Mein Bruder, Muhammad Ali. Rahaman Ali

Читать онлайн.
Название Mein Bruder, Muhammad Ali
Автор произведения Rahaman Ali
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783903183827



Скачать книгу

bedeutete auch den Abschied von Joe Martin, der, wie ich hier noch einmal festhalten will, Muhammad immer gut führte und trainierte und zu dem wir in jener Zeit ein exzellentes Verhältnis aufgebaut hatten.

      Muhammads erster Profikampf fand am 29. Oktober 1960 gegen Tunney Hunsaker in der Louisville Freedom Hall statt. Nach dem Kampf, der über sechs Runden ging und den mein Bruder nach Punkten gewann, beschloss Muhammads Management, die Dienste des weithin respektierten Boxtrainers Angelo Dundee in Anspruch zu nehmen. Das bedeutete, dass Muhammad nach Miami Beach ziehen musste, wo Angelo das berühmte 5th Street Gym betrieb.

      Mein Bruder hatte Angelo bereits zuvor in unserer Heimatstadt getroffen. Das war im Jahr 1958 gewesen, als Angelo den Halbschwergewichtschampion Willie Pastrano, der für einen Kampf gegen George Holman nach Louisville gekommen war, trainierte. Muhammad verfolgte das Geschehen im Boxsport schon damals sehr aufmerksam und verpasste niemals eine Gelegenheit, einen Boxer oder Trainer, den er respektierte, zu treffen, wenn er die Möglichkeit dazu hatte. Also rief er Angelo nach dem Kampf aus der Hotellobby auf dessen Zimmer an und fragte ihn, ob er ihn und seinen Boxer für fünf Minuten sehen könnte. Nach einer längeren Pause willigte Angelo ein, und so gingen Muhammad und ich auf sein Zimmer, um ihn und seinen niedergeschlagenen Kämpfer zu treffen. Na ja, Muhammad bahnte sich quasi den Weg in das Zimmer und bellte Angelo an, er solle ihn doch als Boxer nehmen. Dundee und sein Boxer sahen gerade fern, tranken Orangensaft und aßen Kartoffelchips, als wir hereinplatzten.

      Pastrano, der im Unterleibchen auf dem Bett lag und sich gerade mit einer Schüssel Eiscreme tröstete, ignorierte meinen Bruder anfangs. Er dachte, Muhammad wäre wieder einer dieser enthusiastischen Teenager mit einer großen Klappe. Mein Bruder, der sich nie scheute, seine Meinung kundzutun, begann sofort damit, vor Angelo zu prahlen, dass er der nächste Weltmeister im Halbschwergewicht sein würde. Einerseits war Angelo von dieser Angeberei erstaunt, denn dieses Verhalten war damals nicht üblich bei Sportlern. Andererseits war er aber auch der Typ, der diese Art von Selbstbewusstsein als etwas Positives bei einem Boxer sah – eine wichtige Eigenschaft in einem so harten Sport. So wurde aus den fünf Minuten eine dreieinhalbstündige Unterhaltung, bei der Muhammad den Coach und Pastrano mit Fragen löcherte. Muhammad war sehr neugierig, und Angelo konnte seine Begeisterung deutlich sehen, und ich denke auch, dass er damals bereits feststellte, dass dieser junge Mann vor ihm etwas Besonderes war.

      Das war zwei Jahre, bevor mein Bruder Olympiasieger wurde. Nachdem mein Bruder Olympiagold geholt hatte, traf er in Louisville zufällig erneut auf Angelo. Diesmal war Angelo empfänglicher für sein Anliegen und meinte zu Muhammad, dass er zu ihm nach Miami trainieren kommen solle. Auch wenn dieses Angebot damals sehr verlockend war, lehnte Muhammad es ab. Warum? Ich weiß es nicht. Als jedoch dann die Louisville Group Coach Dundee anheuerte, um ihre neue goldene Gans zu trainieren, war es das Beste, was Muhammad widerfahren konnte, und der Beginn einer neuen Ära.

      Bevor Muhammad wechselte, hatte er mit Jersey Joe Walcott trainiert, der ihn immer den Boden aufwaschen ließ. Muhammad gefiel es dort überhaupt nicht. Er hasste es. Er hatte sich bereits öfters bei Jersey Joe beschwert, doch immer ohne Ergebnis. Immer wieder sagte er ihm, er wäre nicht als Putzfrau hier, sondern um zu trainieren. Seine Beschwerden stießen jedoch auf taube Ohren, und als mein Bruder mit Angelo sprach, wollte er nur mehr so schnell wie möglich weg von hier. Angelo hatte den Anruf irgendwie erwartet und freute sich darüber, und Muhammad, ganz verzweifelt, sagte zu ihm: „Ich will morgen zum Training kommen.“

      „Wo bist du?“, fragte Angelo.

      „Ich bin in Louisville.“

      Angelo fragte: „Wie willst du dann hierherkommen?“

      „Ich komme mit dem Auto,“ antwortete mein Bruder.

      Also fuhr er den ganzen Weg nach Miami, eine Fahrt von 15 Stunden, doch in Muhammads Augen war es das allemal wert.

      Am nächsten Tag, es war ein Sonntagmorgen, machte sich Muhammad auf den Weg ins berühmte 5th Street Gym. Angelos kleiner Sohn Jimmy kam sonntags mit seinem Vater immer mit ins Studio. Als die Dundees um 10 Uhr vormittags ankamen, sahen sie Muhammad geduldig auf den Stiegen sitzen und warten. Jimmy war von meinem Bruder sofort beeindruckt.

      Zusammen gingen sie dann die Treppe hoch ins Boxstudio, wo Angelo meinem Bruder die bescheidene Trainingshalle zeigte. Muhammad überraschte Angelo damit, als er meinte, dass er gerne ein Sparring haben würde und einen Kampf am Dienstag – zwei Tage nach der Marathonfahrt. Angelos Bruder Chris, der ein Promoter war, sollte den Kampf ansetzen. Muhammad wollte natürlich unbedingt die verlorene Zeit aufholen. Also ließ Angelo ihn mit Willie Pastrano und einer Handvoll anderer Schwergewichte sparren.

      Es war eine Sparring-Session, an die sich alle erinnern sollten, und eine weitere Demonstration der frühen Genialität meines Bruders. Um ehrlich zu sein, versohlte mein Bruder Willie und Angelos anderen jungen Schwergewichten ordentlich den Hintern. Er war einfach genial im Ring. Beeindruckt von Muhammads ausgezeichneter Vorstellung, drehte sich der Coach zu seinem Starschüler Willie – der ja immerhin Weltmeister im Halbschwergewicht war – und sagte zu ihm: „Du hattest einen schlechten Tag. Du gehst besser nach Hause. Du bist müde.“

      Muhammad wollte dem Coach einfach unbedingt zeigen, was er zu bieten hatte. Normalerweise schonte er seine Trainingspartner, doch diesmal war er vollgepumpt mit Adrenalin und wollte sein Können zeigen. Er nahm daher keine Rücksicht auf seine Sparringspartner und nahm sie ziemlich her.

      Sein neuer Coach hatte schnell erkannt, was hier abgelaufen war, und nannte meinen Bruder „the best kid“, also den besten Jungen. Das war aber nicht das Ende des ersten Aufenthalts meines Bruders in Miami. Nach dem ersten Training trafen sich Muhammad sowie Angelo und Jimmy mit Freunden zum Mittagessen in einem Lokal am Ende der Straße. Angelo war ganz begierig darauf, seinen Freunden seinen neuen Olympiahelden vorzustellen. Als die drei das Lokal betraten, starrte der Mann hinter der Theke Muhammad finster an und sagte: „Wir haben hier keine Neger.“

      Danach folgten dann noch viel schlimmer Beleidigungen, die meinem Bruder überhaupt nicht gefielen. Es war, als hätte ein Außerirdischer das Lokal betreten. Man hätte es Muhammad nicht verübeln können, wenn er diesem Mann Manieren beigebracht hätte, doch in diesem Moment griff Angelo ein.

      „Wir wollen ja auch keine haben“, sagte er und blickte dem Mann dabei in die Augen. „Wir wollen Hamburger. Wir setzen uns jetzt hier hin und essen in Ruhe zu Mittag.“

      Damit war der Punkt erreicht, an dem auch der Kellner nicht mehr viel dagegen tun konnte. Es war in seinem eigenen Interesse, ein Auge zuzudrücken und den Mund zu halten. Nach dieser unerfreulichen Begegnung setzten sich alle und aßen, und Muhammads Coach stellte ihn mehreren seiner Freunde vor.

      Aufgrund der Rassentrennungsgesetze war es nicht einfach, eine Unterkunft für Muhammad zu besorgen. Bevor sein neuer Coach ein Quartier für ihn fand, wohnte Muhammad erst im Mary Elizabeth und dann im Sir John Hotel in Overtown, einem ausschließlich Weißen vorbehaltenen Stadtteil. Angelo machte sich um das Wohlergehen meines Bruders Sorgen, und das hatte auch seinen Grund. Allein die Anwesenheit eines Farbigen in einer solchen Gegend reichte aus, um ungewollte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und mein Bruder gehörte nicht gerade zu den Menschen, die sich unauffällig verhielten.

      Schließlich fand Angelo eine Unterkunft für ihn in der 7th Avenue und 118th Street, die gleich um die Ecke von Angelos Wohnung war. Ein graues, ebenerdiges Haus mit einem kleinen Garten nach vorn und hinten raus. Nicht gerade eines Olympiasiegers würdig. Aber selbst dann endeten die Probleme aufgrund seiner Hautfarbe nicht. Wenn Muhammad als Teil seines Trainingsprogramms zum Studio lief, wurde er immer wieder von der Polizei aufgehalten. Angelo erhielt fast täglich Anrufe von der Polizei, die alle sehr ähnlich klangen. Sie glaubten meinem Bruder nicht, dass er im berühmten 5th Street Gym trainierte, und bestanden darauf, seine Geschichte zu überprüfen.

      „Angelo, boxt der junge Mann für dich?“, fragte der Polizist am anderen Ende der Leitung.

      „Ja, das ist einer von meinen Jungs“, antwortete dann Angelo manchmal schon verärgert. „Lasst ihn bitte zum Training gehen.“

      Miami war nicht gerade besser als andere Orte in den Vereinigten Staaten, wenn es um Vorurteile ging, doch Gott sei Dank