Название | Wie zerplatzte Seifenblasen ... |
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Автор произведения | Aylin Duran |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783960743477 |
„Wir waren auf derselben Schule“, fuhr er fort.
Als ich mich zu ihm herumdrehte, sah ich, dass er beim Gedanken an die Vergangenheit traurig lächelte. Er hatte die Schuhe abgestreift und die Knie an die Brust angezogen, in dieser Position sah er nicht aus wie der dreiundzwanzigjährige Kettenraucher, den ich vor wenigen Tagen in der Imbissbude kennengelernt hatte. Stattdessen war er plötzlich ein kleiner Junge. Ein Kind.
„Wir haben darüber geredet, zusammenzuziehen, später. Im Vergleich zu ihr war ich der totale Versager. Die Schule hat mich nie interessiert. Ich hatte nicht einmal ein Lieblingsfach, ich war wirklich überall nur mittelmäßig oder unterdurchschnittlich.“ Cagney strich mit seinen rauen Händen nervös über den Sofabezug. „Sie war schwanger.“
Als er schwer schluckte, erschien mir das Geräusch zu laut. „Schwanger von dir?“
„Natürlich von mir, du Vollidiot.“
Ich war vollkommen perplex. Ich hätte alles erwartet. Alles, aber bestimmt nicht das. Ich konnte mir meinen nach Rauch stinkenden Freund in den zerrissenen Jeans nicht als Vater vorstellen. Es ging nicht. „Aber …“, begann ich, ohne zu wissen, was ich eigentlich sagen wollte. Meine Stimme klang belegt und Cagney lachte bitter.
„Das wollte ich nicht, Ben. Ich wollte kein Vater sein. Ich hätte keinem Kind der Welt etwas bieten können ohne richtige Ausbildung, ohne Job. Ich hätte ihr nichts bieten können.“ Er starrte in die Ferne. Es gab keine Worte, um den Ausdruck auf seinem Gesicht zu beschreiben.
Nach einer langen Pause schaute er mich an. Wie ein geprügelter Hund sah er aus, als er sagte: „Deshalb habe ich zu ihr gesagt, sie soll es wegmachen lassen. Und dann bin ich abgehauen.“
*
Cagney
Mai
Ich grinste, weil ich drauf war. Vor lauter Grinsen taten mir schon die Mundwinkel weh. Ben saß neben mir auf dem Hosenboden, war ein alter Spießer und wollte nichts von dem Joint. „I-D-I-O-T“, buchstabierte ich. Er warf mir einen genervten Blick zu. Hätte er nur mitgekifft. Ich fühlte mich entspannt und warm, als hätte mein Gehirn alle Gedanken zerlegt – ich musste mich mit keinem davon mehr quälen.
„Du solltest das lassen, Cag“, sagte Ben nüchtern.
Ich kiffte weiter. „Bald wird das Zeug eh legalisiert, du kleiner Hosenscheißer. Dann kannst du nichts mehr dagegen sagen. Es gibt… Petitionen. Überall. Wirst schon noch sehen.“
„Denkst du nicht manchmal an das Kind?“, nervte Ben weiter.
Das Gras beschützte mich vor meinen Schuldgefühlen, ich hatte mir eine Mauer gebaut, die nicht einmal Ben zerschlagen konnte. Alles war verlangsamt durch das Gras, aber die Mauer war in meinem Kopf in rasender Geschwindigkeit in die Höhe geschossen. „Es gibt kein Kind, Ben. Es gibt kein Kind, weil wir es so ausgemacht haben. Sie und ich. Wir beide“, antwortete ich. Ich nahm einen tiefen Zug, schloss die Lippen und bemühte mich, das Ausstoßen des Rauches hinauszuzögern, um die bestmögliche Wirkung zu erzielen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Ben neben mir den Kopf schüttelte.
„Das meinte ich doch gar nicht!“, sagte er.
Langsam drehte ich den Kopf in seine Richtung. „Was meintest du dann?“ Ich hielt ihm den Joint unter die Nase, obwohl ich wusste, dass er den Geruch nicht ausstehen konnte.
Ärgerlich schob er meine Hand weg. „Fragst du dich nicht manchmal, wie es geworden wäre, das Kind? Wie es ausgesehen hätte. Denkst du nicht manchmal, es wollte existieren? Und du hast alles in den Sand gesetzt? Vielleicht wäre es der neue Bundeskanzler geworden. Oder würde Siedlungen auf dem Mars bauen.“
Das Gras machte, dass ich die Vorstellung davon unglaublich witzig fand. „So gute Gene habe ich nicht“, gab ich zurück.
Ben lachte und ich hörte auch mein eigenes, dümmliches Kichern. Mein Arsch schmerzte vom Sitzen auf den Pflastersteinen, aber aufstehen wollte ich nicht. „Weißt du, was wir tun sollten?“, fragte ich.
Ben zuckte mit den Schultern. „Nein, Cag, ich weiß nicht, was wir tun sollten.“
Ich setzte mich aufrecht hin, holte tief Luft. „Wir sparen jeden Dreckscent, den wir in dieser Bruchbude machen“, begann ich dann feierlich. „Dann kaufen wir uns ein Flugticket. Irgendwohin, es ist egal. Ein neuer Start.“ Die Gedanken nahmen in meinem Kopf schillernde Farben an. Ich sah förmlich vor mir, wie ich diese verdammte Stadt und den widerlichen Schnellimbiss verlassen und nie wieder nach verschmortem, billigem Käse stinken würde. Und Luigi würde als Abschiedsgeschenk einen Arschtritt bekommen.
„Cag, wie lange willst du denn noch vor deiner Vergangenheit fliehen?“ Ben schwang sich auf die Füße und sah von oben auf mich herunter.
Für seine Frage hasste ich ihn. „Ich fliehe nicht“, sagte ich beleidigt.
Ben rollte mit den Augen. „Natürlich tust du das. Wir alle machen es.“ Traurig sah er mich an. „Na ja, ist ja ein ganz nettes Plätzchen hier“, war er überzeugt, im Recht zu sein.
Das machte mich wütend. „Du hast doch keine Ahnung, Ben. Wahrscheinlich bist du nur zu feige, um abzuhauen“, sagte ich scharf. Dann hielt ich kurz inne und plötzlich war da ein ganz neuer Gedanke in meinem Kopf. „Oder aber es ist die Tusse.“
Ben schnellte herum. Volltreffer. „Lina?“
„Ja, genau die. Schau’ mir in die Augen und sag mir, dass du nicht nur wegen ihr hierbleiben würdest.“
Er schüttelte so wild den Kopf, dass seine dunklen Locken flogen. „Das ist lächerlich! Ich würde nicht nur wegen ihr … Wir sind nicht ... Ach, vergiss es, Cagney.“ Er begann, wegzulaufen. Angesehen hatte er mich nicht. „Deine Spinnereien kannst du alleine durchziehen.“
„Du hast mir nicht in die Augen geschaut.“
„Halt die Klappe.“
Ich hasste sie, fand es ekelerregend, dass er an sie dachte. Sie machte alles kaputt. „Hör mal zu, Ben, das geht nicht“, sagte ich laut.
Ben sah mich an, als wäre ich verrückt geworden. Er machte einen Schritt auf mich zu und klopfte mir beruhigend auf die Schultern. „Ich mag sie, Cag, das ist alles. Und du bist mir wichtiger. Wir sind ein gutes Team.“
„Ein gutes Team“, wiederholte ich und nickte langsam. „Ja, du hast recht. Das darf nicht von einem Weib zerstört werden.“
Ben nickte, sah allerdings nicht sonderlich überzeugt aus. Und da wusste ich, dass ich Lina irgendwie loswerden musste. Allein schon, um Ben davor abzuhalten, einen gewaltigen Fehler zu machen. Denn sie würde nicht hierbleiben. Sie war anders als wir. Ich wusste nicht, was Ben passiert war, aber ich spürte, dass er Scheiße gefressen hatte. Genau wie ich. Jeden Tag.
Meine Worte hatten ihn verunsichert. Das merkte ich, als Ben später sagte: „Ich bin dabei.“
„Dabei bei was?“
„Bei der Sache mit dem Flugticket.“
Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Ab jetzt würde ich nicht mehr alleine durch die Weltgeschichte trampeln. „Und, wo fahren wir hin? Frankreich? Italien? Griechenland?“ Zwar antwortete er nicht auf diese Frage, aber er füllte die abkühlende Abendluft mit einem ohrenbetäubend lauten, aufgeregten, jungenhaften Schrei. Dieser Schrei war der Beweis dafür, dass ich gewonnen hatte.
Obwohl die Imbissbude längst geschlossen hatte, gingen wir automatisch den Weg zu unserem Arbeitsplatz und zündeten uns auf dem Hinterhof eine an. An diesem Abend konnte man die Sterne sehen. Ich hatte in dieser Stadt noch nie die Sterne gesehen, jetzt konnte ich den Kopf in den Nacken legen und sah sie klar und deutlich über mir.