Schneesturm - Norwegen-Krimi. Widar Aspeli

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Название Schneesturm - Norwegen-Krimi
Автор произведения Widar Aspeli
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726445053



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und morgen mit den Brettern über die Hochebene.

      Wenn das nur nicht auf Kosten des Spiels geht! Die anderen müssen sich ein bisschen zusammenreißen, denkt Jørn jetzt und spürt, wie die Kälte langsam durch seinen Hosenboden dringt. Noch eine Runde in der Funbox, beschließt er, und dann werde ich eine kleine Serie in der Pipe hinlegen.

      Da bremst ein Brett neben ihm und spritzt ihm Schnee in den Nacken. Er schaut auf.

      »Das ist ja der Specht!«

      Jørn spürt, wie ihm das Blut ins Gesicht steigt. Was um alles in der Welt macht denn Harald »die Hacke« Andersen hier in Beitostølen?

      *

      Audun guckt zu Nummer 16 hoch. Die Hütten liegen wie einförmige Klötze an den parallel angelegten Wegen. Er schaut auf die Uhr. Es ist schon fünf Minuten später als verabredet. Wie lange soll er noch auf den Schneider warten? Andererseits findet er es ganz in Ordnung, hier in der Sonne zu sitzen. Jedenfalls besser als noch mehr Runden auf dem Brett. Eigentlich hängt ihm dieses ganze Osterarrangement zum Hals heraus.

      Das Üben auch. Er hat keine Lust, immer wieder die gleichen Bassgriffe zu wiederholen. Jørn ist sowieso nie zufrieden. Das werde ich jetzt ändern, denkt er. Bald wird es swingen wie noch nie zuvor. Die Telefonnummer kannte Audun schon lange, bevor ihnen der Flyer heute Vormittag in die Tasche gestopft wurde. Aber nach der nervigen Probe gestern Abend hatte er sich entschieden und den anderen heute Morgen beim Frühstück den Vorschlag gemacht:

      »Ich weiß, was wir brauchen.«

      »Und was?«

      »Meine Güte. Express klingt doch wie ein hinterwäldlerisches Alte-Herren-Orchester. Ich kenne eine Wunderkur gegen schlaffes Dahindudeln. Die Inspirationsspritze überhaupt! Etwas zusätzlichen Pepp. Spezialgemischtes Hausgebräu.«

      Sie hatten ihn ins Kreuzverhör genommen, aber Audun hatte sich geweigert, etwas zu verraten.

      »Probiert es erst mal. Dann seid ihr schlauer.«

      Jedenfalls haben wir unseren Frust ein bisschen beiseite schieben können, denkt Audun und wirft noch einmal einen irritierten Blick auf die Uhr. Sogar Jørn hatte schließlich zugeben müssen, dass sie mit ihrer Musik auf der Stelle treten.

      »Vielleicht sollten wir einfach aufhören«, hatte Trude endlich vorgeschlagen.

      »Aber wir brauchen die Proben«, hatte Jørn widersprochen, sichtlich genervt.

      »Schließlich fahren wir doch sowieso nach Trondheim. Muss denn alles hundert Prozent sein?«

      Jørn hatte nur die Augen verdreht und einen längeren Vortrag über die Möglichkeiten gehalten, die sich ihnen bieten würden, wenn sie eine gute Figur beim Wettbewerb machen würden. Trude hatte abgewunken.

      »Ist ja richtig. Aber es hat doch keinen Sinn, Express um jeden Preis zu puschen. Wir müssen das zum Fetzen bringen, was wir sowieso spielen. Und außerdem war doch auch geplant, dass wir uns hier vergnügen, oder?« Das hatte das Fass zum Überlaufen gebracht und Jørn hatte nachgeben müssen: »In Ordnung. Aber drei gegen einen, das ist feige.« Es war ein Versuch, den Streit locker wegzustecken, doch Jørn hatte nicht verbergen können, dass ihm die Situation nicht gefiel.

      Vielleicht bringt das Hausgebräu ja die Steigerung, denkt Audun jetzt und schaut sich um. Er begreift nicht, wieso der Schneider in einer der Mietshütten dealen will, aber das ist ja nun nicht seine Sache. Er ahnt sowieso nicht, wer das eigentlich ist. Hat nur übers Telefon mit ihm gesprochen. Und das Wichtigste ist schließlich, dass er von dem Gebräu was kriegt. Das wird Express schon ordentlich auf die Beine bringen. Damit kriegen wir in null Komma nichts einen neuen Song hin, denkt er.

      Das Gebräu gibt unglaublich Energie. Er hat die Mischung schon mal auf einer Fete probiert. Ist damals wie eine Lichtwelle durch den Abend geflogen. Und er fand in sich Kräfte und Gedanken, von denen er gar nicht ahnte, dass er sie besaß. Heute Abend will er einen Happydrink mixen. Und alles zum Swingen bringen. Mal sehen, was dann passiert!

      Audun sieht nochmal auf den Zettel. Da gibt’s keinen Zweifel:

      Es ist niemand zu sehen. Sicher sind alle draußen und amüsieren sich. Ob er einfach reingehen soll? Audun geht zur Treppe, trampelt sich den Schnee von den Stiefeln und klopft an. Niemand antwortet. Er überprüft noch einmal, ob es auch die richtige Hütte ist. Klopft ein zweites Mal an, wartet, aber niemand öffnet.

      Hinter der Hütte hört er einen Schneescooter starten und wegfahren, ansonsten ist es ganz still. Und menschenleer. Nicht einmal ein kläffender Hund. Er hat keine Lust noch länger zu warten, die Abmachung war ja wohl klar. Audun legt seine Hand auf die Türklinke. Drückt. Die Tür ist offen.

      »Hallo?«

      In der Hütte ist es brütend heiß, aber niemand antwortet.

      »Ist jemand hier?«

      Er muss über sich selbst lachen. Natürlich ist keiner da.

      Sonst hätte ja wohl jemand geantwortet.

      Der Schneider hat sich bestimmt nur verspätet. Er muss sicher eine Menge Fäden in der Hand behalten. Audun zögert kurz, dann geht er hinein. Er schnappt nach Atem. Die Luft ist schwer und abgestanden, völlig überheizt. Hier hatte es aber jemand eilig, denkt er. Kleider und Wolldecken liegen überall auf dem Boden herum. Zeitungen und leere Flaschen dazwischen verstreut. Zerknüllte Papiere leuchten noch im Kamin. Auf dem Ausziehtisch steht ein offener Laptop, dessen Bildschirmschoner verkündet, dass alle ihre »Hände weg« lassen sollen. Alte Zeitungsausschnitte liegen wie zerrissene Puzzleteile auf dem Tisch. Eine Kamera und mehrere Objektive liegen auf der Küchenanrichte.

      Da entdeckt er die nassen Flecken auf dem Boden. Und die weißen Teilchen. Schnee, der noch nicht geschmolzen ist. Es kann noch nicht lange her sein, dass jemand hier war. Direkt vor der Hintertür liegt ein roter Skihandschuh. Aber die Hütte ist leer. Einen Moment werde ich noch warten, denkt Audun und lässt sich auf einen Sessel fallen.

      Der Schneider kocht. Der Schweiß läuft ihm den Rücken hinunter, als er den Thundercat die Hügel hoch fährt. Er schlängelt sich zwischen den Hütten durch und fährt auf die Westseite des Beito, biegt dann schräg auf den Hauptweg ein und fährt weiter hoch, auf Gardli zu. Dann gibt er Gas Richtung Osten. Er weiß gar nicht so recht, wo er eigentlich hin will, nur, dass er ins Gebirge auf der Ostseite der Straße fahren muss.

      Sein Sichtschutz beschlägt, aber er traut sich nicht ihn hochzuschieben. Es könnte ihm ja jemand entgegenkommen und er will nicht, dass der sich dann Gedanken macht, warum er hier draußen herumfährt. Jetzt darf es nicht an einem Zufall scheitern.

      Die Kettenbänder fressen sich gierig die Hügel hinauf. Die Katze hat keine Probleme damit, den Schlitten hinter sich her zu schleppen. Er gibt noch mehr Gas. Die neunhundert Kubik donnern und scheinen die Steigung förmlich zu genießen. Der Scooter ist einfach wahnsinnig stark. Sein wassergekühlter Dreizylindermotor schnurrt wirklich wie eine Katze und Thundercat ist superschnell. Oben auf der Valdresflya hat er es schon auf 170 Stundenkilometer gebracht. Und gleichzeitig ist der Thundercat wie maßgeschneidert für unwegsames Gelände. Die Gasstoßdämpfer lassen Unebenheiten kaum spüren. Aber natürlich nur, wenn man fahren kann. Und der Schneider ist ein Meister auf dem Scooter. Vielleicht war es das, was der Schneescooterclub nicht vertragen konnte?

      Oben auf der Ebene vor Gardli zieht der Schneider die Geschwindigkeit hoch. Er sieht auf dem Tachometer, dass er fast bei 75 km/h liegt. Jetzt ist das Schlimmste geschafft. Es geht nur noch darum, einen geeigneten Platz zu finden, um seine Last loszuwerden.

      Urplötzlich holen ihn seine Gedanken wieder ein. Er spürt, wie sich ihm der Magen umdreht, wie die Übelkeit in ihm rumort. Aber es gibt keinen anderen Ausweg. Er muss doch die Spuren verwischen. Oder wäre es etwa besser gewesen, sie da liegen zu lassen? Nein, geschehen ist geschehen. Und die Sache muss jetzt zu Ende geführt werden. Der Schneider fährt die letzte Steigung hoch und geht vom Gas. Jetzt muss er sich entscheiden. Er hält an und holt die Karte heraus, stellt fest, dass er noch ein paar Kilometer weiter fahren muss, um wirklich auf der sicheren Seite zu sein. Er muss die am häufigsten