Tödliches Nickerchen am Mondsee. Wilhelm Huch

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Название Tödliches Nickerchen am Mondsee
Автор произведения Wilhelm Huch
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783969872529



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zu verklagen. Ihr wisst schon, das ist dieses undankbare Kind von Gerti, die vor zehn Jahren diesen Autoverkäufer geheiratet hat. Ich habe in den letzten zehn Jahren überhaupt keinen Kontakt zu dem Buben gehabt und jetzt kommt er und will von mir plötzlich ein Geld. Aber eines muss ich sagen: Der Oberfettinger ist wirklich genial! Der hat zu mir gesagt: ‚Kein Problem, wir bestreiten einfach die Vaterschaft.‘ Habe ich ihn gefragt, ob das nicht schwierig ist, wenn ich vor zwanzig Jahren ein Vaterschaftsanerkenntnis abgegeben habe. Sagt der Oberfettinger: ‚Kein Problem, wir behaupten einfach, dass die Gerti das Anerkenntnis damals erschlichen hat.‘“

      „Aber Peter, das wird doch nicht so einfach sein, zwanzig Jahre nach dem Anerkenntnis plötzlich zu sagen, dass du nicht der Vater bist. Hast du denn jemals Zweifel gehabt, dass du nicht der Vater bist?“, fragte Finda seinen Freund.

      „Aber geh, Peter! Natürlich bin ich der Vater, sonst hätte ich doch nie das Anerkenntnis abgegeben. Du kennst die Gerti zwar nicht, aber ich kann dir sagen, die ist damals so auf mich abgefahren, da gab es nicht den geringsten Verdacht, dass sie etwas mit einem anderen Mann gehabt hätte. Du darfst da nicht von mir auf meine Freundinnen schließen. Das waren zwar alles mehrseitige Verhältnisse, aber immer nur von meiner Seite aus gesehen. Die Mädchen und Frauen, die ich mir angelacht habe, die glaubten immer ganz fest an mich und waren so wahnsinnig in mich verliebt, dass da kein Gedanke je für einen anderen Mann blieb. Erst nach ein paar Jahren, meist, wenn sie allmählich dahinterkamen, dass sie mich mit anderen Frauen teilen mussten, kühlte ihre bedingungslose Liebe leise ab. Aber auch nicht bei allen. Rosi und Laetitia zum Beispiel haben mir bis heute die Treue gehalten. Na, jedenfalls hat der Oberfettinger gemeint, es genügt, wenn wir dem Gericht sagen, dass ich den Karl in der Verhandlung über die Unterhaltszahlung zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder gesehen habe und mir dabei aufgefallen ist, dass er mir überhaupt nicht ähnlich sieht. Und als weiteres schlagendes Argument werde ich darauf hinweisen, dass die Gerti kurz nach ihrer Trennung von mir sofort diesen Autoverkäufer geheiratet hat. Das ist doch ein sehr starkes Indiz dafür, dass sie es mit der Treue nicht so genau nimmt.“

      „Aber die Heirat mit diesem anderen Mann fand immerhin zehn Jahre nach der Geburt deines Kindes statt, oder nicht?“, warf Finda ein.

      „Ja, eigentlich schon. Aber der Oberfettinger hat behauptet, dass er schon einige Vaterschaftsanerkenntnisse mit dieser Masche aus der Welt geräumt hat.“

      „Und was ist mit den medizinischen Vaterschaftstests, sind die vor Gericht nicht mehr relevant?“, wollte Fabregas wissen und orderte beim Wirt eine weitere Heidelbeerschnäpschen-Runde.

      „Grundsätzlich schon. Dem werden wir uns aber dadurch entziehen, dass ich einen Antrag auf Verfahrenshilfe wegen Vermögenslosigkeit stellen werde. Wenn dieser genehmigt wird, werde ich keinen Kostenvorschuss für den medizinischen Test zahlen müssen. Die sollen nämlich ziemlich teuer sein. Und wie ich Gerti kenne, wird sie sicher nicht gewillt sein, den gesamten Kostenvorschuss alleine zu berappen.“

      Finda schüttelte den Kopf und murmelte: „Wenn du dich da nur nicht täuschst, mein lieber Freund. Ich habe ja schon viel Unglaubliches vom Oberfettinger gehört. Aber das war stets im Zusammenhang mit seinen Auftritten im Straflandesgericht. Dort hat er sicher schon einige grausame Mörder und unmanierliche Triebtäter vor dem Gefängnis bewahrt. Aber so richtig überzeugt bin ich von eurer Strategie nicht.“

      Die Hitze lag schwer auf Peter Waagners Schultern, der gemeinsam mit seinem Freund Robert Wullner seine morgendliche Runde um den Mondsee lief. Zwei Schwäne schwammen stolz im See, für die Waagner aber kein Auge hatte. Denn er kämpfte mit der Luft und gab diesen Kampf schließlich auf. Das letzte Drittel ging er mit Wullner zu Fuß.

      „So oder so ähnlich könnte mein Krimi beginnen“, meinte Waagner zu seinem Freund, nachdem er ihn beim Gehen mit dem ersten Kapitel seines noch zu schreibenden Buches beglückt hatte. Wullner meinte nur lakonisch, ob da nicht bereits zu Beginn den Leser die Langeweile erdrücken könnte.

      Ein Sommer wie damals

      Merkwürdig war doch, dass man im wirklichen Leben, wenn man nicht gerade Polizist, Anwalt oder Richter war, gar nie mit Toten in Berührung kam. Natürlich, auch Ärzte, Totengräber und Versicherungsangestellte hatten gelegentlich mit Toten, Morden und Selbstmorden zu tun. Aber es wäre interessant zu wissen, dachte Peter Waagner, ob es in der Realität überhaupt so viele Morde gab wie in all den Krimis, die auf der ganzen Welt gerade geschrieben wurden. Die Mordstatistik für Österreich soll im Jahr 2014 von rund 150 Morden gesprochen haben. Darunter wären zwar gelegentlich Morde gewesen, die auch einem nicht unmittelbar mit der Unterwelt in Berührung Stehenden hätten passieren können. So zum Beispiel, wenn man spät abends von einem Discobesuch mit dem Taxi nach Hause fuhr, die letzten hundert Meter zu Fuß gehen wollte, um vor dem Einschlafen noch ein wenig Luft zu schnappen, und dann aus einem vorbeifahrenden Auto ohne jeglichen Grund erschossen wurde. Abgesehen davon, dass ein solcher Mord aus Jux und Tollerei für einen Krimi nicht sehr ergiebig gewesen wäre, hätte Waagner als normales kleinbürgerliches Mitglied der österreichischen Gesellschaft, der seinen Lebensunterhalt als überzeugend fabulierender und somit recht erfolgreicher Autoverkäufer verdiente, noch so oft einen Krimi lesen können, im wahren Leben wäre er nie über eine Leiche gestolpert. Denn die würden üblicherweise und in aller Regel in alten Weinpressen, in Häckselmaschinen, in alten Schlössern und in Kanalschächten, so diese in der Nähe von Freudenhäusern situiert waren, liegen. Und solche Orte lagen im Allgemeinen nicht auf Waagners Jogging-Runden.

      Warum sich Waagner in den Kopf gesetzt hatte, in seinem Urlaub, den er am Mondsee verbrachte, ausgerechnet einen Krimi zu schreiben, war ihm inzwischen schon wieder entfallen. Wollte er darin vielleicht ein Verewigungsverfahren (Robert Musil) seiner selbst gefunden haben? Mitausschlaggebend könnte naturgemäß gewesen sein, dass er – offenbar wie viele andere Österreicher auch – einem Beruf nachging, der ihn geradewegs in die Arme eines Psychiaters geführt hätte, wäre es ihm nicht um das Honorar für einen solchen, wohl sich wiederholenden Arztbesuch zu schade gewesen. Waagner war ein quartalsweise frustrierter Autoverkäufer, der zwar im Verkauf von japanischen Sportwagen sehr erfolgreich zu sein schien, darin aber nur wenig Genugtuung fand und sich stets die Frage stellte, weshalb er überhaupt Germanistik studiert hatte. Nicht nur, dass dieses Studium auf eine mehr oder weniger brotlose Zukunft ausgerichtet war, falls man nicht den Fehler begangen haben würde, in irgendeinem Schulgebäude den Schülern zum Fraße vorgeworfen zu werden, sondern es schien ihm überdies seit den ersten Tagen an der Universität die unbeschwerte Lektüre von Literatur verleidet zu haben. Waagner konnte keine Seite eines Buches lesen, ohne Satzgefüge und Stil, Entstehungsgeschichte und Semantik, Rechtschreibung und Grammatik zu analysieren und ohne sich stets zu fragen, ob es sich beim jeweiligen Schriftsteller um ein Genie, einen Handwerker oder gar einen Psychopathen gehandelt hatte. Zu Beginn seiner Berufslaufbahn war ihm der Verkauf von Gebrauchtwagen als reinste Katharsis nach den geistig intensiven Tagen an der Universität und den durchzechten Nächten in den Studentenlokalen der Bundeshauptstadt erschienen. Der ihm wie ein Geschenk in den Schoß fallende Erfolg bei den Autoliebhabern ließ ihn anfangs für kurze Zeit vergessen, dass er sich sein akademisch ausgebildetes Leben anders vorgestellt hatte. Das irrwitzige Ausmaß seiner mit jedem Verkauf steigenden Provisionen, der Wechsel vom Gebrauchtwagen- in den Neuwagenbereich, der Übertritt von der italienischen defektanfälligen Modellpalette zur qualitativen japanischen Spitze und schließlich zur Verkaufsleitung hatten viele Jahre darüber hinweggetäuscht, dass Waagner sein Leben gleichermaßen vollständig verpfuscht hatte. Auch er war dem schnöden Mammon erlegen, fuhr schauerlich-prachtvolle japanische Luxusgefährte, lebte in einer respektablen Eigentumswohnung und leistete sich eine liebreizende Frau und zwei Kinder. Der Schein war perfekt, würde man gesagt haben, unter der Oberfläche hatte es seit einiger Zeit jedoch zu brodeln begonnen.

      So überraschend mag der Wunsch, einen Krimi zu schreiben, dann wohl doch nicht gewesen sein. Hätte er Betriebswirtschaftslehre studiert, wäre ihm vielleicht die Idee gekommen, nach den abstoßend-prickelnden Grenzerfahrungen der Finanzkrise seinen Job überhaupt sein zu lassen und in das Investment Banking zu wechseln. Und hätte er sein Geld als Arzt in einem AKH verdient, wäre jetzt sicherlich der Zeitpunkt gekommen gewesen, um in Afrika oder im Regenwald Brasiliens Arzt ohne Grenzen und