Название | Devolution |
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Автор произведения | Ralph Denzel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941717190 |
Und Mick.
So wie Noah Mick kannte, würde er entweder mit einer gestohlenen Yacht vom Yachthafen aufkreuzen oder mit einem gestohlenen Edelwagen. Er war eigentlich mal Polizist gewesen, hatte jedoch ziemlich schnell den Dienst quittiert und alles getan, wozu er Lust gehabt hatte, als die Erde ein Verfallsdatum bekommen hatte. Dann hatte er begonnen Häuser anzuzünden, Orgien zu feiern, Drogenexzesse mitzumachen, Sportwägen zu klauen und mit Freunden, unter anderem Noah, auf den leergefegten Straßen Rennen zu veranstalten.
Er und Noah waren sich sehr ähnlich gewesen in ihrem destruktiven Verhalten, wenn auch Mick etwas exzessiver gewesen war. Noah hätte sich nicht gewundert, wenn Mick es nicht schaffen würde, weil er eine Überdosis Drogen aus dem Bauchnabel einer wildfremden Frau geschnieft, gespritzt oder geschluckt hätte. Ein Tod, wie er ihn sich immer gewünscht hatte – zumindest, seit die Welt unterging.
Aber sicher war, dass Chris und Tom da sein würden.
Er blickte auf die Uhr.
Nach knapp sechseinhalb Stunden – dann würde es Adios amigos heißen, dachte Noah bitter.
Er setzte seinen Weg fort. Es dauerte etwas, bis die Kraft wieder in seine Beine zurückgekehrt war und er nicht mehr wie ein Betrunkener torkelte. Trotzdem bewegte er sich nur sehr langsam fort und fühlte sich dabei wie hundert.
Mittlerweile konnte er den See sehen und noch deutlicher riechen. Die leichte Brise, die davor die Leichen der drei Kinder wie ein Pendel hatte schwingen lassen, trieb nun den sanften, einschmeichelnden Seeduft in seine Nase. Gierig sog er den Geruch ein. Seit er hier gelebt hatte, hatte dieser Duft eine beruhigende Wirkung auf seine Nerven gehabt und so war es auch heute wieder. Besser als jede Zigarette streichelte der Duft von algendurchsetztem Wasser seine Nerven und glättete die Sorgen.
Fast schon andächtig schritt er weiter und sog die Luft ein.
Er war auf nun auf der Höhe des Kasinos Konstanz, oder was davon noch stand. Durch zwei alte, große Bäume konnte er die Altstadt sehen. Das Lago, den Hafen, Teile der Schweiz – alles wirkte so grausam normal.
Das Kasino hatte in den letzten Monaten Rekordumsätze erzielt. Die Menschen hatten all ihre Habe verzockt – warum auch nicht? Manche, weil sie keinen Sinn mehr darin gesehen hatten, noch Geld auf die Seite zu legen, andere, weil sie einem Gerücht aufgesessen waren. Anscheinend solle es Bunkerplätze geben, in denen man sicher sei, gebaut von einer mysteriösen russischen Privatperson, die ihr gesamtes Vermögen dafür ausgegeben hätte und nun Plätze verkaufen würde. Ob das stimmte oder nicht, es war ein letztes verzweifeltes Greifen nach einem Strohhalm, der nicht da war.
Viele hatten versucht, sich im Kasino das Geld dafür zu erspielen – wenn sie verloren hatten, waren sie meistens direkt zum Seestadion gelaufen und hatten sich umbringen lassen.
Die, die das getan hatten, hatten auf ihrem letzten Gang in ihrem Leben noch einmal das herrliche Panorama des Sees genießen können. Vorbei am Yachtclub, an den Pflegeheimen mit ihren gepflegten Grünanlangen und der Schmiederklinik, bis sie irgendwann am Seestadion angekommen waren. Dort hatten sie dann ihre tödliche Injektion empfangen können.
Und es war vorbei gewesen.
Links neben ihm befand sich ein Luxushotel. Früher waren dort die Besserverdienenden abgestiegen. Im Sommer waren die Parkplätze überfüllt gewesen von Mercedes, Audis und anderen teuren Autos. Heute war der Parkplatz leer und auch das Hotel hatte wenig von seinem alten Glanz behalten.
Kaum war die Nachricht vom nahen Untergang publik geworden, hatten die Leute angefangen das Hotel zu plündern und alles geraubt, was man irgendwie hätte brauchen können. Luxusartikel, die keinen Sinn mehr gehabt, aber vielleicht dem Besitzer ein paar schöne Stunden beschert hatten.
Überhaupt war es interessant gewesen, wie krass die Gegensätze am Anfang gewesen waren. Es hatte gedauert, bis die öffentliche Ordnung zusammenbrach und Anarchie herrschte. Es waren eigentlich nur kleine Blitze von anarchischem Verhalten gewesen, wie eben z.B. die Plünderung des Hotels oder die Zerstörung eines Einkaufscenters. Im Großen war die Ordnung erst später zusammengebrochen.
Es hatte gedauert, bis auch das Kasino geplündert worden war. Noah war damals dabeigewesen, hatte an einer Orgie auf der Terrasse teilgenommen und die teuren Getränke geplündert. Im Keller hatte er noch gut gekühlten Champagner gefunden. Eine Flasche hatte mehrere hundert Euro gekostet, wenn er sie in den guten alten Zeiten ehrlich gekauft hätte. Er hatte sie zur Hälfte ausgetrunken und dann damit eine Scheibe eingeschlagen, die klirrend unter dem dicken Flaschenboden explodiert war.
Warum er das getan hatte, konnte er heute nicht sagen. Vielleicht war es der Reiz des Verbotenen und Neuen gewesen.
Jetzt war es nur noch eine abgebrannte Ruine. Irgendjemand hatte es vor einem Monat angezündet. Die Trümmer hatten bis letzte Woche sogar noch geraucht, denn es war keine Feuerwehr dagewesen, um es zu löschen. Dass die Flammen nicht auf ein anderes Gebäude übergegriffen hatten, hatte nur daran gelegen, dass das Kasino relativ separat von den meisten anderen Häusern gelegen hatte.
Ein schwarzes, verkohltes Skelett, das seine knochigen Glieder flehentlich in den Himmel reckte – mehr war nicht mehr übrig von dem einstigen Prachtbau am Bodensee.
Der Gestank von verbranntem Holz, ein leicht beißender Geruch, verdrängte den Duft des Sees, als er auf der Höhe der Kasinoruinen war. Wahrscheinlich lag das daran, dass der Wind gerade gedreht hatte.
Noah wandte seinen Blick von den Ruinen ab und blickte nach vorne. Es hingen nicht unbedingt die besten Erinnerungen mit diesem Ort zusammen.
Dort saßen sie.
Zwei der drei wichtigsten Menschen in seinem Leben.
Wie er erwartet hatte, waren bisher nur Tom und Chris da. Mick fehlte bisher.
Er beschleunigte seinen Schritt, so sehr es seine schlappen Beine eben zuließen. Er stolperte etwas, aber fing sich im rechten Moment wieder. Seine Freunde blickten ihn zuerst verwundert an, dann grinsten sie nur höhnisch – zumindest Tom.
Chris blickte nach links, in Richtung der Alpen, die sich grau und monströs vor dem blauen Himmel abzeichneten.
Dort, irgendwo im Gebirge, würde der Asteroid runterkommen. Beim Aufprall würde er eine unvorstellbare Energie freisetzen, die alles Leben in einem Umkreis von – wie groß war der Umkreis gewesen? Noah wusste es nicht mehr. Ganz Europa? Halb Europa? Ganz Europa und Asien? Verdammt, er konnte sich einfach nicht daran erinnern.
Vielleicht war es auch besser.
Seelig die Unwissenden.
Was er wusste war, dass beim Aufprall Milliarden von Tonnen brennendem Gestein in die Atmosphäre geschleudert werden würden, die dann irgendwann auch wieder runterkommen müsste und alles erschlagen würden, was in der Nähe war – Nähe bedeutete hierbei jedoch auch Amerika und Australien, denn die Steine konnten um den gesamten Erdballen fliegen.
Wahrscheinlich würde die Druckwelle des Himmelsgeschosses ihn und seine Freunde sofort töten. Sie würden verglühen, zu Asche zermalmt werden, oder Schlimmeres.
Er wollte es nicht wissen, wenn er ehrlich zu sich selbst war.
Zum ersten Mal seit Monaten klammerte er sich an sein Leben wie ein Ertrinkender an seinen Rettungsring. Er wollte nicht sterben und die Vorstellung, dass in wenigen Stunden alles vorbei sein sollte, trieb ihm die Tränen in die Augen.
Er beneidete Tom um seinen Glauben und wünschte sich, er hätte auch so etwas, an das er sich festklammern konnte. Sein Freund wirkte ruhig und gefasst, während er nun auch in dieselbe Richtung starrte wie Chris.
Reiß dich zusammen, mahnte er sich selbst. Genieße die letzten Stunden deines Lebens. Mehr kannst du eh nicht tun.
Das war natürlich eine Lüge.
Es gab Erhängen, Erschießen, Ertränken, die Pulsadern aufschneiden,