Mein Bruder, Muhammad Ali. Rahaman Ali

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Название Mein Bruder, Muhammad Ali
Автор произведения Rahaman Ali
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783903183827



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auseinanderfiel. Vater versuchte, sie zu reparieren, doch es gab immer wieder andere Dinge, die wichtiger waren und wofür das Geld herhalten musste.

      Auch die meiste Kleidung, die Muhammad und ich als Kinder trugen, kam von der Wohlfahrt oder wurde uns geschenkt. Wir trugen Leibchen und Schuhe aus zweiter Hand, die nicht mehr als einen Dollar kosteten. So gesehen würde ich Muhammads und meine Kindheit sicherlich nicht als ein Aufwachsen in der Mittelschicht bezeichnen. Obwohl unser Vater ein nicht ganz unbekannter Maler war und unsere Mutter als Putzfrau für einige weiße Familien arbeitete, war es trotz aller unserer Bemühungen nicht leicht, mit dem Geld auszukommen. Aber immerhin konnten uns unsere Eltern ernähren. Und auch wenn mein Bruder und ich kaum Geld hatten, nicht mit Geschenken überhäuft wurden und selten das bekamen, was wir wollten, so reichte es meist aus, dass wir einander hatten, um glücklich zu sein.

      So teilten sich Muhammad und ich zum Beispiel ein Zimmer von fünf mal sechs Metern – wobei unsere Betten nebeneinanderstanden. Einige Kinder hätte das vielleicht gestört, doch wir wuchsen dadurch als Brüder noch enger zusammen. Wir unterhielten uns bis spät in die Nacht, bis wir einschliefen. Er erzählte mir, dass er von großen Dingen träumte und es einmal zu etwas bringen würde, und er erzählte mir, dass er reich und berühmt werden würde. Ich erinnere mich, dass er zu mir sagte, er würde Mutter und Vater ein großes neues Haus kaufen sowie einen nagelneuen Cadillac, und er selbst würde eine Viertelmillion Dollar auf dem Konto haben. Genauer gesagt, meinte er, dass diese Viertelmillion – es war immer diese Zahl – auf einem Sparbuch liegen würde, damit sich die Familie keine Sorgen machen müsse, wenn sie einmal in Not geraten würde. Viele Leute dachten, die Ambitionen meines Bruders seien nur Träumereien, doch ich war überzeugt, dass Muhammed der Auserwählte war. Ich wusste schon immer, dass er es zu etwas ganz Großem bringen würde.

      Während Muhammad also über den Reichtum, den er einmal besitzen würde, tagträumte, verlor er nie seinen Sinn für Humor. Dieser Humor, für den er in seinem späteren Leben so bekannt war, zeigte sich schon in seiner Kindheit. Überhaupt machte es ihm viel Spaß, Leuten Streiche zu spielen – meist in unendlichen Varianten, die er sich für jeden einfallen ließ, von dem er glaubte, dass er darauf hereinfallen würde, aber ganz speziell für mich. Eines Tages kam ihm die grandiose Idee, mich dazu zu bringen, wie am Spieß zu schreien. Er band eine lange Schnur um die Vorhänge in unserem Zimmer. Um meine Aufmerksamkeit zu erregen, zog er an der Schnur, während er gemütlich auf seinem Bett lag.

      „Hey, Rudy“, sagte er, „in unserem Haus spukt ein Geist!“

      Das Nächste, was unsere Eltern mitbekamen, war, dass ich sie schreiend aufweckte, um ihnen zu sagen, dass es bei uns spukte. Vater sprang auf und rannte in unser Zimmer, um nachzusehen, was los war, und durchschaute den Trick sofort.

      „Cassius Junior, willst du wohl sofort damit aufhören, solche Scherze mit deinem kleinen Bruder Rudolph zu treiben!“, erinnere ich mich, ihn sagen hören.

      Dabei war er noch ganz verschlafen, und er verwendete den vollen Namen meines Bruders, um zu zeigen, wie ernst es ihm war – nicht, dass dies Muhammad jemals abgeschreckt hätte, weiterzumachen.

      „Ich habe dich richtig gut drangekriegt, Rudy“, wiederholte er immer wieder und bog sich dabei vor Lachen. Das hätte sein Slogan sein können.

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      Muhammad bewunderte alles an unserer Nachbarschaft. Unsere Nachbarn waren insgesamt recht nett, und die allgemeine Stimmung war die einer engen Gemeinschaft. Doch das, was ihm am meisten gefiel, war, dass ihm die Umgebung unendlich viele Gelegenheiten bot, zusammen mit gleichgesinnten Kindern Unfug und Chaos zu stiften. Wie ich bereits erwähnt habe, war mein Bruder einer der Rädelsführer unter den Kindern in unserem Viertel, hochgekommen aufgrund der natürlichen Hierarchie, die sich immer einstellt, wenn genügend Kinder zusammenkommen. Ich war dabei sein permanenter Kumpan, doch ich überließ es immer ihm, zu führen, während ich mich im Hintergrund hielt, vor unserem Haus auf der Veranda saß oder in dem kleinen Restaurant um die Ecke. Es gab auch eine andere Ecke, abseits der wachsamen Augen unserer Eltern, wo wir spielten und würfelten.

      Klar hatten wir auch Spielzeug, wenn unsere Eltern es sich leisten konnten, und spielten damit, aber wie andere Kinder bastelten wir uns auch eigenes. So banden wir eine Schnur um das Ende eines Besens, nahmen den Stiel zwischen die Beine, und schon hatten wir ein Pferd und rannten unter lautem Gejohle die Straße auf und ab, als gäbe es keine anderen Sorgen auf dieser Welt. Und wie alle Jungs spielten wir natürlich auch Cowboy und Indianer mit den anderen Kindern. Muhammad, der wie immer alles bestimmte, bestand darauf, der Cowboy zu sein, und sagte, dass ich den Indianer spielen musste. Damals wurden die Cowboys in den Westernfilmen immer als die Guten porträtiert, und die Indianer waren die Bösen. Mein Bruder wollte immer der Gute sein, denn die Guten gewannen immer.

      Natürlich war das alles nur Spiel und Spaß, aber bereits in jungen Jahren begannen mein Bruder und ich, miteinander zu konkurrieren. Da wir beinahe gleich alt waren, wetteiferten wir bei fast allem, was wir taten. Vor allem Muhammad wollte bei jedem Spiel oder Wettbewerb, bei dem er mitmachte, gewinnen, und es machte keinen Unterschied, ob es darum ging, wer schneller war oder höher springen konnte, oder ob wir mit Murmeln oder Verstecken spielten. Verlieren war keine Option. In den 1950er-Jahren war Pro Wrestling sehr beliebt, und auch unsere Eltern waren davon begeistert und sahen sich immer die Kämpfe im Fernsehen an, zumindest dann, wenn der Fernseher in unserem Haus funktionierte. Es erübrigt sich wohl zu sagen, dass mein Bruder alles nachspielen wollte, was die Wrestler im Fernsehen taten – auf meine Kosten natürlich.

      Das Ganze konnte auch schon einmal etwas ausarten, wenn wir versuchten, uns gegenseitig im Wohnzimmer niederzuringen, aber es war bei Weitem keine einseitige Sache. Als Kind war ich immer etwas größer und kräftiger gebaut als er, der viel schlanker und recht schlaksig war. Bevor er mit dem Boxen anfing, war mein Bruder eigentlich nie wirklich besonders daran interessiert, Sport zu betreiben – und es gab viele andere Kinder, die körperlich weit beeindruckender aussahen als er, auch wenn er schnell und ehrgeizig war.

      Was den Sport anbelangt, so konnte er sich nie so recht mit Basketball oder Baseball anfreunden, jenen Sportarten, die fast alle Jungs in unserem Alter so oft wie möglich spielen wollten. Auf der anderen Straßenseite, gegenüber dem Haus unseres Freundes Adrian, gab es ein brachliegendes Areal, auf dem wir uns immer trafen, und obwohl Muhammad sich nicht besonders für organisierten Sport interessierte, spielte er trotzdem aus Spaß mit. Allerdings war er kein Fan von Tackle Football, denn es erschien ihm ironischerweise als zu brutal. Dafür spielte er gerne die entschärfte Variante, Touch Football, da er ein sehr guter und beweglicher Läufer war, der sich unseren Versuchen, ihn zu berühren und damit zu stoppen, immer wieder entzog, genauso wie er später einmal um die besten Boxer seiner Generation herumtänzelte. Und schon damals auf dem Spielplatz begann er zu prahlen. Der Nervenkitzel, wenn er einer Herausforderung gegenüberstand, schien einen Schalter bei ihm umzulegen, und er rief: „Ich bin zu schnell für dich!“, während er über die Wiese sprintete. „Du kannst mich nicht einholen! Du kannst mir zusehen, wie ich den Touchdown mache!“

      Und dieses Selbstbewusstsein konnte er dank seines erstaunlichen, natürlichen Bewegungstalents meist auch rechtfertigen.

      Glücklicherweise waren Muhammad und ich meist im selben Team, genauso wie wir den Großteil unseres restlichen Lebens zusammen verbrachten, und diese Sommertage in unserer Kindheit blieben uns immer in Erinnerung. Damals waren wir einfach arglose Kinder mit grenzenloser Energie. Muhammad sorgte immer für Stimmung und versuchte allem, was er anfasste, eine Portion Begeisterung einzuhauchen. Im Gegenteil zu mir, der alles meist viel zu ernst nahm – zumindest, wenn man meinem Bruder Glauben schenken durfte. Obwohl ich mich eigentlich mit meiner Rolle abgefunden hatte – immerhin war ich 18 Monate jünger –, gab es Momente, in denen dann doch eine gewisse Frustration hochkam. Aber selbst dann wurde es nur sehr selten handgreiflich. Mutters stilles Missfallen und Vaters etwas handfestere Herangehensweise verhinderten gröbere Auseinandersetzungen. Abgesehen davon war dieser Konkurrenzkampf zwischen uns nur von Vorteil für mich. Muhammad wollte gemocht und anerkannt werden. Das war ihm schon mit der Muttermilch mitgegeben worden. Immer wieder versuchte er, andere zu beeindrucken und sich von der Gruppe abzuheben. Es gab jedoch eine Sache,