Mein Bruder, Muhammad Ali. Rahaman Ali

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Название Mein Bruder, Muhammad Ali
Автор произведения Rahaman Ali
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783903183827



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den Arm um mich legte und mir deutlich sagte, dass ich nicht mehr kämpfen müsste und er an diesem Abend zum Weltmeister gekrönt werden würde.

      „Rudy, das war dein letzter Kampf“, sagte er einfühlsam. „Ich werde für den Rest deines Lebens für dich sorgen, mach dir also keine Gedanken darüber.“

      Ich ging schnell unter die Dusche und zog mich um. Dann eilte ich zurück in die Arena, um von meinem Platz in der vordersten Reihe meinem Bruder zuzusehen. Als er den Gang zum Boxring hinunterging, war die Spannung in der Arena nicht mehr auszuhalten – vor jedem Kampf gibt es da dieses Dröhnen, diese Energie, diese aufgeladene Atmosphäre, doch diesmal war es anders. Auch wenn er sich immer wie ein Clown aufführte und Späße machte, so wussten wir beide, dass dies ein äußerst gefährlicher Kampf für ihn sein würde, und es war, um ehrlich zu sein, angsteinflößend. Mein Magen fühlte sich ganz flau an, ein Gefühl, das ich nie wirklich ablegen konnte, wenn ich ihm im Ring zusah, doch in dieser Nacht war es besonders schlimm.

      Vielleicht hätte ich mir nicht so viele Sorgen machen müssen. Gleich von Anfang an bewies mein Bruder, dass er jedes Wort, das er zur Presse, zu Liston und gleichwohl zu seinen Fans und Gegnern gesagt hatte, auch mit boxerischem Können untermauern konnte. Leichtfüßig wich er Listons Schlägen aus, duckte sich und glitt gewandt aus der Reichweite seines Kontrahenten mit Bewegungen, von denen die meisten Kommentatoren meinten, dass sie zu seinem Verhängnis werden würden. Unterdessen deckte er Liston aus der Distanz mit Schlägen ein. Runde um Runde. Liston konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und Treffer landen, und schon gar nicht diese Schläge, für die er so berühmt war.

      Der bekanntermaßen einzige heikle Moment in dem Kampf war, als die Betreuer von Liston auf einen dreckigen Trick zurückgriffen und irgendetwas auf die Handschuhe ihres Boxers schmierten, das die Sicht meines Bruders behinderte und ihm damit beinahe den Sieg kostete. Ich erkannte fast sofort, dass etwas nicht stimmte, und mir schossen zu dem Zeitpunkt alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Meine erste Sorge galt natürlich der Gesundheit und Sicherheit meines Bruders, und ich hätte ihn sofort aus dem Ring genommen, wenn ich der Meinung gewesen wäre, dass seine Gesundheit gefährdet wäre. Gleichzeitig wusste ich aber auch, dass dies wahrscheinlich die einzige Chance auf einen Titelkampf war, die er je bekommen würde, und der gedemütigte Liston ihm keinen Rückkampf anbieten würde, wenn Muhammad hier verlor. Verwirrt darüber, was genau passiert war, der Kampf zweier miteinander konkurrierender Gefühle, die Atmosphäre im Publikum, als Liston zu einem vermeintlichen Comeback ansetzte – mein Adrenalinspiegel war vollkommen außer Kontrolle geraten.

      Für Angelo war dieser Moment genauso gefährlich wie für Muhammad. Die Black Muslims in der Ecke meines Bruders waren ziemlich aufgebracht und begannen, an Angelos Loyalität zu zweifeln, nahmen sie doch an, dass er etwas mit der Sache zu tun hatte. Während Angelo einerseits versuchte, ihnen zu versichern, dass dem nicht so war, versuchte er gleichzeitig auch, etwas zu unternehmen. Er kannte die Tricks, die Listons Team auf Lager hatte, aus der Vergangenheit und wusch meinem Bruder die Augen zwischen den Runden immer mit Wasser aus.

      „Du gibst jetzt nicht auf!“, bellte er ihn an, als er meinen Bruder in die – wie sich herausstellen sollte – letzte Runde schickte.

      Angelo war nicht wie einige andere Coaches, die herumschrien und ihre Boxer anwiesen, bestimmte Schläge einzusetzen, und von ihnen erwarteten, die Instruktionen bis ins Detail umzusetzen. Muhammad durfte den Kampf so bestreiten, wie er es für richtig hielt, schließlich hatte er jahrelang dafür trainiert, diese Verantwortung zu übernehmen. Angelos große Stärke lag in dieser Art von Krisen. Er blieb ruhig und fokussiert und bewahrte meinen Bruder wahrscheinlich davor, seine einzige Gelegenheit auf einen Titelkampf zu verlieren. Muhammad war Angelos goldener Junge, und er wusste, dass sein Schützling die Chance hatte, den Weltmeistertitel im Schwergewicht zu holen. Zu dieser Zeit glich das Verhältnis zwischen Muhammad und seinem Coach dem einer Vater-Sohn-Beziehung. Ich wusste, dass er seinen goldenen Jungen nie betrügen würde. Auf keinen Fall.

      Nach dem Vorfall mit Muhammads Augen verdoppelten die Black Muslims und ich unsere Anstrengungen in der Ecke und hielten Ausschau nach weiteren illegalen Störversuchen. Als Muhammads persönlicher Bodyguard war ich natürlich immer nahe an ihm dran. Vor dem Kampf hatte ich die strikte Anweisung, die Wasserflaschen in der Umkleidekabine nicht aus den Augen zu lassen, denn es könnte sich jemand hineinschleichen und etwas hineintun. Wenn ich aus irgendeinem Grund auch nur für wenige Minuten nicht auf die Flaschen aufpassen konnte, musste ich Muhammads Flasche ausleeren und mit frischem Wasser füllen, nur für den Fall, dass sich jemand daran zu schaffen gemacht haben könnte. Ich wollte kein Risiko eingehen. Wenn die Kampfrichter über den Ausgang zu entscheiden hatten, dann waren sie vorher sicherlich von Gangstern beeinflusst worden. Das war typisch im Boxsport zu jener Zeit.

      Schließlich konnte Muhammad wieder klar sehen, und Liston musste in der sechsten Runde aufgeben, gerade als sich die Stimmung im Publikum aufheizte. Wie ich später herausfand, traten einige Mitglieder der Mafia nach dem Kampf an Herbert heran und drohten damit, ihm 20 Männer auf den Hals zu hetzen, wenn er nicht für sie arbeiten würde. Herbert ignorierte sie an jenem Abend einfach, doch beim nächsten Kampf meines Bruders saßen 2000 Mitglieder der NOI im Publikum. Beide Seiten drohten einander, doch es sollte nie zu irgendwelchen Vorfällen kommen.

      Später einmal erfuhr ich, dass mein Bruder nicht einmal Angelo richtig vertraut hatte. Einige Zeit nach dem ersten Kampf gegen Liston hingen wir im Haus von Dr. Ferdie Pacheco ab, und Muhammad verblüffte seine Leute, indem er zugab, dass er niemandem bei diesem Kampf vertraute hatte, weder Angelo noch Ferdie oder irgendjemand anderem. Für einige der Männer, die dachten, dass Muhammad ihnen vollkommen vertraute, kam dies wie ein Schock, andere hingegen verstanden sein Dilemma. Muhammad zweifelte an allen seinen Betreuern: „Die einzigen beiden, denen ich vertraute, waren mein Bruder und Captain Sam“, sagte er vor seiner versammelten Entourage.

      Obwohl mein Bruder und ich damals bereits ein sehr enges Verhältnis zu Angelo aufgebaut hatten, hatte er noch immer diesen leichten Zweifel. Man muss bedenken, dass es zu dieser Zeit keine Rolle spielte, wie freundlich und hilfsbereit ein Weißer zu meinem Bruder war, es bestand immer eine Chance, dass er ihn betrügen könnte.

      Der Kampf hatte den Boxsport in der breiten Öffentlichkeit in Verruf gebracht. Auf eine gewisse Weise hatte Muhammads Sieg über Liston dabei geholfen, die Mafia aus dem Boxgeschäft zu drängen. Liston, obwohl er nie etwas mit ihnen zu tun haben wollte, war die größte Geldmaschine für die Mafia und besaß den begehrtesten Titel des Sports und hatte das größte Einnahmenpotenzial. Als sein Stern langsam an Glanz verlor, verlor die Mafia immer mehr an Einfluss im Boxen. Der Rückkampf am 25. Mai 1965 machte dies nur noch deutlicher. Übrigens: Die Andeutungen, dass Liston in seinem zweiten Kampf gegen Muhammad freiwillig zu Boden gegangen wäre, sind meiner Meinung nach lächerlich. Das organisierte Verbrechen zählte ja darauf, dass er den Titel wieder zurückgewinnen würde. Sie lebten davon, das Boxen zu kontrollieren und Geld zu scheffeln, indem sie die Boxer dazu zwangen, für sie zu arbeiten. Es ging um Listons Leben und um seinen Lebensunterhalt Boxen – die Mafia hatte nur diese eine Verwendung für ihn. Ich denke, als Muhammad den Titel gewann, begann sich die Mafia etwas zurückzuhalten, denn sie meinten, dass Angelo und Chris für sie arbeiten sollten, und die Dundee-Brüder antworteten: „Sicher nicht!“

      Doch bevor man endlich entspannt aufatmen konnte, gab es noch ein anderes Problem, das Mainstream-Amerika beschäftigte.

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      Es war der 6. März, nicht einmal zwei Wochen nachdem mein Bruder den Schwergewichtstitel geholt hatte, als Elijah Muhammad der Welt offiziell verkündete, dass er mit einem neuen Namen geehrt werden würde. Schon vor dem Kampf hatte mein Bruder Fragen zu seiner Verbindung mit der Nation of Islam beantworten müssen, und nun erreichte dieses Thema seinen Höhepunkt. Es gab unzählige Anrufe von Reportern, die ihn als bekennenden Muslim bezeichneten und den Ruf der Organisation infrage stellten. Natürlich hatten wir alle eine gewisse Reaktion erwartet, doch das übertraf sogar unsere schlimmsten Vorstellungen. Einige Farbige meinten, dass Muhammad einen schweren Fehler gemacht habe, sich der Nation of Islam anzuschließen – ein schwerer Fehler sowohl hinsichtlich seiner Karriere als auch in seiner Rolle als Repräsentant und Aushängeschild der