andrerseits als Ideal und Maßstab für den sprachlichen Ausdruck vorkommt. Kürze gilt als Mittel der eleganten und überzeugenden Rede, wobei die meist diskutierte „kurze“ Form in der Geschichte der Sprachtheorie die Ellipse ist, deren explikative Kraft besonders in der Grammatikographie zur Erklärung von regelabweichenden Strukturen eingesetzt wird oder auch zu deren Kritik.

      In der uns hier interessierenden deutschen Grammatikographie, in der die Ellipse als Analysebegriff seit den Anfängen präsent ist (dazu Lecointre 1990), dient sie ebenfalls einerseits zur Erklärung von Ausdrücken, die als nicht regelkonform angesehen werden, andrerseits wird vor ihrem Gebrauch gewarnt, da sie zum Verlust von Deutlichkeit und Bestimmtheit in der Rede führen könne. Es handelt es sich dabei um zentrale Topoi in der Beurteilung von Sprache, Sprachen und Sprechen. Diese Topoi schreiben sich in die ab dem 17. Jh. virulente sprachkritische und sprachpolitische Diskussion ein, wo in deutschsprachigen Gebieten das Deutsche besonders mit den „Konkurrenz“- und Referenzsprachen Latein und Französisch, aber auch anderen Sprachen (s.u. unter 1.) verglichen wird. Diese Vergleiche führen sehr regelmäßig zu der Nennung von „Vorzügen“ und „Nachteilen“ der deutschen Sprache, aber auch zu Vorschlägen ihrer Verbesserung.

      Kürze ist immer ein relativer Begriff, sodass da, wo kurze Formen angenommen werden, gleichzeitig angenommen wird, dass eine längere Form möglich ist, und es dient eine längere Form auf irgendeine Weise als Modell, Gegenmodell oder Schablone. Davon ausgehend stellen sich folgende Fragen: Inwiefern sind lange oder längere und kurze oder kürzere Formen in einem identischen Kontext äquivalent oder auch nicht? Warum wird die eine oder andere Form von einem Sprecher gewählt, wie kann diese Wahl erklärt werden und wie wird sie eventuell von den Sprachtheoretikern erklärt bzw. beurteilt?

      Besonders dieser letzten Frage soll in dem Korpus nachgegangen werden, der deutschsprachige Grammatiken des 18.–19. Jhs. umfasst. Da seine umfassende Untersuchung zu dem Thema den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde, werde ich mich auf zwei Werke konzentrieren, d.i. Hempel 1754 und Götzinger 1836–1839. Diese beiden Grammatiker zeichnen sich dadurch aus, dass sie die jeweils zeitgenössische Forschung intensiv rezipieren, dass sie synthetisch vorgehen und als repräsentativ für ihre Zeit bzw. für ein bestimmtes Sprachdenken ihrer Zeit gelten können. Damit ist es trotz dieser beschränkten Textauswahl schließlich möglich, grundsätzliche Ansätze und Entwicklungstendenzen in diesem Zeitraum zu identifizieren.

      Zuvor aber möchte ich einige Bemerkungen zur Bedeutung kurzer Formen in der Geschichte des Sprachdenkens und der deutschsprachigen Grammatikographie vornehmen, um die am Anschluss untersuchten Texten besser zu situieren.

      1 Die Bedeutung kurzer bzw. kürzerer Formen im 17. und 18. Jahrhundert

      Die Bedeutung des Begriffs der sprachlichen Kürze allgemein wird besonders deutlich in zwei sprachlichen Bereichen, die im Rahmen des Korpus intensiv diskutiert werden, nämlich Wortbildung und die Verwendung von – modern gesprochen – Partizipialgruppen.

      So werden mit Blick auf das Ideal der Kürze für das Deutsche – mit einem gewissen Sprachchauvinismus – ab dem 17. Jh. immer wieder die deutschen Wortbildungsmöglichkeiten, besonders die der Komposition, zeitgenössisch „Doppelung“,